Stromversorgungssicherheit steht in der Bevölkerung über allem

Gemäss einer repräsentativen Umfrage des Meinungsforschungsinstituts gfs.bern zur Energie- und Klimapolitik im Auftrag des VSE steht die Stromversorgungssicherheit bei der Schweizer Bevölkerung klar an erster Stelle. Die Mehrheit ist bereit, für eine sichere Stromversorgung, wenn nötig, höhere Kosten sowie Einschränkungen sowohl beim Klima- und Umweltschutz als auch bei den Beschwerderechten zu akzeptieren. Fossile Energien und neue Kernkraftwerke finden keine Mehrheiten.
31.05.2022

VSE Direktor Michael Frank ordnet die Umfrageergebnisse ein

Die Energiestrategie 2050 kommt nicht zum Fliegen. Der Markt bringt keine langfristigen Preissignale und Anreize für die notwendigen Investitionen in Produktions- und Netzanlagen. Zudem verhindern regulatorische Hindernisse, namentlich im Raumplanungsgesetz, der Landschaftsschutz und ökologische Auflagen den Ausbau der erneuerbaren Energieinfrastruktur, der zwingend ist, möchte die Schweiz in Zukunft ihren Strombedarf decken und Klimaneutralität erreichen. Das Dringliche – nämlich der Ausstieg aus den fossilen Energien und die Beschleunigung der Elektrifizierung für das Klima – wird mit dem Krieg in der Ukraine nur noch dringlicher.

Stromversorgungssicherheit ist zu einem Schlüsselthema avanciert. Um für die zentralen Weichenstellungen in der Energie- und Klimapolitik einen klaren Kompass zu haben, hat der VSE das Meinungsforschungsinstitut gfs.bern beauftragt, im Rahmen einer repräsentativen Umfrage den Puls an der Basis zu fühlen und dabei insbesondere die Zielkonflikte zwischen Versorgungssicherheit, Wirtschaftlichkeit und Umweltschutz auszuleuchten.

Im Zweifel klare Priorisierung der Stromversorgungssicherheit

Die Schweizerinnen und Schweizer sind mehrheitlich (56%) mit der Stossrichtung der Energiepolitik einverstanden. Sie ordnen der Stromproduktion drei zentrale Aufgaben zu und haben dabei eine klare Prioritätenordnung: 53% der Befragten geben die Versorgungssicherheit als erste Priorität an – vor einer klimaneutralen Energieproduktion (25%) und einem bezahlbaren Strompreis (21%). Für die Steigerung der inländischen Produktion aus erneuerbaren Energien für die Versorgungssicherheit sind 67% auch bereit, deutliche Abstriche beim Umweltschutz zu akzeptieren, wenngleich ein haushälterischer Umgang mit unverbauten Flächen erwartet wird (59%).

Alles geben für einen massiven Ausbau der erneuerbaren Energien im Inland

Versorgungssicherheit soll über die Förderung der erneuerbaren Energien erreicht werden. Eine überwältigende Mehrheit (97%) erachtet die Förderung von erneuerbaren Energien im Inland für eher bzw. sehr sinnvoll. Der Ausbau der erneuerbaren Energien wird zudem als gelebter Umweltschutz betrachtet (85%). 70% befürworten sogar eine Einschränkung von Beschwerderechten, damit der Ausbau schneller vorwärts geht. Eine ebenso grosse Zahl der Befragten gibt indes auch an, skeptisch zu sein, dass der Strombedarf allein mit erneuerbaren Energien gedeckt werden kann. Darüber hinaus kann mit der Förderung von erneuerbaren Energien die Energieabhängigkeit vom Ausland bekämpft werden, was klar einem Bedürfnis entspricht (über 80% Einverständnis). 75% der Befragten sprechen sich generell gegen mehr Stromimporte aus. Sieben von zehn Umfrageteilnehmenden sind mit der Aussage einverstanden, dass die Abhängigkeit von fossilen Energien aus nicht-demokratischen Ländern gestoppt werden müsse.

Dieses Resultat muss bei den anstehenden politischen Weichenstellungen klar die Richtung vorgeben und Anreiz sein, die offensichtlich nicht mehrheitsfähige Blockadepolitik der letzten Jahre aufzugeben.

