Keine OP am ­­­o­­ffenen Herzen

Angesichts der hohen Energiepreise wird der Ruf nach Abfederungsmassnahmen laut. Die Vorschläge reichen bis hin zu Eingriffen in das Marktgefüge und den kalkulatorischen Zinssatz für das Stromnetz (WACC). Derartige Eingriffe sollten wohlüberlegt sein. Die Gefahr von unerwünschten Nebeneffekten ist gross, meint Nadine Brauchli, Bereichsleiterin Energie beim VSE.
13.10.2022

Die Energiepreise befinden sich seit Ende 2021 auf Rekordhöhe und belasten insbesondere die Wirtschaft. Die Gründe liegen in der nach Corona stark gestiegenen Nachfrage und dem knappen Angebot (reduzierte Gasimporte, schlechte KKW-Verfügbarkeit in Frankreich, deutscher Kohle- und Kernenergie-Ausstieg), der Krieg treibt die Preise zusätzlich nach oben.

Die erneuerbaren Energien hätten hierzulande in die Lücke ausbleibender Importe und wegfallender KKW-Produktion springen sollen. Doch der Ausbau hinkt hinterher, insbesondere wegen ungelöster Zielkonflikte Schutz-Nutzung und fehlenden Investitionsanreizen. Die Netze können ihre zentrale Funktion als Lebensader der Energieversorgung noch leisten. Doch auch sie stehen vor riesigen Herausforderungen: das Übertragungsnetz wegen der zunehmenden Probleme, den (versorgungsökonomisch effizienten) Austausch mit Europa zu gewährleisten und das Verteilnetz wegen des massiven Umbaus inklusive der Digitalisierung als Voraussetzung für die erneuerbare und elektrifizierte Energieversorgung.

Derartige Eingriffe in funktionierende Systeme sollten wohlüberlegt sein und nicht während der Krise erfolgen.

Angesichts der hohen Energiepreise wird der Ruf nach Abfederungsmassnahmen laut. Die Vorschläge reichen bis hin zu Eingriffen in das Marktgefüge und den kalkulatorischen Zinssatz für das Stromnetz (WACC). Derartige Eingriffe in funktionierende Systeme sollten wohlüberlegt sein und nicht während der Krise erfolgen. Die Gefahr von unerwünschten Nebeneffekten mit langfristigen Folgen ist bei einem System mit derart vielen Abhängigkeiten gross. Die Investitionsbedingungen zu verschlechtern, indem aus kurzfristigen Opportunitätsgründen zum Beispiel an der Kapitalverzinsung geschraubt wird, wird das Problem nicht lösen, sondern verschlimmern. Denn nur Investitionen in Produktion und Netz werden uns aus der prekären Lage führen.

Eine Operation am offenen Herz ist zu vermeiden. Viel wichtiger ist, dass wir die Krise als Anlass nehmen, den Umbau des Energiesystems nun entschlossen anzugehen. Dafür sind sowohl für die erneuerbaren Energien als auch für die Netze stabile Rahmenbedingungen unabdingbar.

Bereichsleiterin Energie, VSE

Nadine Brauchli