Grosse Augen, skeptische Blicke, direkte und indirekte Kritik – Mütter, die in einem hohen Pensum arbeiten, müssen viel aushalten. Diese Erfahrung hat auch Kristin Brockhaus gemacht. Als Senior Expertin Energiewirtschaft & Regulierung beim VSE arbeitet sie 80% und ist Mutter von drei Kindern. Im Interview spricht sie über die Herausforderungen in ihrem Alltag und über Strategien zur besseren Vereinbarkeit von Beruf und Familie.

Kristin, warum ist die Vereinbarkeit von Beruf und Familie für dich ein wichtiges Thema?
Ich erlebe oft Unverständnis, wenn ich sage, dass ich 80% arbeite mit drei Kindern. Ich bekomme vermittelt, dass ich schon irgendwie «krass» drauf bin, so «viel» erwerbstätig zu sein. Dabei empfinde ich selbst das gar nicht so krass. Für mich ist es selbstverständlich; mir bereitet das Freude. Für mich fühlt es sich im Gegenteil unglaublich unfair an, dass ich – nur weil ich eine Frau bin und Kinder habe – gemäss gesellschaftlichen Vorstellungen nicht das machen darf, was ich gern möchte. Mein Mann, der 100% arbeitet und zu Hause ebenso gefordert ist wie ich, wird nie gefragt, wie er das alles schafft mit den Kindern. Diese Vorurteile müssen wir aufbrechen, um echte Gleichstellung zu erreichen.
Was sind deiner Meinung nach die grössten Herausforderungen für erwerbstätige Frauen mit Kindern?
Neben gedanklichen Barrieren sehe ich vor allem in der Finanzierung eine grosse Hürde. Die Kinderbetreuung kostet ein Vermögen, die Schweiz ist von allen OECD-Ländern das mit Abstand teuerste Land dafür. Auch wenn es sich für meinen Mann und mich finanziell immer noch lohnt zu arbeiten und die Kinder in die Betreuung zu geben, muss man gerade bei drei Kindern schon rechnen, ob man eigentlich noch mehr verdient, als die Kinderbetreuung kostet. Spätestens in Zeiten von Fachkräftemangel und wenn es um die Gleichstellung von Frauen geht, kann das nicht mehr angehen.
Wie gelingt es dir, Arbeit und Familie unter einen Hut zu bringen?
Das erfordert viel Flexibilität und offene Kommunikation – individuell und als Paar. Man muss sich bewusst mit dem Thema und der eigenen Situation auseinandersetzen und mit sich selbst ehrlich sein. Wir nehmen verschiedene Kinderbetreuungsangebote in Anspruch und lagern Hausarbeit nach Möglichkeit aus. Anfangs fiel es mir schwer zuzulassen, dass Dritte in unserer Wohnung zu Gange sind, während wir selbst nicht da sind. Da hilft es, sich selbst bewusst zu machen, dass die Unterstützung viel erleichtert und dass sie irgendwann vielleicht nicht mehr nötig ist.
Welche Rolle spielt der Arbeitgeber?
Für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie ist es wichtig, dass auch der Arbeitgeber flexibel ist. Einerseits muss es die Möglichkeit geben, weniger als ein 100%-Pensum zu arbeiten, insbesondere auch für Männer. Aber auch flexible Arbeitszeiten und Home-Office-Möglichkeiten helfen enorm. Ein längerer bezahlter Vaterschaftsurlaub steigert darüber hinaus die Chance, dass sich Väter gleich von Beginn an in die Kinderbetreuung und die Hausarbeit einbringen können. Beim VSE kann ich nach Bedarf im Home-Office arbeiten und mir meine Arbeitszeit flexibel einteilen. Im Gegenzug versuche auch ich flexibel zu sein, wenn es die Aufgaben gerade erfordern. Insgesamt hängt aber viel von den Vorgesetzten und vom ganzen Umfeld bei der Arbeit ab, wie gut Vereinbarkeit realisierbar ist.
Was ist deine Botschaft zum Weltfrauentag?
Agiert selbstbestimmter, überlegt euch, was euch Spass macht und was ihr wirklich erreichen möchtet und welche Rollenverteilung in der Familie ihr wirklich wollt. Und vergesst dabei alte Glaubenssätze, die euch umgeben. Und dann seid mutig genug, diese Vorstellungen auch – in Abstimmung mit eurem Partner – zu realisieren. Das gilt übrigens auch für Männer. Wir brauchen mehr Vorbilder!