EZ2050

Wasserstoff, Netzkosten, Importabhängigkeit

28.07.2023
Rund 40 Expertinnen und Experten aus den Mitgliedunternehmen des VSE konnten an drei Workshops Fragen zur «Energiezukunft 2050» stellen und ihre Anmerkungen an die Studienleitung und die Empa herantragen. Projektleiter und VSE Geschäftsleitungsmitglied Thomas Marti verrät im Interview, welche Themen den Branchenexpertinnen und -experten unter den Nägeln brannten und welche Erkenntnisse er von der Verteilnetzstudie des VSE erwartet.

Die Ergebnisse der «Energiezukunft 2050» wurden im Dezember veröffentlicht. Was war das Ziel der drei Expertenworkshop, die im Frühling stattfanden?

Wir präsentierten die Ergebnisse unseren Mitgliedern bereits im Dezember kurz nach der Veröffentlichung in einer Online-Session und mit einem Sondernewsletter, zudem waren wir an vielen Veranstaltungen auf der Managementebene präsent. Es war uns aber ein Anliegen, den Dialog zu vertiefen und die Ergebnisse auch mit den Expertinnen und Experten unserer Mitgliedunternehmen zu diskutieren. Die Simulation des Gesamtenergiesystems, wie wir sie zusammen mit der Empa durchgeführt haben, ist ein komplexes Unterfangen, das auf vielen Annahmen und Daten basiert. Da geht es um viel Theorie und es ist immer gut, wenn diese mit der Praxis verbunden wird. Diese Stimmen, auch kritische, wollten wir einfangen. Denn wir möchten unsere Simulationen und Zukunftsszenarien weiterentwickeln, um möglichst genau zu wissen, was es für eine sichere, klimaneutrale und bezahlbare Energiezukunft braucht.

In welchen Aspekten zeigte sich denn eine vermeintliche Kluft zwischen Theorie und Praxis?

Die Expertinnen und Experten merkten zum Beispiel an, dass es insbesondere bei den Themen Wasserstoff und Importabhängigkeit eine grosse Lücke zwischen den Ergebnissen der «Energiezukunft 2050» und der heutigen Realität und politischen Diskussion gibt. Angeregt haben wir auch darüber diskutiert, ob und inwiefern sich die Klimaveränderungen auf die Wasserkraftproduktion auswirken werden.

Das Thema Wasserstoff generierte über alle drei Workshops gesehen den grössten Diskussionsstoff. Worum ging es konkret?

In der Studie nehmen wir an, dass Europa bis 2040 im grossen Stil eine Wasserstoffinfrastruktur aufbaut, von der auch die Schweiz profitiert, sofern sie energiepolitisch bis dann enger mit der EU zusammenarbeitet. Die Rückmeldungen suggerierten, dass diese Entwicklungen mit viel Hoffnung verbunden und Annahmen wie auch Stellenwert, die dem Wasserstoff im zukünftigen Energiesystem eingeräumt wird, verglichen mit anderen Studien sehr optimistisch sind. Es wurde auch nachgebohrt, wieso der Wasserstoff-Import günstiger sei, als wenn Wasserstoff im Inland hergestellt würde, und unter welchen Umständen eine wirtschaftliche inländische Wasserstofferzeugung möglich wäre.

Thomas Marti, Projektleiter der «Energiezukunft 2050» und Leiter Netze und Berufsbildung beim VSE.

Zu Wasserstoff gibt es also noch grosse Wenn und Aber…

Die Unsicherheiten sind nachvollziehbar, da die für 2022 versprochene Wasserstoffstrategie des Bundes noch immer nicht erschienen ist. Der VSE ist der Meinung, dass Wasserstoff ein vielversprechender Energieträger ist und vor allem auch grossen Vorteile für die Winterversorgung bringen würde. Die Option gilt es seriös zu prüfen. Viele unserer Mitglieder betreiben auch Gasnetze und brauchen diesbezüglich Planungssicherheit. Je länger die Behörden abwarten, bis eine strategische Richtung gewählt wird, desto weniger wird in das Gasnetz investiert. Die strategischen Entscheide dürfen nicht zu lange hinausgezögert werden. Ansonsten riskieren wir, dass irgendwann bestimmte Richtungen nicht mehr offenstehen.

Obwohl die Importabhängigkeit bei der Energie insgesamt um den Faktor 4 bis 6 reduziert werden kann, steigt durch die Elektrifizierung der Importbedarf beim Strom im Winter von heute 3 auf 7-9 Terawattstunden – je nach Szenario. Bestehen diese Importkapazitäten überhaupt?

Diese Frage haben die Expertinnen und Experten uns auch gestellt. Die Importabhängigkeit im Winter darf nicht zu hoch sein, das ist klar. Fakt ist aber auch, dass die Schweiz seit jeher Strom mit dem Ausland austauscht – in beide Richtungen, zum beiderseitigen Vorteil. Der «Traum» der Autarkie hätte nicht nur negative Auswirkungen auf die Resilienz des Versorgungssystems, sondern wäre auch sehr teuer. Gemäss unserem Modell bestehen die Netzkapazitäten für den Import, auch die Energie dürfte im Ausland vorhanden sein. Es wäre aber auch hier für die Schweiz von Vorteil, wenn mit der EU ein Energieabkommen bestünde.

Auch die berechneten jährlichen Kosten des zukünftigen Energiesystems gaben zu reden: In allen Szenarien fallen sie tiefer aus als im heutigen Energiesystem. Doch noch sind die Netzkosten nicht bekannt. Ist eine Kostenaussage, ohne alle Faktoren berücksichtigt zu haben, zulässig?

Ja, denn wir können zeigen, dass die jährlichen Systemkosten je nach Szenario im Vergleich zum heutigen System um 1 bis 5 Milliarden Franken reduziert werden können. Die Annahme ist plausibel, dass auch mit den Netzkosten die Kosten für das gesamte umgebaute Energiesystem höchstens gleich hoch sind wie heute. 

Energiezukunft 2050


Resultate und Spotlights   Grafiken   Über die Studie