«Die erneuerbaren Energien sind meine Berufung»

18.03.2024
Margarita Aleksievas Weg in die Schweiz und in die Energiebranche führte sie von Bulgarien über die USA und Deutschland in das Herz der Schweiz. Nach Zwischenstationen in anderen Energieunternehmen und bei einem Investment-Fonds leitet sie seit bald vier Jahren die Geschäftseinheit Wind und Solar der BKW in Bern.
Margarita Aleksieva, Leiterin der Geschäftseinheit Wind und Solar der BKW, nimmt bei Ihren Besuchen vor Ort jeweils die Gelegenheit wahr, eine Windturbine zu besteigen oder sich im Lift hochfahren zu lassen. (Quelle: BKW)

«Eigentlich wollte ich bloss zwei, drei Jahre in der Schweiz bleiben. Nun, nach bald zwanzig Jahren bin ich immer noch hier und habe es keinen Tag bereut.» 2006 kam Margarita Aleksieva in die Schweiz und arbeitete in der damaligen Atel mit bei der Expansion des Energiegeschäfts in Zentral- und Osteuropa. Zugute kamen ihr dabei die während der Schulzeit und auch während des Studiums erlangten breiten slavischen Sprachkenntnisse und natürlich Englisch. «Ich konnte wenig Deutsch, als ich in die Schweiz kam. Mittlerweile verstehe ich sogar die meisten Dialekte, bin Schweizer Bürgerin und geniesse es, meine demokratischen Rechte an Abstimmungen und Wahlen wahrnehmen zu dürfen.»

In die Energiebranche war Margarita Aleksieva nach ihrem MBA-Abschluss an der Purdue University gelangt. Ein damaliger Geschäftseinheitsleiter des Zentral- und Osteuropageschäfts bei der Atel stellte sie ein. Zuerst arbeitete sie in Baden und nach der Fusion von Atel und EOS zu Alpiq in Olten. Bereits 2007 begann sie mit ihrem Engagement für erneuerbare Energien. Zusammen mit ihrem Vorgesetzten konzentrierte sie sich auf den Aufbau von Wind-, Solar- und Wasserkraftanlagen in ganz Europa. «Als Pionierin zur damaligen Zeit holte ich die Zustimmung der Geschäftsleitung zum Einstieg in die Produktion mit erneuerbaren Energieanlagen – Wasser, Wind und Photovoltaik.»

Mit einem Universitätsabschluss in Wirtschaft und Politikwissenschaften wuchs der Wunsch, auch Erfahrung in der Finanzindustrie zu sammeln. 2016 war es dann so weit: Bei der in Zürich domizilierten und weltweit tätigen IST-Investmentstiftung übernahm sie die Leitung des Portfolio- und Asset-Managements für Infrastrukturanlagen in OECD-Ländern. Gegründet 1967 als Non-Profit-Organisation von zwölf Vorsorgeeinrichtungen in der Schweiz ist die IST-Investmentstiftung die erste unabhängige Anlagestiftung in der Schweiz. Zwischen 2016 und 2020 wuchs das von IST verwaltete Infrastrukturanlagen-Portfolio von 200 Millionen auf knapp eine Milliarde Schweizer Franken. «Mit meinem bei Atel respektive Alpiq erlangten Wissen war es mir ein Leichtes, mit all den Infrastruktur-Investment-Gurus zusammenzuarbeiten und die Besonderheiten der globalen Investmentfonds zu beherrschen.»

