Strommangellage: Jetzt vorbereiten und krisenfähig machen

Die sichere Energieversorgung ist kommenden Winter durch die europäische Energiekrise gefährdet. Das Risiko einer Mangellage in der Schweiz ist real und gross. Alle können einen Teil zur Bewältigung einer allfälligen Krise beitragen, schreibt VSE Direktor Michael Frank im Meinungsbeitrag.
12.08.2022
Aktualisierte OSTRAL-Webseite
Das Risiko einer Strommangellage beschäftigt Wirtschaft und Bevölkerung zurzeit stark, die Unsicherheiten sind gross. Um dem gestiegenen Informationsbedarf Rechnung zu tragen und dem Bedürfnis nachzukommen, hat der VSE die OSTRAL-Webseite aktualisiert und mit weiteren ausführlichen Informationen, den wichtigsten Fragen und Antworten und weiterführenden Links erweitert.

Der Ukrainekrieg ist ein Game Changer, der ganz Europa in eine Energiekrise versetzt hat. Es gibt Faktoren, die wir nicht mehr allein beeinflussen können, zum Beispiel inwiefern Europa weiterhin mit russischem Gas versorgt wird. Und sie können uns in eine Energiemangellage führen. Eine Situation, in der mehr Gas und Strom verbraucht wird, als zur Verfügung steht.

Auch wenn wir nicht alles in den eigenen Händen haben: Wir alle – Behörden, Branche, Verbände, die Unternehmen und Gewerbe, Bürgerinnen und Bürger – können und müssen uns rasch und bestmöglich auf den Ernstfall vorbereiten und unsere Krisenfähigkeit stärken. Nichts tun ist keine Option und vergrössert einen allfälligen Schaden. Es wird intensiv an Lösungen gearbeitet, um die Versorgungssicherheit kommenden Winter zu stärken. Dazu gehört meiner Meinung nach auch die Schaffung eines professionellen Krisenstabs, der Bemühungen und Knowhow koordiniert, Lageanalysen vornimmt und entsprechende Anträge an den Bundesrat stellt.

Es wird intensiv an Lösungen gearbeitet, um die Versorgungssicherheit kommenden Winter zu stärken. Dazu gehört meiner Meinung nach auch die Schaffung eines professionellen Krisenstabs.

Wir alle können unabhängig davon schon heute einen Beitrag leisten, indem wir kurzfristig weniger Strom und Gas brauchen. Jede Kilowattstunde zählt. Nicht nur die produzierte, sondern auch die eingesparte. Das Bundesamt für wirtschaftliche Landesversorgung führt auf seiner Webseite nützliche Spartipps auf (Stromratgeber / Sparappelle). Ende August lanciert dann der Bund eine umfassende Sensibilisierungskampagne mit weiteren Spartipps für Unternehmen und Privatpersonen.

Der Bundesrat entscheidet, OSTRAL führt aus

Falls es trotzdem zu einer Mangellage kommt, entscheidet der Bundesrat über die Bewirtschaftungsmassnahmen, die im Strombereich von langer Hand professionell vorbereitet wurden. Man kann sich dies wie in der Pandemie vorstellen. Der Bund beschliesst per Verordnung, welche Massnahmen notwendig sind, um einer konkreten Krisensituation zu begegnen. So beschloss er zum Beispiel die Maskenpflicht, und die Kantone, Gemeinden, Unternehmen und Bevölkerung setzten diese um. So wäre es auch in einer Strommangellage. Der Bund beschliesst und Strombranche, Unternehmen und Bevölkerung setzen um.

Um diesen Umsetzungsauftrag zu erfüllen, hat der Verband Schweizerischer Elektrizitätsunternehmen schon vor 30 Jahren OSTRAL ins Leben gerufen. OSTRAL ist die Organisation für Stromversorgung in Ausserordentlichen Lagen. Sie ist eine Kommission des VSE.  

