Kontrastprogramm in Brunnen

Gut 200 Führungskräfte und Betriebsleiter von Schweizer Energieversorgungsunternehmen trafen sich am 23. und 24. September 2021 im Waldstätterhof in Brunnen zur traditionellen Betriebsleitertagung des VSE. Die zahlreichen hochkarätigen Referenten boten den Anwesenden dabei ein Kontrastprogramm zum strahlenden Herbstwetter über dem Vierwaldstättersee.
27.09.2021

Nach dem Auftaktreferat von Jörg Spicker dürften am Freitagmorgen auch allfällig noch etwas verschlafene Teilnehmer definitiv hellwach gewesen sein. Zu alarmierend waren die Ausführungen des Senior Strategic Advisors von Swissgrid. Anschaulich zeigte dieser auf, wie die Schweiz nach dem Scheitern des Rahmenabkommens mit der EU energiepolitisch und -technologisch immer stärker ins Abseits gerät: «Die Schweiz wird systematisch aus wichtigen EU-Prozessen und -Märkten ausgeschlossen und muss hohen Aufwand betreiben, um bei ungeplanten Lastflüssen aus dem Ausland das Netz zu stabilisieren.» Während die Benachteiligungen durch die EU die Importmöglichkeiten der Schweiz beschnitten, sänken gleichzeitig die Exportmöglichkeiten ihrer Nachbarstaaten. Deren Strombedarf steige aufgrund der zunehmenden Elektrifizierung schliesslich genau gleich an wie jener der Schweiz. Und wie in der Schweiz fielen herkömmliche Quellen (vor allem Kernenergie und fossile Energieträger) weg. Swissgrid forderte daher vom Bund nicht nur die Überarbeitung der Energieperspektiven und des Szenariorahmens, sondern die Sicherstellung einer offenen strategischen Autonomie bei der Netz- und Versorgungssicherheit. «Es braucht nun eine klare Vision für die mittel- und langfristige Versorgungssicherheit der Schweiz.»

Boris Previšić, Mischa Morgenbesser, Moderator Rolf Schmid und Matthias Gysler
Boris Previšić, Mischa Morgenbesser, Moderator Rolf Schmid und Matthias Gysler stellen sich den Fragen des Publikums.

Ebenfalls zu alarmierenden Erkenntnissen war tags zuvor Boris Previšić, Professor für Kulturwissenschaften an der Universität Luzern, gelangt. In seinem Referat zum Klimawandel und dem Umgang damit, zeigte er auf, dass sich das Klima in der Geschichte der Erde zwar immer mal wieder änderte, dass die momentane Situation aber tatsächlich noch nie dagewesen und daher äusserst alarmierend sei. «Wir müssen jetzt etwas tun und hoffen, dass wir die Schlagzeile „CO2-Ausstoss erstmals geringer als im Vorjahr“ noch erleben werden.» Eine klare Meinung vertrat der Wissenschafter auf die Frage nach der Akzeptanz des Ausbaus erneuerbarer Energien: «Im alpinen Raum liegt grosses Potenzial, das wir nutzen müssen. Wenn die Welt untergeht, nützen schöne Landschaften niemandem mehr.»

Einen Kontrapunkt zu den bisweilen düsteren Aussichten von Jörg Spicker und Boris Previšić setzte Andreas Beer in seinem gewohnt emotionalen und positiven Vortrag. Er zeigte dabei auf, wie die Tarifierung sinnvoll und zielführend umgesetzt werden könnte. Und Matthias Gysler, Chefökonom beim BFE, zeigte sich überzeugt davon, dass die vollständige Strommarktliberalisierung dringend notwendige innovative Lösungen befeuern würde. Bereits bestehende Innovationen wie „Quartierstrom" brauchten entweder eine Sondergenehmigung, weil sie innerhalb der bestehenden Gesetze und Regularien nicht möglich wären, oder sie finden gleich komplett im Ausland statt wie beispielsweise die Energiebeschaffungsplattform Elblox von Axpo. Mit einer Regulatory Sandbox“ sollen deshalb Möglichkeiten geschaffen werden, um temporär von den Regeln des StromVG abzuweichen, um innovative Projekte ausprobieren zu können.

Werner Luginbühl
Werner Luginbühl machte der Betriebsleitertagung erstmals als ElCom-Präsident seine Aufwartung.

Erstmals trat an der Betriebsleitertagung auch Werner Luginbühl in seiner Funktion als Präsident der ElCom auf. Wie Jörg Spicker wies auch er auf die nicht gesicherten Importmöglichkeiten aufgrund des international steigenden Strombedarfs sowie auf die netzseitigen Auswirkungen des gescheiterten Rahmenabkommens hin.