Schützen oder nutzen? Beides!

Die Interessen an der Nutzung von erneuerbaren Energien dienen vor allem dem Klimaschutz. Die konsequente Umsetzung der Energie- und Klimastrategie stellt damit auch einen wichtigen Beitrag zum Schutz und zur Förderung der Biodiversität dar.
06.09.2021
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Die Energieversorgung mit erneuerbaren Energien ist eines der wesentlichen Fundamente des Klimaschutzes. Die Massnahmen zum Klimaschutz stellen wiederum die Grundlage für den Erhalt der natürlichen Lebensgrundlagen und damit auch der Biodiversität dar. Da aber auch eine Energieversorgung mit erneuerbaren Energien nicht ohne Eingriffe in die Umwelt möglich ist, braucht es eine vorgängige und verlässliche Güterabwägung zwischen verschiedenen Schutz- und Nutzungsinteressen aus gesamtgesellschaftlicher Sicht. Dabei darf nicht ausser Acht gelassen werden, dass die Interessen an der Nutzung von erneuerbaren Energien vor allem dem (Klima-)Schutz dienen. Die konsequente Umsetzung der Energie- und Klimastrategie stellt damit einen wichtigen Beitrag zur Förderung der Biodiversität dar.

Der Bundesrat hat am 18. Juni 2021 das Bundesgesetz für eine sichere Versorgung mit erneuerbaren Energien verabschiedet und ins Parlament gebracht. Mit der Vorlage, welche die Revision des Energie- und des Stromversorgungsgesetzes vorsieht, will er den Ausbau der einheimischen erneuerbaren Energien sowie die Versorgungssicherheit der Schweiz stärken, auch im Winter. Der Bundesrat macht in seiner Medienmitteilung klar, dass es eine umfassende Elektrifizierung im Verkehrs- und Wärmesektor braucht, um die Ziele der Energie- und Klimastrategie der Schweiz zu erreichen. Dazu muss die inländische Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien rasch und konsequent ausgebaut werden. Bundesrätin Simonetta Sommaruga fordert auch die Branche auf, ihren Beitrag zu leisten und zeitnah den notwendigen Ausbau im Inland zu realisieren.

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Obwohl erneuerbar und frei von CO2-Emissionen, erwächst geplanten Windkraftprojekten in der Schweiz noch immer starker Gegenwind. (Bild: Lukas Bieri/pixabay)

Mit dem Bundesgesetz wird tatsächlich eine wichtige Grundlage für bessere Rahmenbedingungen für den Ausbau der erneuerbaren Energien und die Versorgungssicherheit in der Schweiz geschaffen. Doch das allein reicht nicht. Denn vielfach hapert es an der konkreten Umsetzung von Projekten in der Schweiz, die mit Widerstand und jahrelangen Verfahren konfrontiert sind. Für die Realisierung von Projekten im Bereich Wasser und Wind vergehen so schnell einmal 10 bis 20 Jahre, bis sämtliche Fragen – auch vor Gericht – geklärt sind. Ohne eine übergeordnete Güterabwägung und eine breite Akzeptanz solcher Anlagen in der Bevölkerung lassen sich die Ziele der Energie- und Klimastrategie bis 2035 respektive 2050 nicht umsetzen. Im heutigen Tempo bräuchte die Schweiz dazu nämlich über 100 Jahre!

Als wären die aktuellen Hürden nicht schon hoch genug, kommen mit der Biodiversitätsinitiative und dem Gegenvorschlag des Bundesrats neue Hürden auf die Branche zu. Die Biodiversitätsinitiative sieht eine starke Ausweitung von Schutzgebieten und des Schutzstatus vor. Sie steht damit dem Ausbau der erneuerbaren Energie diametral entgegen. Auch der – moderatere – Gegenvorschlag fordert eine Ausweitung der Schutzflächen für die Biodiversität von 13,4 % auf 17 % der Landesfläche (ohne die Gebiete im BLN {Bundesinventar der Landschaften und Naturdenkmäler} mitzurechnen). Die bereits bestehenden Fronten zwischen dem Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen und der wirtschaftlichen Nutzung der verfügbaren erneuerbaren Ressourcen werden sich somit unweigerlich verschärfen. Dabei wird vergessen, dass die heimische erneuerbare Energieversorgung mit ihrem Beitrag zum Klimaschutz auch wesentlich dem Schutz der Biodiversität dient.