Verbrauchseinschränkungen und Kontingentierung, um Netzabschaltungen zu vermeiden

Im besten Fall gelingt es uns mit all unseren Anstrengungen, eine OSTRAL Situation – die Mangellage – zu vermeiden. Sollte dies nicht gelingen, greifen die «OSTRAL Massnahmen» mit dem Ziel, den Konsum zu reduzieren, um das Gleichgewicht zwischen Stromangebot und Stromnachfrage auf reduziertem Niveau sicherzustellen. Es gilt der Grundsatz: zuerst die mildesten, dann stufenweise strengere Massnahmen. Welche Massnahmen erforderlich sind, entscheidet der Bundesrat immer abhängig von der jeweiligen Krisensituation und dem abgeschätzten Einsparbedarf.

Die Schweiz hat die Kontingentierung bewusst als Massnahme gewählt, um Netzabschaltungen zu vermeiden.

Mit freiwilligen Sparappellen, der Verbrauchseinschränkung von nicht lebensnotwendigen energieintensiven Anwendungen und der Kontingentierung von Grossverbrauchern (Stromkonsum um eine bestimmte Menge in einem gewissen Zeitraum reduzieren) hat der Bundesrat verbrauchslenkende Massnahmen zur Hand, mit denen rund 30 Prozent eingespart werden können. Reicht das nicht, muss der Bundesrat zum äussersten Mittel greifen – den rollierenden Netzabschaltungen. Die Schweiz hat die Kontingentierung bewusst als Massnahme gewählt, um Netzabschaltungen zu vermeiden. Andere Länder, z.B. Frankreich, schreiten direkt zu Netzabschaltungen.

OSTRAL und die Branche bereiten sich vor

Bereits im Herbst 2021 hat OSTRAL alle Grossverbraucher von Strom über die Möglichkeit einer Strommangellage informiert. Namentlich über die möglichen Massnahmen, die der Bundesrat erlassen könnte, und die Abläufe betreffend Umsetzung. Viele Verteilnetzbetreiber sind seither in Kontakt mit ihren Grossverbrauchern und unterstützen sie dabei, sich eigenverantwortlich auf eine Strommangellage vorzubereiten.  Zusammen mit den Verteilnetzbetreibern informierte OSTRAL bis heute verschiedene Wirtschafts- und Branchenverbände und führt Schulungen und Kurse durch. Seit November 2021 gibt es zahlreiche Anlässe für Wirtschaftsverbände wie z.B. für Swissmem, die durchgeführt wurden bzw. noch durchgeführt werden.

Das Risiko wird ernst genommen. Die Botschaft, sich auf eine Krise vorzubereiten, ist angekommen.

Die Rückmeldungen aus den Schulungen sind positiv. Und generell erhält OSTRAL seit der Grossverbraucher-Information letzten Herbst viele Anfragen. Das zeigt: Das Risiko wird ernst genommen. Die Botschaft, sich auf eine Krise vorzubereiten, ist angekommen. Zudem überprüft OSTRAL vertieft ihre eigenen internen Prozesse und Abläufe.

Im schlimmsten Fall vorbereitet, im besten Fall krisenfähiger

Noch befinden wir uns im Normalzustand. Es wäre falsch, jetzt in Alarmismus zu verfallen. Das bedeutet aber nicht, dass wir die Situation nicht sehr, sehr ernst nehmen sollten. Die Strombranche begegnet der Situation mit dem nötigen Respekt. Sie leistet ihren Beitrag und trifft professionell und vorausschauend die nötigen Vorbereitungen, um im Ernstfall die Entscheide des Bundesrats umsetzen zu können.

Gesellschaft, Wirtschaft und Verwaltung wären allesamt von einer Strommangellage betroffen, und wir alle können einen Teil zur Bewältigung dieser Krise beitragen, denn es braucht alle. Nutzen wir die Zeit, unsere Vorbereitungen voranzutreiben. Im schlimmsten Fall werden wir froh darüber sein, im besten Fall haben wir unsere Krisenfähigkeit gestärkt.

Michael Frank
VSE Direktor

Michael Frank