"Die Schweiz leidet bereits heute unter dem fehlenden Stromabkommen mit der EU"

Ein Stromabkommen mit der Europäischen Union tut Not. Die Schweiz ist zunehmend von Markt- und Solidaritätsmechanismen ausgeschlossen, internationale Kooperationen sind gefährdet, die Importsicherheit nimmt ab. Das Interview mit Stéphane Maret, Generaldirektor der Forces Motrices Valaisannes (FMV SA).
08.01.2021

Wie wichtig ist die Einbettung der Schweiz in Europa?
Die Schweiz liegt im Herzen der europäischen Elektrizitätswirtschaft, im Zentrum eines stark vernetzten und voneinander abhängigen Übertragungsnetzes
– und ist ein wesentliches Bindeglied in diesem System. Mit ihren Stauseen ist die Schweiz und insbesondere das Wallis die "elektrische Batterie" Europas. Die Schweiz hat eine Produktionskapazität von 20 GW, während der durchschnittliche Verbrauch bei 6,5 GW liegt. Die von Pumpspeicherkraftwerken wie bspw. «Nant de Drance» gelieferte Regelenergie wird für die Stabilität der Netze im europäischen Massstab unerlässlich sein. Diese Tatsachen verankern die Schweiz zwangsläufig in Europa und ermöglichen es unserem Land, die Flexibilität unserer Wasserkraftwerke auszunutzen und optimal zu nutzen.

Die Schweiz wird diese Verankerung mit Europa umso mehr brauchen, da sie in naher Zukunft mit einem Winterproduktionsdefizit zu kämpfen haben wird. Unter diesen Umständen brauchen die Schweiz und Europa einander, sowohl unter dem Gesichtspunkt der Versorgungssicherheit als auch unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten. Diese Verbindung ist sowohl galvanisch als auch kommerziell und ökonomisch.

Die Schweiz wird diese Verankerung mit Europa umso mehr brauchen, da sie in naher Zukunft mit einem Winterproduktionsdefizit zu kämpfen haben wird.

Welche Herausforderungen entstehen durch ein fehlendes Stromabkommen?
Die Schweiz leidet bereits heute unter dem fehlenden Stromabkommen mit der EU. Damit ist sie nicht Teil des europäischen Strombinnenmarktes, der den Energiehandelsmarkt und den Markt für Grenzübertragungskapazitäten vereint. Ohne die Kopplung dieser beiden Märkte müssen alle Transaktionen im Voraus durchgeführt werden, da es notwendig ist, Energietransitkapazitäten an der Grenze zu reservieren, sei es für den Export oder Import. Infolgedessen können die Schweizer Produzenten ihre Produktion nicht in Echtzeit an der europäischen Börse handeln und ihre Produktions-, Flexibilitäts- und Kontrollkapazitäten nicht optimal ausnutzen. Ohne ein Abkommen werden die Schweizer Produzenten permanent mit administrativen Hürden konfrontiert sein, die sie gegenüber ihren europäischen Konkurrenten benachteiligen werden.

Eine weitere Folge des fehlenden Abkommens mit der EU ist, dass die EU die Schweizer Wasserkraftzertifikate (37 TWh) nicht anerkennt.

Welche Rolle würde aus Ihrer Sicht ein Abkommen spielen?
Ein Abkommen wird es der Schweiz ermöglichen, ihre Rolle als strategischer Partner der EU zu spielen, insbesondere bei der Entwicklung erneuerbarer Energien im Herzen Europas. Ausserdem kann die Schweiz damit ihre "Strombatterie", also ihr Flexibilitäts- und Regelungspotenzial, besser nutzen und die eigene Versorgung vor allem im Winter besser ausgleichen. Dank ihrer geografischen Lage im Herzen Europas ist die Schweiz prädestiniert, ein integraler Bestandteil des europäischen Übertragungsnetzes sein.

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