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Bei der Photovoltaik im alpinen Raum (im Bild im Säntis-Gebiet) besteht ein grosses Ausbaupotenzial, das bislang noch nicht erschlossen werden kann. Die Widerstände gegen entsprechende Projekte sind nach wie vor gross. (Bild: pasja1000/pixabay)

Energie- und Klimastrategie des Bundes sind Teil der Lösung

Das Ziel, die natürliche Lebensgrundlage zu schützen, braucht eine nachhaltige Entwicklungsstrategie. Eine wichtige Grundlage zum Erhalt der natürlichen Lebensgrundlagen und damit der Biodiversität ist der Klimaschutz. Der Klimawandel stellt gemäss dem Weltbiodiversitätsrat eine der grössten Bedrohungen für die Biodiversität dar. Bereits bei einer Erderwärmung um 2 Grad würden 18 % der Insekten, 16 % der Pflanzen und 8 % der Wirbeltiere ihren Verbreitungsraum verlieren. Die Schweiz ist durch ihre geografische Lage und topografische Struktur von der Klimaerwärmung besonders stark betroffen. Deren Auswirkungen betreffen auch die Biodiversität, und Veränderungen sind bereits heute spürbar.

Eine Dekarbonisierung der Energieversorgung ist daher unabdingbar – auch um den Druck auf die Biodiversität durch den Klimawandel zu reduzieren. Dazu ist ein Umbau des Energiesystems hin zu erneuerbaren Energien vordringlich. Der Stromsektor trägt durch die Umsetzung der Energiestrategie 2050 und der Klimastrategie des Bundes direkt und massgeblich zum Erhalt der Biodiversität bei.
Die sichere Energieversorgung basierend auf erneuerbaren Energien bildet das Rückgrat einer nachhaltigen Wirtschaft und einer fortschrittlichen Gesellschaft und erfüllt Aufgaben des öffentlichen Interesses. Der Gesetzgeber hat entsprechend im Rahmen der Energiestrategie 2050 und der Strategie Stromnetze vorgesehen, dass der Ausbau der erneuerbaren Energien und die Bereitstellung der nötigen Netzinfrastruktur nationale Interessen darstellen. Infolgedessen ist die Umsetzung der Energie- und Klimastrategie des Bundes mit anderen nationalen Interessen zumindest gleichgestellt.

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Die Wasserkraft ist das Herzstück des angestrebten neuen Energiesystems. Ausbauprojekte wie hier an der Trift sind allerdings oft langwierige Angelegenheiten, und das, obwohl hier auch Umweltorganisationen in die Planung miteinbezogen wurden. (Bild: KWO/David Birri)

Das Gesamtinteresse der Gesellschaft erfordert auch künftig Eingriffe in die Umwelt

Der Wunsch der Biodiversitätsinitiative und des Gegenvorschlags, die Flächen von Schutz- und Schongebieten zu erweitern, steht jedoch in einem Konflikt zu den Zielen der Energie- und Klimastrategie und einer sicheren und nachhaltigen Stromversorgung.

Für eine Energieversorgung basierend auf erneuerbaren Energien braucht es einerseits Erzeugungsanlagen, Speicher und die notwendige Netzinfrastruktur zur Erschliessung dieser Anlagen sowie der Verbrauchsstätten, und andererseits die dafür geeigneten Standorte. Diese Standorte können nicht beliebig gewählt werden, sondern hängen vom jeweiligen örtlichen Energieangebot ab – Flussläufe, Windaufkommen, Anfall von Biomasse, Sonnen­einstrahlung. Zudem besteht eine gesetzliche Pflicht, alle Produktionsanlagen und Verbrauchsstätten mit der notwendigen Netzinfrastruktur zu erschliessen. Der Ausbau der erneuerbaren Energien zur Dekarbonisierung der Energieversorgung wird daher dazu führen, dass der Flächenbedarf der Energie-Infrastruktur inner- und ausserhalb von Siedlungsgebieten zunimmt. Auch eine Energieversorgung allein mit erneuerbaren Energien ist somit nicht ohne Umwelteingriffe möglich.

