La forza del destino

16.02.2023
Vorerst liege die Schweiz noch mitten in Europa, doch wie lange noch...? Mit Blick auf die Energieversorgung hat diese am letzten Stromkongress aufgeworfene Frage durchaus ihr Wahres.

Heute ist die Schweiz eng in die europäische Energieinfrastruktur eingebettet. Sie ist mit dem «Stern von Laufenburg» die Wiege des Stromverbundnetzes und an über 40 Punkten mit dem angrenzenden Ausland verknüpft. Auch beim Gas erscheint die Schweiz prominent auf der europäischen Energiekarte, denn mit der Transitgasleitung führt eine Nord-Süd-Hauptschlagader mitten durch unser Land.

Doch diese Symbiose bekommt zusehends bedrohliche politische Risse. Ohne stabile Grundlage für die grenzüberschreitende Zusammenarbeit wird die Schweiz immer mehr von europäischen Plattformen abgeschottet. Dies könnte sich auch in der Infrastrukturentwicklung niederschlagen. Dann nämlich, wenn in der EU Tendenzen Überhand gewinnen, die die Rechnung beim Kraftakt der defossilisierten Energieversorgung lieber ohne die widerspenstigen und unberechenbaren Eidgenossen machen wollen, und der Aufbau des künftigen Energieleitungsnetzes kurzerhand um die Schweiz herum vollzogen wird.

Sollte es sich bewahrheiten, dass die Schweiz mangels politischer Einigung langsam von der europäischen Energiekarte verschwindet, hätte dies einschneidende Folgen.

Nebst weiter steigenden Risiken, insbesondere für die Stabilität des Stromnetzes, würde die Schweiz dadurch auch wichtiger Optionen für ihre Energieversorgung beraubt. Die Ende 2022 publizierte VSE-Studie «Energiezukunft 2050» kommt nämlich zum Schluss, dass Wasserstoff für die Stärkung unserer Versorgungssicherheit im Winter ab 2040 ein Game Changer sein kann. Voraussetzung dafür ist jedoch, dass die Schweiz Zugang hat zum künftigen Wasserstoff-Backbone. Diese Initiative von 31 Energieinfrastrukturbetreibern mit starkem politischem Sukkurs will innert weniger Jahre eine europaweite Transportinfrastruktur für Wasserstoff aus dem Boden stampfen – mit oder ohne die Schweiz.

Sollte es sich bewahrheiten, dass die Schweiz mangels politischer Einigung langsam von der europäischen Energiekarte verschwindet, hätte dies einschneidende Folgen: Die Stromimportkapazitäten würden stark eingeschränkt, Netz und – noch stärker im Inland auszubauende – Produktion müssten regelmässig am Limit bewirtschaftet werden. Die Diversifizierung insbesondere in Richtung Wasserstoff würde massiv erschwert, die Energieversorgung insgesamt teurer und – vor allem – viel weniger robust, als wenn sie wie bis unlängst im grossen Kontext eingebettet ist.

Physik und Geografie sind eine unerbittliche, ja schicksalhafte Realität… Zuweilen scheint es, die Beziehungen zwischen der Schweiz und der EU seien mit einem bösen Fluch belegt, ähnlich wie die Hauptfiguren in der Oper von Giuseppe Verdi. Damit die Geschichte nicht ebenso dramatisch endet, wären beide Seiten gut beraten, jeglichen ideologischen Ballast endlich über Bord zu werfen und auf eine gemeinsame, konstruktive und zukunftsfähige Lösung hinzuarbeiten.

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Bereichsleiter Public Affairs des VSE

Dominique Martin

Unter der Rubrik "Die politische Feder" veröffentlicht Dominique Martin regelmässig Kommentare und Einschätzungen zu energiepolitischen Themen. 

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