Stromkongress 2023: Die Zeit rennt uns davon

Unter dem Slogan «Verantwortung für die Energiesicherheit» diskutierten Branche, Politik, Wirtschaft und Wissenschaft am zweitätigen Stromkongress in Bern über die gigantischen energie- und klimapolitischen Herausforderungen. Dabei wählte nicht nur der neue UVEK-Chef Albert Rösti deutliche Worte. Es herrschte Einigkeit über den akuten Handlungsbedarf, die Versorgungssicherheit kurz-, mittel- und langfristig zu sichern.
19.01.2023

Die Highlights vom Stromkongress 2023

Die grossen Investitionen in Produktionsanlagen und Netzinfrastrukturen liegen Dekaden zurück, die Zusammenarbeit mit der EU ist seit Jahren blockiert, beim Ausbau der Erneuerbaren tritt die Schweiz an Ort und Stelle. Diese Versäumnisse der Vergangenheit würden sich jetzt in der Energiekrise rächen, konstatierte Michael Wider am Mittwoch vor vollen Rängen im Berner Kursaal. «Die Zeit rennt uns davon: Gelingt es uns nicht jetzt, die richtigen Prioritäten zu setzen und ins Tun zu kommen, schaffen wir nicht nur keine Dekarbonisierung, sondern gefährden die Versorgungssicherheit der Schweiz», mahnte der VSE Präsident.

Wie er die Prioritäten setzen möchte, führte Neo-Energieminister Albert Rösti in seiner mit Spannung erwarteten Grussbotschaft an die Branche aus: weniger Abhängigkeit von Stromimporten; mehr einheimische erneuerbare Produktion insbesondere aus Wasser- und Solarkraft; weniger Hindernisse bei deren Ausbau, dafür schnellere Verfahren; verstärkte Stromnetze und Zugang zu den europäischen Netzplattformen, damit die Netzstabilität gewahrt werden kann. Bundesrat Rösti signalisierte deutlich, den Ausbau der erneuerbaren Energien deblockieren zu wollen: Erneuerbare Energieprojekte, die wesentlich zur Versorgungssicherheit beitragen, sollen künftig Vorrang vor anderen Interessen haben. Rösti bedankte sich bei der Branche, die ihm am Herzen liege, für den Einsatz, die sie für die Versorgungssicherheit leistet.

Diese könne nur gemeinsam gesichert werden, waren sich Johannes Teyssen (Alpiq), Thomas Sieber (Axpo) und Roger Baillod (BKW) einig. Die Verwaltungsratspräsidenten der drei grössten Schweizer Stromproduzenten tauschten sich über die enormen Herausforderungen für die Branche aus, die die Energiekrise akzentuierte. Mehr Akzeptanz, Kompromissbereitschaft, Innovation, Tempo beim Ausbau erneuerbaren Produktionskapazitäten: Man müsse die Herkulesaufgabe nun mutig angehen.

1.4 Terawattstunden Zubau pro Jahr nötig

Die Verfahren für die zahlreichen erneuerbare Energieprojekte, die wegen Einsprachen nicht realisiert werden können, zu beschleunigen, ist zwingend nötig. Gemäss der Studie «Energiezukunft 2050», deren Ergebnisse der VSE am 13. Dezember vergangenen Jahres publiziert wurden, muss die Schweiz jährlich 1.4 Terawattstunden pro Jahr zubauen. Sonst erreicht sie die Energie- und Klimaziele nicht. Ein offensiv integriertes Szenario würde für die Schweiz bis 2050 das robusteste und günstigste Energiesystem bringen. «Integriert» unterstreicht die Notwendigkeit, mit Energie- und Stromeuropa eng zu kooperieren, während «offensiv» eine hohe Akzeptanz für erneuerbare Energieinfrastruktur bedingt und so zu einem höherem Ausbautempo führt. Wie das Ausbauziel von 1.4 TWh/Jahr in der Praxis erreicht und das Dilemma mit der Akzeptanz endlich gelöst werden kann, wurde am Stromkongress in zwei hochkarätig besetzten Podien diskutiert.

Europa will zurück auf den «grünen Pfad»

Vom reaktivierten Kohlekraftwerk zurück zum Green Deal: Das ist das Ziel von Kristian Ruby, Generalsekretär von Eurelectric, dem Branchenverband der europäischen Elektrizitätswirtschaft. Er erläuterte, wie Europa wieder auf den vor der Energiekrise und dem Krieg in der Ukraine eingeschlagenen «grünen Pfad» einlenken kann. Der Green Deal sei alternativlos und der Ausweg aus der jetzigen Situation. Ruby zeigte sich überzeugt, dass 2022 eine Zäsur darstelle, ab der die Energiewende mit mehr Tempo vorangetrieben und grosse Schritte Richtung Klimaneutralität gemacht werden.

Keine Entwarnung für diesen oder den nächsten Winter

Kommt die Schweiz ohne Mangellage durch den Winter? Die Antwort auf diese Frage wurde mit Spannung erwartet. Diverse Faktoren haben zuletzt für eine Entspannung gesorgt, etwa die milden Temperaturen über die Feiertage und revidierte französische Kernkraftwerke, die wieder Strom ins europäische Übertragungsnetz speisen. Die inländischen Stauseen und europäischen Gasspeicher sind dadurch überdurchschnittlich gut gefüllt. Entspannung ist aber keine Entwarnung. Das Risiko einer Energiemangellage bleibt bestehen und dürfte im nächsten Winter noch grösser sein. Das betonten unisono Albert Rösti, ElCom-Präsident Werner Luginbühl und Kurt Rohrbach, der Delegierte der wirtschaftlichen Landesversorgung ad interim. Rohrbach warnte denn auch, nicht in alte Fahrwasser zurückzukehren: «Bloss, weil es ein Jahr lang nicht gebrannt hat, lösen sie die Feuerwehr ja auch nicht auf.»