Um das Ziel der Klimaneutralität ab 2050 zu erreichen, schätzen die Energieperspektiven 2050+ des Bundes, dass sich die Produktion aus den erneuerbaren Energien Photovoltaik, Windenergie, Biomasse und Geothermie bis 2050 verzehnfachen muss. Der Hauptteil dieses Zubaus wird auf die Photovoltaik entfallen. Gerade für den Winter wird es jedoch alle erneuerbaren Energien brauchen, inklusive Windenergie, Biomasse, alpine Photovoltaik und Wasserkraft. Nur so kann die Versorgungssicherheit durch einen angemessenen Anteil an Produktion im Inland sichergestellt werden. Die Wasserkraft bildet heute und auch in Zukunft das Rückgrat der erneuerbaren Energieversorgung der Schweiz und erbringt insbesondere auch unverzichtbare Speicher- und Flexibilitätsleistungen. Die Energieperspektiven 2050+ unterstellen daher auch für die Wasserkraft im Jahr 2050 eine Mehrproduktion von rund 10 %. Dabei wird allein der Erhalt der bestehenden Produktion zur Herausforderung, da erhebliche Produktionsverluste bei den bestehenden Anlagen zu kompensieren sind, die durch die Erhöhung der Restwassermengen entstehen.

Es braucht eine übergeordnete Güterabwägung

Die aktuelle politische Diskussion ist geprägt von Auseinandersetzungen zwischen Akteuren, welche den Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen im Fokus haben, und solchen, welche die wirtschaftliche Nutzung der verfügbaren natürlichen Ressourcen anstreben. Diese Auseinandersetzungen dürften sich angesichts des zunehmenden Spannungsfelds zwischen Schutz- und Nutzungsinteressen weiter verschärfen, solange sie nicht auf politischer Ebene im Rahmen einer übergeordneten Güterabwägung beigelegt werden.

Heute wird die Güterabwägung erst am konkreten Projekt und in jedem Einzelfall vorgenommen. In vielen Fällen können zwischen den Projektanten, den lokalen Behörden und den lokalen Organisationen nur zum Preis von jahrelangen Verhandlungen und Verfahren praktikable Lösungen gefunden werden. Die Klärung von grundlegenden Interessenskonflikten wird heute implizit an die Gerichte delegiert. Dies kann nicht im Interesse einer zügigen Umsetzung der Energie- und Klimastrategie des Bundes sein und bedarf einer grundsätzlichen politischen Klärung.

Die übergeordneten Interessen am Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen und am Schutz des Klimas sind gemeinsam mit anderen, ebenfalls im nationalen Interesse liegenden Aufgaben in einer vorgängigen politischen Güterabwägung ausgewogen zu berücksichtigen. Diese Güterabwägung ist durch eine gemeinsame Strategie auf Bundesebene zu klären und mit verbindlichen Vorgaben zu konkretisieren. So kann für alle Beteiligten Rechts- und Planungssicherheit geschaffen werden.

Die klima- und energiepolitischen Interessen sowie das Interesse an einer sicheren Energieversorgung sind dabei immer als mindestens gleichwertig mit dem Interesse am Schutz der Biodiversität zu betrachten und miteinzubeziehen. Im Interesse einer erneuerbaren Energieversorgung müssen Eingriffe in die Umwelt möglich bleiben. Nur so kann die Energieversorgung zum Klimaschutz und den natürlichen Lebensgrundlagen und damit der Biodiversität entscheidend beitragen.