Zurück zu den Erneuerbaren

Der Job in der Finanzbranche bereitete ihr viel Freude. Dennoch vermisste sie stets die erneuerbaren Energien mit deren Vielfalt an Tätigkeiten – von der Akquisition, über den Bau, den kommerziellen und technischen Betrieb bis hin zur Strategieentwicklung und Finanzierung. Und als die BKW Ende 2019 eine neue Leitung für die Geschäftseinheit Wind und Solar mit kaufmännischer und technischer Erfahrung suchte, ergriff Margarita Aleksieva die Gelegenheit. Mitte 2020 startete sie als neue Leiterin Wind und Solar bei der BKW. Ihre Sprachkenntnisse spielten dabei sicherlich auch eine wichtige Rolle. Neben Bulgarisch, diversen slavischen Sprachen, Englisch, Finnisch und Deutsch hat sie auch noch gelernt, etwas Schweizerdeutsch zu sprechen. Die BKW betreibt über 100 Wind- und Solarproduktionsanlagen, verteilt auf die Länder Norwegen, Schweden, Deutschland, Frankreich, Italien und natürlich auch auf die Schweiz.

«Die Italiener reden lange bei Sitzungen und springen hin und her auf der Agenda, die Norweger vermeiden zu viel Gesprächsstoff und halten sich strikt an die Traktanden, die Schweizer bleiben pragmatisch und planen Sitzungen weit im Voraus.»

Wohl könne sie technologische Zusammenhänge nachvollziehen, was für das Verhandeln von Verträgen sehr wichtig sei, jedoch sei die Leitung der Geschäftseinheit Wind und Solar viel weniger technisch als man erwarten könnte. «Ich bin keine Ingenieurin. Dazu habe ich Spezialistinnen und Experten in meinem Team, welche mir alles Nötige über Hauptlager, Rotorblätter oder Netzanbindung erzählen können.» Viel spannender als den technischen Teil findet Margarita Aleksieva das Zusammenspiel von Energie und Infrastruktur und deren Komplexität. «Wir sind mit Anlagen und Dienstleistungen in sechs Ländern in Europa präsent mit ganz unterschiedlichen Marktsituationen – von der Regulierung bis zum Marktpreisniveau. Darüber hinaus gibt es so viele länderspezifische und kulturelle Aspekte, die ich berücksichtigen muss, um allen meinen 130 Mitarbeitenden gerecht zu werden: «Die Italiener reden lange bei Sitzungen und springen hin und her auf der Agenda, die Norweger vermeiden zu viel Gesprächsstoff und halten sich strikt an die Traktanden, die Schweizer bleiben pragmatisch und planen Sitzungen weit im Voraus.»

Multi-Kulti-Umfeld als grosses Privileg

Manchmal sei es eine Herausforderung, in einem Multi-Kulti-Umfeld zu arbeiten, meistens aber ein grosses Privileg. Alle seien verständlicherweise stolz auf ihre Kultur. «Um aber gut und wertschätzend miteinander arbeiten zu können, sind Verständnis und Toleranz unabdingbar.» Die Chefin sieht es daher auch als ihre Aufgabe, dieses Verständnis und diese Toleranz für andere Kulturen vorzuleben und zu vermitteln: «Es liegt am Management, an mir, diese internationale und interfunktionale Zusammenarbeit zu ermöglichen und zu fördern.»

«Um jemanden wirklich zu verstehen, muss man eine Meile in dessen Schuhen gehen.» Getreu diesem Sprichwort organisierte Margarita Aleksieva für einen Anlass im Sommer 2023, an welchem alle ihre Mitarbeitenden teilnahmen, identische Schuhe mit dem Logo Wind und Solar und BKW. Das ganze Team marschierte ab diesem Zeitpunkt in denselben Schuhen. «Der Erfolg dieser Aktion war riesig. Selbst Mitarbeitende aus anderen Abteilungen wollten in die Fussstapfen von Wind und Solar treten.»

«Wenn von diesem Recht jedoch aus ideologischen und privaten Gründen Gebrauch gemacht wird, wird es zunehmend schwierig, den Energiebedarf in der Schweiz mit erneuerbaren Energien zu decken.»

