Die Uhr tickt

In Europa wird der Strombinnenmarkt stark vorangetrieben. Die Schweiz aber wird zum Drittland degradiert und bekommt die Folgen immer mehr zu spüren. Je länger ein Stromabkommen fehlt, desto grösser werden die strompolitischen Gräben zwischen der Schweiz und Europa. Lesen Sie dazu unsere neuste politische Feder.
19.02.2020

La Suisse n’existe pas. Diese Aufschrift im Schweizer Pavillon der Weltausstellung 1992 ging in die Geschichte ein. Was im übertragenen Sinn gemeint war, erhält eine immer greifbarere Bedeutung: Die Schweiz droht im politischen Stromeuropa zu verschwinden.
 
Ironie des Schicksals: Im gleichen Jahr stellte die Schweiz mit dem EWR-Nein die Weichen für den bilateralen Weg. Dieser hat der Schweiz Prosperität gebracht, ist heute jedoch festgefahren. Ohne eine Regelung der institutionellen Fragen schliesst die EU weitere Marktzugangsabkommen aus – auch im Strombereich.

Je länger ein Stromabkommen auf sich warten lässt, desto grösser und teurer werden die strompolitischen Gräben, die zu überwinden sein werden. Eine Klärung tut immer mehr Not. Die Uhr tickt.

Ein solches Abkommen wird jedoch immer wichtiger. In Europa werden Stromgrenzen abgebaut und der Strombinnenmarkt gestärkt. Die Schweiz aber wird zum Drittland degradiert und ist ohne Stromabkommen dazu verdammt, abseits zu stehen – obwohl sie wie kein anderes Land physisch in das europäische Verbundnetz integriert ist.
 
Dies hat konkrete Folgen: Die Schweiz wird aus Märkten und Gremien ausgeschlossen. Durch den steigenden grenzüberschreitenden Stromaustausch in Europa belasten ungeplante Stromflüsse zunehmend das Schweizer Netz. Um die Netzstabilität aufrechterhalten zu können, muss Swissgrid immer stärker und zu immer höheren Kosten in den Netzbetrieb eingreifen. Somit gehen heute die Effizienzgewinne des Marktes auf europäischer Seite teilweise auf Kosten der Schweiz.
 
Derweil bleibt die Zeit nicht stehen. In der EU erfolgen nämlich demnächst weitere Integrationsschritte. Dadurch werden die Herausforderungen weiter zunehmen, die Importkapazitäten der Schweiz massiv beschnitten und die teuren Gegenmassnahmen weiter zu einer Verschwendung unserer Wasserkraft führen. Obwohl sie dank ihrer Flexibilität eigentlich auch auf europäischer Ebene ein Trumpf wäre, wird die Wasserkraft zudem von der gleichberechtigten Teilnahme an den Marktplattformen ausgeschlossen.

Ein Stromabkommen würde Abhilfe schaffen. Es steckt jedoch fest, solange der institutionelle Rahmen nicht geklärt ist. In der Zwischenzeit wird sich die Schere zwischen der Schweiz und Europa weiter öffnen. Gemäss der EPFL drohen der Schweiz ohne Stromabkommen bis 2030 Mehrkosten von bis zu einer Milliarde Franken pro Jahr.
 
Je länger ein Stromabkommen auf sich warten lässt, desto grösser und teurer werden die strompolitischen Gräben, die zu überwinden sein werden. Eine Klärung tut immer mehr Not. Die Uhr tickt.

Siehe auch


Die politische Feder

Unter der Rubrik "Die politische Feder" veröffentlicht Dominique Martin, Bereichsleiter Public Affairs des VSE, regelmässig Kommentare und Einschätzungen zu energiepolitischen Themen.