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Energie aus fossilen Quellen hat weder politisch noch gesellschaftlich eine Zukunft. (Bild: Skitterphoto/pixabay)

Nutzung und Schutz müssen nicht im Widerspruch zueinander stehen

Dass Energie-Infrastrukturen und der Erhalt von Natur und Umwelt nicht im Widerspruch zueinander stehen müssen, zeigen schon heute verschiedene realisierte Energie-Infrastrukturprojekte. In vielen Fällen ist gerade die energiewirtschaftliche Nutzung verantwortlich dafür, dass ein Schutzobjekt entstanden ist. Beispiele sind etwa das Grimsel- und Oberaarschutzgebiet, der Klingnauer Stausee, der Lac de la Gruyère, der Wohlensee, der Stausee Niederried, Teile des Val d’Arolla sowie das Val Ferret. Die langfristig stabilen Energie-Infrastrukturen können auch die Möglichkeit von extensiver Landnutzung mit ökologischem Mehrwert bieten. Dies geschieht beispielsweise durch die Entstehung von Biotopen bei Mastfundamenten des Übertragungsnetzes, durch die Schaffung von Raum für Flora und Fauna durch Niederhalteservitute oder durch Wildtierkorridore entlang von Stromleitungen.

Die Strombranche ist somit verlässliche Partnerin beim Betrieb und bei der Realisierung von nachhaltigen Energie-Infrastrukturanlagen, die auch für die lokal ansässige Bevölkerung und Wirtschaft einen spürbaren Mehrwert stiften. Dieser Mehrwert betrifft nicht nur die Energiegewinnung sowie die Pflege und Instandhaltung von ökologisch wertvollen Gebieten oder touristischen Nutzungen, sondern umfasst insbesondere bei der Wasserkraft auch existenziell relevante Massnahmen im Bereich Hochwasserschutz, Schutz vor Murgängen und Sicherstellung der Wasserversorgung.

Gemeinsam und konsequent am gleichen Strick ziehen

Der Klimawandel stellt mit Abstand die grösste gesellschaftliche Herausforderung der nächsten Jahrzehnte dar. Eine rasche Umsetzung der Energie- und Klima­strategie ist daher von Nöten. Dazu braucht es insbesondere einen konsequenten Ausbau der erneuerbaren Energien.

Der Wille zur Energie- und zur Klimastrategie allein auf dem Papier reicht nicht. Ganz konkret braucht es auch die breite Akzeptanz von Seiten der Politik und der Gesellschaft. Diese muss sich nicht nur in der Energiepolitik und ihren Rahmenbedingungen, sondern auch in anderen Politikbereichen wie der Umweltpolitik widerspiegeln.

Forderungen nach einem maximalen Schutz verunmöglichen den Ausbau der erneuerbaren Energien. Denn auch eine erneuerbare Energieversorgung ist mit Eingriffen verbunden, die sich nachteilig auf Natur und Landschaft auswirken können. Sie ist jedoch das Fundament des Klimaschutzes – der Grundlage für den Erhalt der natürlichen Lebensgrundlagen und damit auch der Biodiversität. Es braucht nun eine Güterabwägung im Gesamtinteresse der Gesellschaft und das klare Bekenntnis von allen Seiten, damit tragfähige Lösungen für eine Energieversorgung basierend auf erneuerbaren Energien entstehen können.
 

Initative geht zu weit

Der VSE lehnt die Biodiversitätsinitiative als zu weitgehend ab. Er bevorzugt einen massvollen Gegenvorschlag auf Gesetzesstufe. Jedoch muss dieser mit der Gewährleistung einer sicheren Versorgung mit erneuerbarer Energie, der Bereitstellung eines effizienten Netzes und mithin der Umsetzung der Energie- und Klimastrategie vereinbar sein.

- Stellungnahme zur Revision des Bundesgesetzes über den Natur- und Heimatschutz (NHG) als indirekter Gegenvorschlag zur Volksinitiative «Für die Zukunft unserer Natur und Landschaft (Biodiversitätsinitiative)»