Der Ausbau der Erneuerbaren erfolgt zu langsam

In der Schweiz betreibt die BKW aktuell nur den Windpark Juvent auf dem Mont Crosin im Kanton Bern. Vor Kurzem ermöglichte ein Entscheid des Bundesgerichts den Abschluss des Bewilligungsprozesses für das BKW-Windprojekt «Parc éolien de la Montagne de Tramelan». Dieser kam gerade noch rechtzeitig, um die dafür vorgesehenen und bewilligten Windturbinen noch beschaffen zu können, bevor sie beim Hersteller aus dem Sortiment genommen werden. «Mit den langwierigen Bewilligungsverfahren in der Schweiz laufen wir Gefahr, die Turbinen nach Erhalt der finalen Baubewilligungen dereinst im Museum abholen zu müssen.» Im Fall des Windprojekts Tramelan muss die BKW Turbinen verbauen, die nicht mehr auf dem neusten Stand der Technik sind. Wollte sie stattdessen eine Turbine auf dem aktuellen Stand der Technik verbauen, müsste sie das Bewilligungsverfahren wieder von vorne beginnen – mit allen Einsprachemöglichkeiten.

Mit den neusten Turbinentechnologien nimmt das Potenzial an möglichen Standorten in der Schweiz für eine effiziente Stromproduktion zu: mehr Leistung bei wenig Wind. Mit Bewilligungsverfahren von 15 und mehr Jahren ist es aber keine Überraschung, dass bewilligte Windturbinen zum Zeitpunkt ihrer Installation technologisch bereits wieder veraltet sind. «Das Grundrecht in der Schweiz, Einsprachen erheben zu können, ist ein hohes Gut einer Demokratie. Wenn von diesem Recht jedoch aus ideologischen und privaten Gründen Gebrauch gemacht wird, wird es zunehmend schwierig, den Energiebedarf in der Schweiz mit erneuerbaren Energien zu decken und damit einen wichtigen Beitrag zur Versorgungssicherheit zu leisten.»

In den letzten Jahren hat die Photovoltaik an Bedeutung gewonnen. Praktisch jedes Gebäude kann heute schliesslich mit Solarmodulen bedacht werden. Zusammen mit ihren Mitarbeitenden plant Margarita Aleksieva Grossanlagen auf Flugplätzen (zum Beispiel Belpmoos Solar beim Flughafen Bern-Belp), grossen Industrieanlagen und in den Bergen im Rahmen des vom Bund geförderten Programms Alpinsolar. «Auch hier versuchen wir, grösstmögliche Rücksicht auf Natur und Umwelt zu nehmen. Trotzdem müssen wir auch bei diesen Projekten mit langwierigen Bewilligungsverfahren rechnen.»

Ihre «eigene» Turbine

Margarita Aleksieva nimmt bei Ihren Besuchen vor Ort jeweils die Gelegenheit wahr, eine Windturbine zu besteigen oder sich im Lift hochfahren zu lassen. Richtig windig sei es dort oben. Der Abstieg erfolgt manchmal wie beim Bungee Jumping, jedoch an einem festem Seil. Dies werde auch im Rahmen der Sicherheitsausbildung mit allen Mitarbeitenden regelmässig geübt. Manchmal lade sie auch ihr Management-Team zu einer «Turbinen-Besteigung» ein: «Diese Anlagen zu spüren und anzufassen fördert das Verständnis dafür.» In Bulgarien steht sogar eine Turbine mit ihrem Namen «Margarita». Diese war vor 15 Jahren im Zuge ihres ersten Windprojektes nach ihr benannt worden. «Margarita» sorgt also sowohl von Norwegen bis Italien als auch in Bulgarien für erneuerbare Energie.

Women in Power

In einem Meinungsbeitrag vom 8. März 2023 – dem Weltfrauentag – hat Nadine Brauchli, Leiterin Energie beim VSE und Mitglied der Geschäftsleitung, Frauen aufgerufen, in die Energiebranche einzutauchen. In einer losen Serie stellt der VSE unter dem Titel «Women in Power» Frauen vor, die diesem Aufruf nicht mehr Folge leisten müssen, weil sie bereits eingetaucht sind und erfolgreich in den verschiedensten Bereichen der Energiewelt arbeiten.

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