GFS-Umfrage: Bevölkerung will die Energiewende für mehr Unabhängigkeit und Versorgungssicherheit

31.05.2023
Die Schweizer Bevölkerung unterstützt mit grosser Mehrheit den inländischen Ausbau der erneuerbaren Energien, weil dies die Versorgungssicherheit stärkt, die Auslandabhängigkeit bekämpft und gelebter Umweltschutz ist. Die Versorgungssicherheit geniesst im Trilemma mit Klimaschutz und bezahlbaren Strompreisen oberste Priorität. Das sind die Ergebnisse einer repräsentativen Umfrage von gfs.bern im Auftrag des VSE.

Die Energiekrise, die teils happigen Strompreiserhöhungen und das Risiko einer Energiemangellage prägten das letzte Jahr und den zu Ende gegangenen Winter. An der Zustimmung für den aktuellen energiepolitischen Kurs haben diese aussergewöhnlichen Umstände aber nichts geändert, im Gegenteil. Die Schweizer Bevölkerung bekennt sich klar zur eingeschlagenen Stossrichtung: Insgesamt 59% der Bevölkerung ist mit der aktuellen Schweizer Energiepolitik eher oder sehr einverstanden. Verglichen mit derselben Umfrage von vor einem Jahr bedeutet dies eine Zunahme von 3%.

Die Zustimmung zur aktuellen Energiepolitik besteht ungeachtet der Tatsache, ob man auf dem Land oder in der Stadt wohnt. Sie ist auch geschlechter- und altersunabhängig und bis auf eine Ausnahme auch keine Frage der Parteizugehörigkeit. Einzig die SVP-Anhängerschaft ist eher oder überhaupt nicht einverstanden mit der energiepolitischen Stossrichtung (53% Ablehnung).

68% der Befragten sind mit der Aussage einverstanden, dass die Energiewende in der Schweiz viel zu langsam vorwärts gehe. Eine Mehrheit ist aber auch der Meinung, dass erneuerbare Energien nicht ausreichten, um den Strombedarf zu decken (63%). Trotzdem erhält die Aussage, dass das generelle Verbot der Atomtechnologie den Handlungsspielraum einschränke, keine mehrheitliche Zustimmung (44%).

Erneuerbare Energien für Versorgungssicherheit, Unabhängigkeit und Klimaschutz

Aus den Umfrage-Ergebnissen geht hervor, dass die Bevölkerung den inländischen Ausbau der erneuerbaren Energie als Lösung für verschiedene Baustellen versteht.

  1. Die Versorgungssicherheit stärken

Die Versorgungssicherheit geniesst weiterhin absolute Priorität in der Bevölkerung. Unverändert im Vergleich zur letztjährigen Umfrage sind die Befragten der Meinung, dass die Gewährleistung der Versorgungssicherheit die Kernaufgabe der Energiepolitik sein muss (50%). Dass Strom bezahlbar und klimaneutral produziert werden soll, sind mit je rund 25% Zustimmung eindeutig sekundäre Aufgaben. Die Prioritätensetzung unterscheidet sich nach Parteisympathie: Während für Mitte-Rechts-Anhänger/innen Versorgungssicherheit und nachgelagert ein bezahlbarer Strompreis entscheidend sind, sind es für GLP- und SP-Wählende gleichermassen die Versorgungssicherheit und die klimaneutrale Produktion. Nur Grünen-Wähler/innen ordnen die Versorgungssicherheit einer anderen Aufgabe unter: Sie priorisieren klar die klimaneutrale Stromproduktion.

  1. Die Importabhängigkeit vom Ausland reduzieren

Die erneuerbaren Energien ausbauen, um die Energieabhängigkeit vom Ausland zu bekämpfen, ist der wichtigste Grund, um mit der aktuellen energiepolitischen Stossrichtung einverstanden zu sein. 76% der Befragten wünschen sich mehr Unabhängigkeit vom Ausland. Dies vor allem auch, um die Abhängigkeit von fossilen Energien aus nicht-demokratischen Ländern zu stoppen (71%). Fast vier von fünf Befragten erachten mehr Stromimporte aus dem Ausland als nicht sinnvoll, um eine Strommangellage zu verhindern. Weiter sieht eine klare Mehrheit (58%) auch Investitionen im Ausland in den Ausbau der erneuerbaren Energien kritisch.

