«Weniger Dogma, dafür mehr Kooperation»

Ist die nach den Wahlen von National- und Ständerat vielbeschworene «grüne Welle» ein nachhaltiges Ereignis, oder ebbt sie bald wieder ab? Und braucht es nun ein Stromabkommen, oder könnte die Schweiz notfalls auch gut ohne leben? Diese und viele weitere brennende Fragen standen im Zentrum des VSE-Anlasses «Top-Themen der Energiepolitik» vom 13. November 2019 in Zürich.
18.11.2019

Top-Themen der Energiepolitik 2019, Zürich

VSE-Präsident Michael Wider appellierte in seinem Eröffnungsreferat gleichermassen an Branche, Behörden und Politik: «Alle drei müssen zusammenarbeiten, um die Herausforderungen der Zukunft erfolgreich zu bewältigen.» Pascal Previdoli, stellvertretender Direktor des Bundesamts für Energie, zeigte anschliessend auf, dass man – zumindest aus Sicht der Behörde – auf einem guten Weg sei, die Energiestrategie 2050 umzusetzen, auch wenn es noch die eine oder andere offene Frage gebe.

Im lebhaften – wiederum von Jürg Meier (NZZ am Sonntag) moderierten – Polit-Podium duellierte sich ein Nationalrats-Quartett: Barbara Schaffner (GLP/ZH), Claudia Friedl (SP/SG), Matthias Jauslin (FDP/AG) sowie Christian Imark (SVP/SO) kreuzten verbal die Klingen. Als Physikerin deutete Neo-Nationalrätin Barbara Schaffner an, dass sie bei Energiethemen im Parlament künftig ein gewichtiges Wörtchen mitzureden gedenkt. «Die Schweizer Energiebranche hatte vor über 100 Jahren den Mut zu grossen Leistungen. Warum trauen wir uns diese grossen Schritte heute nicht mehr zu?», sprach sie beispielsweise die zurückhaltende Investitionstätigkeit der Branche an.

Die beiden bürgerlichen Vertreter betonten, dass auch nach einem allfälligen massiven Photovoltaik-Zubau ungelöste Fragen blieben. «Laut Empa fehlen der Schweiz künftig 28,5  Terawattstunden. Das entspricht dreimal der Leistung des Kernkraftwerks Gösgen. Um diesen Bedarf zu decken, reicht Photovoltaik nicht aus. Dazu braucht es Bandenergie», machte sich Christian Imark mindestens implizit für Kernenergie stark. Bandenergie alleine reiche nicht, befand Matthias Jauslin: «Wir brauchen eine Balance zwischen Verbrauch und Produktion. Die Voraussetzung dafür sind intelligente Netze – und ein Stromabkommen mit der EU.»

Die Greina fluten oder lieber im Dunkeln sitzen?

«Ich gehe gerne in der Natur spazieren, aber wenn mir der Strom ausginge, würde ich die Greina fluten», lockte Jürg Meier Claudia Friedl – die als Vizepräsidentin der Schweizerischen Greina-Stiftung amtet – aus der Reserve. Die ernsthafte Frage aber, ob Landschafts- und Naturschutz oder eine hohe Versorgungssicherheit stärker zu gewichten sind, wird die Schweiz noch lange beschäftigen. Das sieht auch Claudia Friedl so: «95  Prozent der Schweizer Gewässer werden bereits genutzt. Landschaft und Gewässer sind daher stark unter Druck. Wir müssen daher das Vertrauen der Bevölkerung erhalten, dass wir es mit dem Schutz von Natur und Landschaft ernst meinen. Sonst drohen uns Volksinitiativen.»

Gaël Glorieux, Manager Strategic Communications beim europäischen Elektrizitätsverband Eurelectric, zeigte den rund 50 Anwesenden auf, dass die Herausforderungen der kleinräumigen Schweiz praktisch eins zu eins auf das grosse Gebilde EU übertragbar sind. Urs Bieri, Co-Leiter des Politik- und Kommunikationsforschungsinstituts GFS in Bern hingegen ging ins Detail und förderte aus der Analyse der Wahlresultate und vor allem des Wählerverhaltens von Ende Oktober höchst Interessantes zutage.

Dominique Martin, Bereichsleiter Public Affairs und Mitglied der Geschäftsleitung des VSE, ordnete die energie- und klimapolitische Ausgangslage aus Branchensicht ein und rief dazu auf, sich aktiv in die Gestaltung der Energiezukunft einzubringen, bevor sich VSE-Direktor Michael Frank in seinem Schlussvotum «weniger Dogma, dafür mehr Kooperation» wünschte. Denn «nur so erreichen wir unsere Ziele».

- Dokument Top-Themen der Energiepolitik (Stand 24.10.2019)