Grosse Akzeptanz für alle Erneuerbaren – neue Kernkraftwerke nicht mehrheitsfähig

Dass die Bevölkerung mit dem Kurs in der Energiepolitik grundsätzlich einverstanden ist, zeigt auch die Tatsache, welche Energietechnologien in den nächsten Jahrzehnten für relevant empfunden werden. Die Wasserkraft und Photovoltaik schwingen mit jeweils fast 100% oben hinaus, während rund dreiviertel der Befragten auch die Windkraft als Schlüsseltechnologie betrachten. Doch auch weitere erneuerbare Energieträger wie Geothermie und Biogas oder Wasserstoff werden laut Einschätzung der Befragten an Bedeutung gewinnen. Unentschlossen zeigen sich die Befragten gegenüber Gaskraftwerken für Notfälle. Die Option, den Bau von Kernkraftwerken wieder möglich zu machen, ist hingegen nicht mehrheitsfähig.

Klare Mehrheiten für Photovoltaik-Anlagen und Stauseen, Zwiespalt bei der Windenergie

Die Bevölkerung steht klar hinter den erneuerbaren Energien. Doch wo dürfen sie gebaut werden? Absolut unbestritten in der Bevölkerung sind Solaranlagen auf bestehenden Infrastrukturen wie Autobahnen und Staumauern sowie auf allen geeigneten Dächern und Fassaden (jeweils 95% sind sehr bzw. eher einverstanden). Auch grosse Solaranlagen in den Bergen auf freien Wiesen sind für die Bevölkerung kein Tabu (51% Zustimmung). Betreffend Stauseen ist die Bevölkerung der Meinung, aus der Not eine Tugend zu machen: 65% befürworten Stauseen an Orten, wo früher ein Gletscher war bzw. ein solcher infolge der Klimaerwärmung schmilzt. Obwohl die Windenergie grossmehrheitlich als notwendig erachtet wird, würde indes nur eine knappe Mehrheit auch Windräder gutheissen, die vom eigenen Balkon aus sichtbar sind (55%).

VSE Roadmap für die Versorgungssicherheit
Der VSE beschäftigt sich laufend mit der Versorgungssicherheit und hat Ende 2021 eine Gesamtübersicht über die notwendigen Massnahmen entlang der gesamten Wertschöpfungskette erstellt. Die über 40 Massnahmen sind unverzüglich einzuleiten, damit die Schweiz ihre Energie- und Klimaziele erreicht.

Förderung und Lenkung vor Verboten

Eine überwiegende Mehrheit der Bevölkerung begrüsst neben der Förderung der erneuerbaren Energien auch jene von Energieeffizienz. Viele Konsumentinnen und Konsumenten finden es zudem sehr bzw. eher sinnvoll, selbst in Energieproduktion zu investieren (89%). Steuerliche Anreize und Lenkungsabgaben mit Rückerstattung an die Sparsameren sind äusserst populäre Massnahmen (82 bzw. 70%), während Regulierungen und Verbote tendenziell weniger Anklang finden (46%). Auch gegenüber einem Stromabkommen zeigt sich die Bevölkerung offen (64% eher bzw. sehr dafür). Jedoch nicht um jeden Preis: Die Zustimmung sinkt auf 40%, wenn das Stromabkommen nur mit Kompromissen in anderen Bereichen wie dem Lohnschutz und der Zuwanderung zu haben ist.

Ausbau möglich machen, Rahmenbedingungen anpassen

«Im Trilemma Versorgungssicherheit, Umweltschutz und Kosten gibt es eine klare Priorisierung: Versorgungssicherheit steht über allem – vor dem Umweltschutz und den Kosten. Dieses Resultat muss bei den anstehenden politischen Weichenstellungen klar die Richtung vorgeben und Anreiz sein, die offensichtlich nicht mehrheitsfähige Blockadepolitik der letzten Jahre aufzugeben», kommentiert VSE Direktor Michael Frank das deutliche Verdikt der Bevölkerung. «Die zahlreichen Ausbauprojekte, die heute über Jahre hinaus in Bewilligungsverfahren und vor Gerichten festhängen, müssen endlich vorankommen.» Frank fordert von allen Beteiligten mehr Kompromissfähigkeit, damit der Umbau des Energiesystems endlich stattfinden kann – auch fürs Klima und die Umwelt: «Biodiversität bedingt ein gesundes Klima, und dieses gibt es nur durch die Elektrifizierung von Mobilität, Gebäude und Industrie. Dem unerlässlichen Beitrag, den eine auf erneuerbaren Energien basierende Energieversorgung an den Klimaschutz leistet, ist dringend Rechnung zu tragen.»