  1. Klima und Umwelt schützen

Fast vier von fünf Befragten stimmen grundsätzlich der Aussage zu, dass die Förderung von erneuerbaren Energien gelebter Umweltschutz sei. Eine carte blanche für die Energiewende soll es aber nicht geben: 63% sind der Meinung, dass man Landschaft und Natur nicht kompromisslos dem Ausbau der erneuerbaren Energien opfern soll. Trotzdem befürworten, 59% der Befragten, dass für die erneuerbaren Energien deutliche Abstriche beim Umweltschutz gemacht werden. Eine überwältigende Mehrheit (69%) ist darüber hinaus bereit, die Beschwerdemöglichkeiten im Energiebereich einzuschränken, damit der Ausbau neuer Energieinfrastruktur schneller vorangeht. Die Aussage, dass ohne sofortigen Umstieg auf erneuerbare Energien die Klimakatastrophe nicht mehr abzuwenden sei, erfährt ebenfalls hohe Zustimmung (57%).

Hohe Akzeptanz für die Erneuerbaren, keine Mehrheit für die Kernkraft

Dass die Bevölkerung hinter den erneuerbaren Energien steht, verdeutlichen die hohen Zustimmungswerte für die verschiedenen Produktionstechnologien: Solaranlagen auf Gebäuden und Fassaden = 97%, Wasserkraft = 89%, Windkraft = 76%. Unbestritten ist der Rückhalt der Bevölkerung für den PV-Ausbau auf bestehender Infrastruktur (z.B. Autobahnen, Staumauern) sowie auf geeigneten Dächern und Fassaden. Nicht überzeugt ist die Bevölkerung jedoch von grossen Solaranlagen in den Bergen und auf Freiflächen. Sie befürwortet aber eindeutig neue Stauseen an Standorten, wo früher ein Gletscher war, und Windräder, die vom eigenen Haus aus auf dem Hügel sichtbar sind. Auch gegenüber dem Ausbau anderer Energieformen wie Biomasse, Geothermie und Wasserstoff zeigt sich die Bevölkerung mit jeweils grossen Mehrheiten offen.

Die Kernkraft spielt für die Bevölkerung im künftigen Energiesystem keine Rolle. Weder der Bau von neuen Kernkraftwerken der aktuellen Generation, wie sie heute im Betrieb sind und u.a. von Frankreich und Finnland gebaut werden, als auch der vierten Generation, die derzeit erforscht und entwickelt wird, findet in der Bevölkerung eine Mehrheit: nur 34% befürworten erstere, 43% letztere. Dass die Kernkraft in der Bevölkerung wenig Kredit hat, untermauert auch die tiefe Zustimmung (35%) auf die Frage, ob einem ein neues AKW lieber sei als unzählige neue Kraftwerke (z.B. Windräder, Solaranlagen in den Bergen und Staumauern).

Energiewende darf etwas kosten

Die Bevölkerung ist grundsätzlich nicht der Meinung, dass die Energiewende zu teuer ist (52% lehnen diese Aussage ab). Die Kosten spielen vielmehr eine untergeordnete Rolle: Gemäss einer Mehrheit muss die Energiewende konsequenter und ungeachtet der Kosten vorangetrieben werden. Neun von zehn Befragen wären auch bereit, selbst in die Energieproduktion zu investieren. Unbestritten für die Befragten ist, dass Energieeffizienz gefördert werden soll. Entsprechend besteht auch hier eine Zahlungsbereitschaft. 70% würden tausend Franken und mehr für den Ersatz alter Haushaltsgeräte mit hohem Strombedarf in die Hand nehmen. Ab einer Schwelle von zehntausend Franken sinkt jedoch die Bereitschaft unter die 50%-Schwelle, in eine PV-Anlage oder in die Gebäudesanierung zu investieren. Eine klare Mehrheit (72%) ist zudem bereit, auf liebgewonnene Gewohnheiten zu verzichten, um durch die Senkung des eigenen Stromverbrauchs an die Versorgungssicherheit beizutragen.

