Vom Lernen fürs Leben

Susanna Hug-Iten ist Verwaltungsrätin, Firmenmitinhaberin und hat jüngst erfolgreich den Zertifikatslehrgang «Einführung in Netzbau» absolviert. Sie beweist damit: Man lernt eben wirklich nie aus im Leben.
15.04.2020

Die Arbeitswelten von Netzelektrikern und von Verwaltungsräten könnten unterschiedlicher nicht sein und haben auf den ersten Blick etwa so viel gemein wie eine Bergtour im Himalaya und ein Akkordeon-Orchester in Horgen. Nicht zuletzt sorgt in der Regel bereits eine räumliche Trennung dafür, befinden sich doch Werkstatt und «Teppich­etage» nur selten auf dem gleichen Geschoss. Während diese Annahme in vielen Fällen durchaus zutreffen mag, tut sie es im Fall von Susanna Hug-Iten aber definitiv nicht, denn bei ihr verschmilzt, was sonst kaum reale Berührungspunkte aufweist. Susanna Hug ist Verwaltungsrätin bei der Sigmaform Schweiz AG im zugerischen Cham. Gleichzeitig verfügt sie seit Kurzem auch über zertifizierte Netzbau-Fertigkeiten. Doch wie kommt das?

Susanna Hug hatte ursprünglich ein Studium als Lebensmittelingenieurin an der ETH Zürich absolviert und anschliessend im Bereich Lebensmitteltechnologie doktoriert. Während 25 Jahren arbeitete sie denn auch in dieser Branche bei Schweizerischen und internationalen Konzernen wie Lindt  &  Sprüngli oder Mövenpick in diversen Management-Positionen. In diesen Funktionen hat sie weltweit viele Produktionsanlagen in Betrieb und vor Ort Erstproduktionen abgenommen. In so unterschiedlichen Ländern wie Kanada, Russland oder China hat die 49-Jährige neue Lebensmittel auf den Markt gebracht und war so immer am Puls der Innovation und der Qualität. An ihrer letzten Position bei einem Schweizerischen Produzenten von Tiefkühlbackwaren war sie für den strategischen Einkauf, die Produktentwicklung sowie das Qualitätsmanagement verantwortlich.

Seit 2009 ist Susanna Hug auch Verwaltungsrätin bei der Sigmaform. Im letzten Jahr übernahm sie nun vermehrt Aufgaben in der strategischen Führung des Unternehmens, das seit 1981 Produkte rund um die Energietechnik, Schrumpftechnologie und Garnituren hauptsächlich im Bereich Nieder- und Mittelspannung entwickelt und vertreibt. Sigmaform ist ein waschechtes Familienunternehmen, welches 1981 entstand. Firmengründer Peter Iten hatte sich vor einigen Jahren aus der operativen Geschäftsführung zurückgezogen und nun das Geschäft seinen beiden Töchtern Su­sanna Hug-Iten und Evelyn Waldis-Iten übergeben.

Susanna Hug-Iten
Susanna Hug-Iten dirigiert nicht nur ein Akkordeon-Orchester, sondern leitet gemeinsam mit ihrer Schwester auch erfolgreich ein Familienunternehmen.

Branchenwechsel als Herausforderung

Obwohl Susanna Hug seit über zehn Jahren im Verwaltungsrat des Familienunternehmens Einsitz nimmt und in dieser Funktion die Firma auch an Messen und Branchenanlässen vertritt, war der intensivierte Wechsel auf die strategische Ebene von der Lebensmittel- in die Energiebranche eine Herausforderung. «Zwar hatte ich viel Management-Erfahrung, einen technologischen Hintergrund und diesen typischen Schrumpfschlauch-Duft schon von klein auf in der Nase, aber das Wissen um die Netzelektrik war nur so weit vorhanden, wie es meine bisherige Tätigkeit als Verwaltungsrätin erforderte.» Um sich das nötige Rüstzeug für ihre Aufgaben zu holen, besuchte Su­sanna Hug die VSE-Kurse «Branchenkenntnisse Energie für Verwaltungsräte» und «Branchenwissen Energie». Dabei sei sie auch auf den Lehrgang «Einführung in Netzbau» aufmerksam geworden und nahm die Unterlagen deshalb mit nach Hause, wo sie aber erst einmal zwei Wochen liegen geblieben sind. «Ich fand die Kursinhalte sehr spannend, war mir zuerst aber nicht sicher, ob ich diesen Lehrgang wirklich besuchen sollte – und könnte.» Schliesslich sei sie zwar Ingenieurin, aber eben keine Elektrikerin, weshalb sie sich beim VSE erkundigt habe, ob sie mit ihren Voraussetzungen überhaupt teilnehmen dürfe. «Als ich vom VSE die Antwort erhielt, dass ich den Kurs absolvieren dürfe, sofern ich auch den entsprechenden Vorkurs besuchte, war klar, dass ich es wagen würde.» Ein Wagnis, das von Erfolg gekrönt war: Susanna Hug hat die Zertifikats­prüfung mit einem sehr guten Ergebnis absolviert und freut sich entsprechend über ihr Zertifikat.

