Reform des EU-Strommarktes: Die Katze ist aus dem Sack

24.03.2023
Seit den Preiskapriolen im letzten Jahr wurde in der EU die Diskussion über eine Reform des Strommarktes lanciert. Nun hat die EU-Kommission ihren Vorschlag vorgelegt. Dieser geht weniger weit als die Ankündigungen noch befürchten liessen. Trotzdem könnten die Änderungen auch Auswirkungen auf die Schweiz haben.

Im letzten Jahr sind die Strompreise in ganz Europa auf absolute Rekordhöhen angestiegen, dies insbesondere aufgrund des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine und der damit verbundenen Energiekrise. Die EU reagierte rasch mit einem breiten Notfall-Massnahmenpaket, um die Folgen für Haushalte und Unternehmen abzufedern. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen stellte zudem im vergangenen September in ihrer Rede zur Lage der Union fest, dass das EU-Strommarktdesign nicht mehr funktioniere, und kündigte an, dass dieses angepasst werden müsse. Die EU-Kommissionspräsidentin vertrat die Meinung, dass die derzeitige Ausgestaltung des Elektrizitätsmarkts, die auf dem Merit-Order-Prinzip beruht, den Interessen der Verbraucherinnen und Verbraucher nicht länger gerecht werde.

Darauf hat die EU-Kommission am 23. Januar 2023 eine öffentliche Konsultation zur Reform der Gestaltung des EU-Strommarktes gestartet (Frist bis 13.02.2023). Auch der VSE hatte seine Haltung zu den Fragen in der öffentlichen Konsultation eingegeben. Die EU-Kommission hat nun am 14. März 2023 ihren Vorschlag für die Reform der Strommarktgestaltung in der EU vorgelegt. Erklärtes Ziel der Reform ist es, die Verbraucher besser vor starken Preisschwankungen zu schützen, eine sichere Versorgung mit Strom aus erneuerbaren Energien zu gewährleisten und die Resilienz des Marktes zu stärken.

Grundmechanismen bleiben bestehen

Die Reform des Strommarktdesigns fällt vorsichtig aus. Die gross angekündigte Strukturreform des Strommarktes von letztem September kommt zum aktuellen Zeitpunkt nicht. An den Grundmechanismen der kurzfristigen Märkte, etwa dem Merit-Order-Prinzip, welches die Einsatzreihenfolge der Kraftwerke anhand ihrer Grenzkosten vorgibt, wird nicht gerüttelt. Die Anpassungen beinhalten vor allem Ergänzungen zum bestehenden Design des Grosshandelsmarkts: Langfristige «Stromverkaufsverträge» (englisch Power Purchase Agreement, kurz PPA) und zweitseitige Differenzverträge (englisch Contracts for Difference, kurz CfD) sollen einerseits für die Unterstützung von erneuerbaren Energien eingeführt und andererseits zur Glättung der Preisschwankungen beitragen. Die CfD sollen aus Sicht der Kommission in Zukunft das zentrale Instrument zur Förderung des Ausbaus der erneuerbaren Energien sein. Eine CfD-Pflicht ist allerdings nicht vorgesehen.

CfD

Bei einem zweiseitigen Differenzvertrag (Contracts for Difference - CfD) wird die volatile und nicht bekannte Marktpreisentwicklung abgesichert. Die Absicherung erfolgt mittels eines Referenzpreises (CfD-Preis), der meist mittels Auktionen bestimmt wird. Liegt der Marktpreis unter dem Referenzpreis, so erhält der Anlagenbesitzer Geld (die Preisdifferenz zwischen Referenz- und Marktpreis), liegt der Marktpreis über dem Referenzpreis, so zahlt der Anlagenbesitzer Geld (die Preisdifferenz zwischen Markt- und Referenzpreis) zurück. Die Ausgestaltung des Instruments kann stark unterschiedliche Formen annehmen z.B. hinsichtlich Festsetzung des Zeitraums oder technologieabhängige Referenzpreise.

Neben den Anpassungen auf dem Grosshandelsmarkt gibt es auch Anpassungen auf dem Endkundenmarkt mit dem Ziel, die Verbraucher besser zu schützen und ihre Position zu stärken. So sollen zum Beispiel Mitgliedstaaten bei starkem Preisanstieg die Preise für Haushaltskunden einfrieren können. Weiter sollen Vorschriften für Stromversorger eingeführt werden, dass sie den Haushalten neben Kontrakten mit variablen Preisen auch solche mit beispielsweise für ein Jahr fixierten Preisen anbieten.

VSE begrüsst moderate Vorschläge

Während die Anpassungen im Endkundenmarkt auf die Schweiz kaum einen direkten Einfluss haben, könnten die Änderungen im Grosshandelsmarkt auch die Schweiz beeinflussen oder Signalwirkung entfalten. Der VSE hatte die Entwicklung in der EU daher eng verfolgt. Der VSE begrüsst, dass die Vorschläge der EU-Kommission für die Reform des Strommarktes moderat ausfallen. Dazu trägt insbesondere der Entscheid der Kommission bei, an den Grundmechanismen der kurzfristigen Märkte nicht zu rütteln. Die Kurzfristmärke signalisieren Knappheit respektive Überangebot und tragen so zu einem effizienten Kraftwerkseinsatz und Verbrauch bei. Auch die Etablierung von PPA-Märkten stuft der VSE positiv ein. Sie sorgen in Ergänzung zu einer Beschaffung an den kurzfristigeren Märkten dafür, dass Preisschwankungen auf den kurzfristigen Märkten für Produzenten und Verbraucher abgefedert werden. Für die Schweiz wäre es wichtig, dass auch grenzüberschreitende PPA ermöglicht werden.

PPA

Bei einem langfristigen «Stromverkaufsvertrag» (Power Purchase Agreement - PPA) handelt es sich um langfristige Verträge meist zwischen Anlagenbesitzern und grossen Verbrauchern. Diese sehen vor, dass – in der einfachsten Ausgestaltung – ein Anlagenbesitzer direkt Strom aus dieser Anlage / diesem Kraftwerk an einen Abnehmer liefert, und das über einen längeren Zeitraum. Der entsprechende Markt ist allerdings noch nicht überall in der EU sehr etabliert. Ein Grund dafür ist die Langfristigkeit und die damit verbunden Risiken (Gegenparteirisiken, Preiserwartungen, etc.).

Die EU verzichtet darauf, die als Notfall-Massnahme temporär eingeführte Erlösobergrenze für inframarginale Erzeugungstechnologien weiterzuführen. Dies ist ebenfalls positiv zu werten. Eine Erlösobergrenze birgt die Gefahr, dass Bestandsanlagen unrentabel werden und halten Investoren von Investitionen in neue langfristige Energieinfrastrukturen ab.

Grenzüberschreitender Handel verbessern

Für die Schweiz ist es zentral, dass der grenzüberschreitende Austausch der EU mit sehr gut vernetzten Drittstaaten, zu welchen die Schweiz zählt, verbessert wird. Die in der Schweiz vorhandene Flexibilität kann einen wichtigen Beitrag zur Versorgungsicherheit in ganz Europa und somit auch in der Schweiz leisten und sollte daher über die EU-Grenzen hinweg besser integriert werden.

Der Vorschlag der EU-Kommission für die Reform der Strommarktes geht nun in das ordentliche Gesetzgebungsverfahren im Europäischen Parlament und im Europäischen Rat. Es wird angestrebt, noch vor Ende des Jahres eine Einigung zu erzielen.