Breiter Rückhalt für ein Stromabkommen

Die breit angelegte VSE Studie «Energiezukunft 2050» hat unlängst die Vorteile einer engen energiepolitischen Kooperation mit der EU gezeigt, um die Energie- und Klimaziele der Schweiz zu erreichen. Laut der vorliegenden Umfrage würden 73% der Bevölkerung den Abschluss eines Stromabkommens mit der EU begrüssen. Die Zustimmung beträgt auch dann noch über 50%, wenn die Schweiz dafür Kompromisse eingehen müsste. Dass die Zustimmung abnimmt, hängt mit der deutlichen Ablehnung der FDP- und SVP-Zugehörigen zusammen, sobald Kompromisse für ein Stromabkommen nötig wären. Alle anderen Parteisympathisierenden würden die Kompromisse in Kauf nehmen.

Einordnung des VSE: Erneuerbare endlich ausbauen

Dass sich die Turbulenzen des vergangenen Jahres im Energiebereich nicht in der Zustimmung für die eingeschlagene Stossrichtung niederschlägt, zeigt aus Sicht des VSE, wie gross der Rückhalt für den Ausbau aller erneuerbaren Energien in der Bevölkerung ist. Dennoch deutet die Analyse von gfs.bern darauf hin, dass die Bevölkerung energiepolitischen Fragen neu mit etwas mehr Pragmatismus gegenübertritt als noch vor einem Jahr. Dies führt VSE Direktor Michael Frank darauf zurück, dass es trotz realen Risikos letzten Winter nicht zu einer Mangellage gekommen ist: «Hätte es einen Versorgungsengpass gegeben, würde die Bevölkerung mit Sicherheit stärker Druck auf die Politik ausüben und verlangen, dass in der Energiepolitik endlich die Handbremse gelöst wird.» Die Schmerzgrenze sei noch nicht erreicht.

Dabei wäre es höchste Zeit, aus den Versäumnissen der letzten Jahre zu lernen, sagt Michael Wider, Präsident des VSE. «Wir müssen bis 2050 pro Jahr 1.3 Terawattstunden zubauen, wenn wir die Versorgungssicherheit gewährleisten und die Klimaneutralität erreichen wollen. Bis 2050 wird die Stromnachfrage auf 80-90 TWh pro Jahr steigen.» Er bezieht sich dabei auf die Resultate der wissenschaftlichen Studie «Energiezukunft 2050», die der VSE zusammen mit der Empa gemacht hat. Sie besagen, dass eine hohe Akzeptanz für neue Energie-Infrastrukturen sowie eine enge Zusammenarbeit mit der EU Bedingungen für ein robustes und ökonomisch effizientes Energiesystem sind.

Dass die Bevölkerung eine schnellere Energiewende befürwortet und die Akzeptanz für den Ausbau von PV, Wasser- und Windkraft gross ist, zeigt die vorliegende Umfrage deutlich. Michael Wider hofft deshalb, dass jetzt ein Ruck durch die Politik gehe, und dass das Parlament den Mantelerlass, ein wichtiger Meilenstein zur Erreichung der Energie- und Klimaziele der Schweiz, zügig verabschiedet: «Wir alle müssen der Bevölkerung den Beweis erbringen, dass wir all die Projekte für den Ausbau der erneuerbaren Energien, die aktuell blockiert sind oder in der Pipeline stehen, und die dafür notwendige Weiterentwicklung der Stromnetze tatsächlich realisieren können.»

Details zur Umfrage

Die repräsentative Umfrage wurde im April 2023 vom Meinungsforschungsinstitut gfs.bern im Auftrag des Verbands Schweizerischer Elektrizitätsunternehmen VSE durchgeführt. Befragt wurden mittels Telefon- und Onlinepanel-Befragung 1'003 Stimmberechtige in der Schweiz. Der Stichprobenfehler liegt bei +/- 3.1 Prozent bei 50/50 und 95-prozentiger Wahrscheinlichkeit.

Zusammenfassung von gfs.bern   Präsentation zur Medienkonferenz