Die Motivation, einen Lehrgang für Netzelektriker zu besuchen, begründet Susanna Hug mit ihrer Art, den Dingen auf den Grund zu gehen. «Wenn ich etwas mache, dann will ich es von der Pike verstehen. Ich will wissen, worüber gesprochen wird, worum es geht.» Um ein Unternehmen mitführen zu können, müsse man das Kerngeschäft verstehen. «Natürlich lernt man das nicht mit drei Kursen in einem Jahr, aber ich fühle mich nun sicherer, den Netzelektrikern in unserem Betrieb wenigstens die richtigen Fragen stellen zu können.» Früher habe sie das wenig interessiert, erinnert sich Susanna Hug. In ihrer Jugend habe ihr Vater jeweils Kabel aus der Firma nach Hause gebracht, um diese seinen Kindern zu zeigen. «Er stiess damals auf eher wenig Interesse bei mir. Und heute bringe ich Kabel nach Hause, was meine beiden Töchter im Teenager-Alter natürlich ebenso wenig interessiert wie weiland mich...»

«Jeder Kontakt zählt für mich»

War sie in den ersten beiden Kursen zumeist unter Teilnehmern, deren Aufgaben und Tätigkeitsgebiet sich zumindest partiell mit ihren deckten, dürfte sich Susanna Hug unter lauter Praktikern wie in einer fremden Welt vorgekommen sein, oder? «Überhaupt nicht. Es spielt keine Rolle, ob ich mit einer Verwaltungsrätin oder mit einem Netzelektriker zusammenarbeite, denn jeder einzelne Kontakt zählt für mich.» Und für die Arbeit in ihrer Firma habe der letzte Kurs definitiv am meisten gebracht, denn «wenn wir beispielsweise neue Produkte entwickeln wollen, besprechen wir dies im Verwaltungsrat und im Team. Dank dem Lehrgang verstehe ich nun die Details und Zusammenhänge.» Im Lehrgang selbst habe sie «den Plausch» gehabt. Zwar sei sie zu Beginn etwas nervös gewesen, da es halt kaum Netzelektrikerinnen gebe und die anderen elf Teilnehmer im Schnitt wohl 10 bis 15 Jahre jünger gewesen seien als sie. «Mein Ehrgeiz hat die Nervosität aber wettgemacht.» Geholfen habe ausserdem, dass die Teilnehmer alle unterschiedliche berufliche Hintergründe gehabt hätten: «Einer wusste über Freileitungen Bescheid, ein anderer kannte sich mit Muffen aus.» Sie sei sich jedenfalls nie verloren vorgekommen, sondern habe gut mithalten können. «Wir haben uns aber auch gegenseitig unterstützt und geholfen.»

Dass es für die männlichen Teilnehmer irgendwie speziell gewesen wäre, den Kurs mit einer Frau zu absolvieren, glaubt Susanna Hug nicht. Allerdings habe ihr der Kursleiter einmal gesagt, dass sich die Gruppendynamik deutlich von Lehrgängen mit rein männlichen Teilnehmern unterschieden habe. «Ich stelle viele Fragen, wenn ich etwas nicht hundertprozentig verstehe. Das hat es für die anderen Teilnehmer womöglich leichter gemacht, selbst auch mehr Fragen zu stellen. Mir war aber immer wichtig, dass ich nicht anders behandelt werde als alle anderen.»

Susanna Hug-Iten
Im letzten Herbst absolvierte die 49-jährige Managerin den VSE-Lehrgang «Einführung in Netzbau».

