WACC: Zauberlehrling-Alarm in der Energiepolitik

26.08.2024
Die Geister, die ich rief, werd ich nun nicht los. Dieses Ungemach ereilte Goethes Zauberlehrling, nachdem er einen Zauberspruch ausprobiert hatte. Ein ähnliches Szenario droht nun in der Schweizer Energiepolitik aufgrund einer Anpassung der Kapitalverzinsung im Stromnetz.

Kurz vor den Sommerferien schlug der Bundesrat eine Änderung der Berechnung der Zinsen vor, welche auf dem Kapital anfallen, das in Strominfrastrukturen investiert ist. Dieses reichlich trocken und technisch anmutende Thema hat es aber in sich. Es ist nämlich eine der zentralen Grundlagen für die weitere Finanzierung unserer Energieinfrastrukturen. Wird dort an den Stellschrauben gedreht, hat dies – womöglich unabsehbare – Auswirkungen auf die gesamte Mechanik der Investitionen in die Energieversorgung.

An Investitionen in das Energiesystem besteht bekanntlich ein riesiger Bedarf: Auf 1500 Milliarden Franken bis 2050 schätzt ihn der Bund gemäss Energieperspektiven 2050+, Reinvestitionen und Umbau eingerechnet. Damit dieser kolossale Betrag zur Verfügung stehen wird, brauchen die Kapitalgeber gewisse Sicherheiten. Ansonsten wandert ihr Kapital in andere Branchen oder gar ins Ausland ab. Für Energieinfrastrukturinvestitionen in Produktion und Netz ist daher entscheidend, dass das Kapital stabil und angemessen Zinsen abwirft. Dies ist vor allem für die Wasserkraft und die Netze mit ihrem Anlagehorizont von bis zu 60 Jahren absolut zentral.

Da das Netz ein natürliches Monopol ist, wird hoheitlich ein Zinssatz festgesetzt (WACC, Weighted Average Cost of Capital). Die bisherige WACC-Methodik gewährleistet die notwendige Klarheit, Aktualität und Stabilität der Kapitalverzinsung. Sie hat sich in der Praxis jahrelang bewährt und ist in der Wissenschaft breit abgestützt. 

Ausgerechnet jetzt, kurz nach der klaren und deutlichen Zustimmung des Schweizer Stimmvolks zum Stromgesetz, setzt der Bundesrat dazu an, mit einem Kniff dieses funktionierende System ins Wanken zu bringen

Ausgerechnet jetzt, kurz nach der klaren und deutlichen Zustimmung des Schweizer Stimmvolks zum Stromgesetz, setzt der Bundesrat dazu an, mit einem Kniff dieses funktionierende System ins Wanken zu bringen, und zwar mit dem Ziel, die Netztarife aus politischen Überlegungen zu senken. Nicht bedacht zu werden scheint, dass sich ein solcher Zaubertrick unweigerlich auf die Infrastrukturinvestitionen auswirken würde: Er würde erhebliche Unsicherheiten bei den Investoren schüren und grosse Hürden aufbauen, um das Kapital für den dringend erforderlichen Netzausbau zu beschaffen. Da die Stromversorgungsunternehmen die erzielte Rendite auf dem Eigenkapital gleich wieder in die Netze investieren, würde ihnen weniger Geld für (Re-)Investitionen zur Verfügung stehen.

Mit der Änderung der WACC-Methodik würden nicht nur die Rahmenbedingungen für Investitionen in das Netz verschlechtert. Da der WACC für das Netz und der WACC für die Förderung der erneuerbaren Energien eng verknüpft sind, würde auch der Förderbedarf für die erneuerbaren Energien erhöht – ohne dass dadurch auch nur eine Kilowattstunde mehr Strom ans Netz gehen würde.

Die Anpassung der WACC-Methodik wäre Gift für die dringend notwendigen Investitionen in unsere gesamte Energieversorgung. Sie gefährdet nicht nur die Erreichung der Ziele der Energie- und Klimastrategie, sondern unterminiert auch die für Wirtschaft und Gesellschaft so essenzielle Versorgungssicherheit. Gerade die vergangenen Jahre haben gezeigt, wie vulnerabel unser Energiesystem bereits ist.

Dieses rein politisch motivierte Experiment ist daher entschieden abzulehnen, damit die gerufenen Geister uns in einigen Jahren nicht vor eine bittere Realität stellen.

Bereichsleiter Public Affairs des VSE

Dominique Martin

Unter der Rubrik «Die politische Feder» veröffentlicht Dominique Martin regelmässig Kommentare und Einschätzungen zu energiepolitischen Themen. 

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