Rückkehr in die Grundversorgung bestraft gebundene Kunden und Versorger

Wegen der aktuell sehr hohen Marktpreise sollen Unternehmen, die in den freien Markt gewechselt und jahrelang von tiefen Marktpreisen profitiert haben, in die Grundversorgung zurückkehren dürfen. Der VSE kritisiert, dass Kosten und Risiken auf die gebundenen Kunden und die Energieversorger übertragen werden sollen.
26.10.2022

Nach heutiger Rechtslage der Stromversorgungsgesetzgebung können Endverbraucher, die in den freien Markt gewechselt haben, nicht mehr in die Grundversorgung zurückkehren. An diesem Prinzip «einmal frei, immer frei» ist aus Sicht des VSE festzuhalten. Die Energieversorgungsunternehmen sind verpflichtet, frühzeitig ausreichend Strom zu beschaffen, um ihre grundversorgten Kundinnen und Kunden (Haushalte, KMU) zu versorgen. Kämen nun Grossverbraucher aus dem freien Markt (Jahresverbrauch grösser als 100 Megawattstunden) zurück in die Grundversorgung, müssten die EVU mehr Strom beschaffen, als sie für die Grundversorgung geplant und tatsächlich beschafft haben. Diesen Strom müssen die EVU am Markt zu den aktuell sehr hohen Preisen nachbeschaffen.

Die Kosten für diese zusätzliche Beschaffung würde anteilsmässig in den Grundversorgungstarif eingerechnet, allerdings mit mindestens einem Jahr Verzögerung. «Das heisst konkret, dass bestehende Kundinnen und Kunden in der Grundversorgung dann die Zeche zahlen und diese Mehrkosten mittragen müssten, was unfair ist», kritisiert Verbandsdirektor Michael Frank. Insbesondere, weil die Unternehmen, die in den freien Markt gewechselt sind, dies aus Kostengründen getan und über Jahre deutlich weniger bezahlt haben als die Kundinnen und Kunden in der Grundversorgung.

Markt beinhaltet Chancen und Risiken. Die Spielregeln waren allen bekannt und auch ausdrücklich erwünscht. Von der Chance der tiefen Preise haben die freien Kunden jahrelang profitiert, sobald Risiken auftauchen, wollen sie zurück unter das regulierte Regime. «Gebundene Kundinnen und Kunden haben bereits in den vergangenen Jahren höhere Preise bezahlt. In der aktuellen Energiekrise mussten sie einen Preisanstieg wegen der aktuellen Marktsituation hinnehmen. Es kann nicht sein, dass sie jetzt auch noch Grossverbraucher quersubventionieren müssen, die der Strombeschaffung und deren Risiken zu wenig Beachtung geschenkt haben», moniert Michael Frank.

Die EVU müssten die Mehrkosten selbst tragen, was zu Liquiditätsengpässen und Verlusten führen kann. Damit wird der Teppich ausgerollt, dass der Rettungsschirm dereinst auf weitere EVU ausgeweitet werden muss.

Die Tarife der Grundversorgung müssen jeweils vorgängig bekannt gegeben werden (31. August) und sind für ein Jahr fix. Eine Zusatzbeschaffung nach dem 31. August kann daher erst verzögert, d.h. verteilt auf die Folgejahre anteilsmässig in den Grundversorgungstarif eingerechnet werden. Für kleine EVU mit einer kleinen Anzahl von grundversorgten Kunden und grossen Marktkunden, die zurückkehren, könnte es kritisch werden, diese Differenz kurzfristig und über mindestens ein Jahr selbst zu tragen. Das kann zu Liquiditätsengpässen führen und zudem bleiben sie aufgrund der regulatorischen Vorgaben mit grosser Wahrscheinlichkeit selbst auf einem Teil der Mehrkosten sitzen. «Die EVU müssten die Mehrkosten selbst tragen, was zu Liquiditätsengpässen und Verlusten führen kann. Damit wird der Teppich ausgerollt, dass der Rettungsschirm dereinst auf weitere Energieversorger ausgeweitet werden muss», sagt Michael Frank.

Um die negativen Effekte auf die grundversorgten Kunden und die Versorger selbst möglichst in Grenzen zu halten, müsste eine allfällige Rückkehr von Marktkunden mit einem Vorlauf von mindestens einem Jahr bekannt sein, damit das betroffene EVU eine vorausschauende und verantwortungsvolle Beschaffung für die Grundversorgung vornehmen kann. Es stellt sich auch die Frage, was bei sinkenden Marktpreisen passieren würde. Tragen die zurückgekehrten «freien» Kunden die dannzumaligen höheren Kosten in der Grundversorgung mit oder lassen sie die gebunden auf höheren Preisen sitzen?

Die Rückkehr in die Grundversorgung darf nicht überhastet eingeführt werden. Sie verursacht mehr Probleme, als diese zu lösen. Wenn es darum geht, Firmen wegen der hohen Marktpreise zu unterstützen, sollten man darüber diskutieren, welche Massnahmen volkswirtschaftlich am sinnvollsten und am wenigsten verzerrend sind. Solche Lösungen müssen ausserhalb des Marktes stattfinden, z.B. mittels direkter Unterstützung, ohne in bestehende Tarife und Preise einzugreifen.

Der Bundesrat hat am 2. November verschiedene Unterstützungsmassnahmen für Unternehmen und Privathaushalte im Zusammenhang mit den hohen Energiepreisen und der Inflation diskutiert. Unter anderem auch verschiedene Varianten einer Rückkehr von Unternehmen vom freien Strommarkt in die Grundversorgung. Sämtliche Massnahmen wären jedoch mit starken Eingriffen, potenziellen Vollzugsproblemen und unerwünschten Nebenwirkungen verbunden. Der Bundesrat ist daher zum Schluss gekommen, dass er momentan keinen Handlungsbedarf sehe.