Eine Erfahrung, die neue Blickwinkel eröffnet

Generell würde Susanna Hug die Teilnahme an einem solchen Kurs auch anderen Verwaltungsräten und -rätinnen oder Kaderangehörigen empfehlen, weil eine solche Erfahrung einen neuen Blickwinkel eröffne. Aber auch im Hinblick auf technische Beratung sei der Lehrgang für sie eine sehr wertvolle Erfahrung gewesen: «Der direkte Kundenkontakt ist bei uns sehr wichtig. Sigmaform kann nicht als Wiederverkäuferin ohne Fachwissen agieren. Unsere Kundinnen und Kunden erwarten kompetente Beratung.» Das Fachwissen und -Know-how müsse über alle Hierarchiestufen vorhanden sein, vor allem, wenn sie so flach seien wie bei kleinen Familienunternehmen.

Die Weitergabe ihres neu erworbenen Wissens in ihr Unternehmen und die persönliche Weiterentwicklung seien denn nach dem Ende dieser Kurse auch etwas vom Wichtigsten. Das beginne bei den Arbeitssicherheitsmassnahmen, gehe über den Kundenerstkontakt am Telefon bis hin zum persönlichen Wissen über die Bandbreite der am Lager gehaltenen Teile. «Unsere technischen Verkaufsberater, die über dieses Wissen verfügen, sind ständig unterwegs und haben daher wenig Ressourcen, um ihr Know-how intern weiterzugeben. Nun kann ich sie etwas unterstützen und ihnen einen Teil der Arbeit abnehmen.» Das Ziel sei, dass alle einen Schritt vorwärts machten.

Neben diesem Know-how schätzt Susanna Hug auch das erweiterte Netzwerk, über welches sie nach den Kursen verfügt. «Ich finde es spannend, jetzt neue Kontakte bei verschiedenen Energieversorgungsunternehmen zu haben. Das sind Kontakte, die bleiben.» Auch im Hinblick auf die Suche nach neuen Mitarbeitern seien solche Kontakte Gold wert: «Für uns als kleine Firma erfüllt der VSE mit seinen Kurs-Angeboten eine wichtige Plattform- und Netzwerkfunktion.» Auch in den Ferien, welche Susanna Hug oft im Engadin verbringt, schaue sie seit dem Netzelektriker-Kurs jeweils auf jeden Strommast, ob ihr einer da oben bekannt vorkomme.

Evelyn Waldis-Iten, Gertrud und Peter Iten sowie Susanna Hug-Iten (v. l.).
Evelyn Waldis-Iten, Gertrud und Peter Iten sowie Susanna Hug-Iten (v. l.).

Glaube an die eigenen Fähigkeiten

Dass eine gestandene Frau nach 25 Jahren einen Branchenwechsel vollzieht, ist nicht gerade üblich. Es verdeutlicht aber gut Susanna Hugs Persönlichkeit und Glaube an die eigenen Fähigkeiten. «Ich musste während der letzten zehn Jahre ständig den Spagat zwischen zwei unterschiedlichen Branchen machen, habe eine Familie und bin allgemein sehr aktiv. Nachdem ich mich nun auf eine Branche konzentriere, ist es definitiv ruhiger geworden. Das tut mir gut.»

«Ruhiger» heisst im Fall von Susanna Hug, dass sie weiterhin ein Akkordeon-Orchester in Horgen leitet und dass sie auch weiterhin beim Bergsteigen Grenzen auslotet. «Das Bergsteigen ist eine Lebensschule. Irgendwann merkt man, dass man eigentlich noch viel länger durchhalten kann, als man meint. Aufgeben ist beim Bergsteigen halt nie eine Option, und manchmal muss man durchbeissen, damit man ein Erfolgserlebnis erreicht.» Die Berge faszinierten Susanna Hug schon von klein auf. Entsprechend schaute sie sich die Schweiz schon von allen Viertausendern an. Und am Mount Everest besuchte sie die Schweizer Expedition auf 7100 Metern; höher hinaus als das Gros der Menschheit jemals kommen wird. Beim Bergsteigen sind aber nicht nur Durchhaltevermögen und Willen gefragt. Dieser Sport lehrt einen auch, andere zu führen, das Beste aus jedem herauszuholen. «Das hat mich geprägt. Das probiere ich, hier im Betrieb weiterzuvermitteln. Wir wissen nicht alles, aber gemeinsam als Team schaffen wir das.» Egal, ob in Horgen, Cham oder im Himalaya.