Gesamtkonzept Versorgungssicherheit und Hürden für die Wasserkraft

Mitte Juli 2020 ist die Vernehmlassung zur Revision des Energiegesetzes (EnG) zu Ende gegangen. Aus der Lektüre verschiedener Stellungnahmen zeigt sich: Das Gesamtkonzept der Stromversorgungssicherheit ist noch alles andere als klar – und die Wasserkraft muss mit politischem Gegenwind rechnen.
17.09.2020

Die Vernehmlassung zur Revision des StromVG hatte 2019 eine klare Tendenz hervorgebracht: Um die Stromversorgung künftig sicherstellen zu können, muss vermehrt im Inland in die Stromproduktion aus erneuerbaren Energien investiert werden – und dafür wiederum braucht es ergänzend zum Grosshandelsmarkt Anreize. Entsprechend legte der Bundesrat im Frühjahr 2020 nach mit einer Revision des Energiegesetzes (EnG). Nun liegen beim Bundesamt für Energie über 1700 Seiten Stellungnahmen vor zur Frage, ob und wie Investitionen in die erneuerbare Stromproduktion in der Schweiz künftig gefördert werden sollen. Der VSE hat die Stellungnahme verschiedener Akteure* gelesen und die Positionen zu ausgewählten Themen zusammengefasst:

Die einzelnen Aspekte

Generelle Stossrichtung

Die Sicherstellung der Versorgungssicherheit steht bei der grossen Mehrheit im Zentrum. Während sich zahlreiche Akteure auf die Beurteilung der vom Bundesrat vorgeschlagenen Förderinstrumente fokussieren, kritisieren nicht Wenige – so auch der VSE – die fehlende Gesamtsicht. So fordern verschiedene Stimmen explizit ein Gesamtkonzept für die Versorgungssicherheit (FDP, GLP, SVP) und eine Abstimmung oder mindestens gleichzeitige parlamentarische Beratung von EnG und StromVG (CVP, SVP; SGV; Kantone, Städte).

Seitens der Wirtschaft und der wirtschaftsnahen Parteien wird ausdrücklich daran erinnert, dass der Gesetzgeber sich für ein Auslaufen der Unterstützungen und den Übergang zu einem marktorientierten System ausgesprochen hatte. SVP und SGV lehnen die Revision des Energiegesetzes daher in der vorgeschlagenen Form ab, economiesuisse und SGV sprechen sich weiterhin für eine Limitierung der Förderung aus. FDP und GLP äussern sich ebenfalls mahnend, zeigen sich aber gegenüber konkreten Fragen einer marktnahen Ausgestaltung offen. Bei den übrigen Akteuren geniesst die Weiterführung der Förderung hohe Akzeptanz – so auch beim VSE, der die Weiterführung der Förderung für einen pragmatischen Weg hält.

Ausbauziele

Der Bundesrat sieht vor, die bisher als unverbindliche Richtwerte festgelegten Zubaumengen als verbindliche Ziele vorzugeben. Diese Absicht wird von den Akteuren zumeist entsprechend ihrer jeweiligen Grundhaltung zur Vorlage beurteilt: Wer die Förderung grundsätzlich kritisch betrachtet, sieht auch keine Notwendigkeit für verbindliche Ausbauziele (SVP; economiesuisse, SGV).

Von verschiedener Seite werden demgegenüber höhere Ziele oder mindestens deren Prüfung im Lichte der Ziele für die Versorgungssicherheit gefordert (GLP, Grüne, SP; Umweltverbände; Kantone, Städte). Weiter wird auch eine Ausweitung auf Effizienz (Grüne, SP; Umweltverbände) bzw. andere Energieträger (Städte) zur Diskussion gestellt.

Bereits auf Ebene der Zieldiskussion zeichnet sich zudem für die Wasserkraft eine schwierige Ausgangslage ab: Linksgrün und die Umweltverbände sprechen sich einhellig für eine Streichung der spezifischen Ziele für die Wasserkraft aus, da deren Potenzial ausgeschöpft sei.

Netzzuschlag

Die Deckelung des Netzzuschlags (derzeit 2,3 Rp./kWh), ist bisher aus einem politischen Kompromiss hervorgegangen mit dem Ziel, das Anliegen nach einem deutlichen Ausbau der erneuerbaren Energien einerseits – und jenes nach einer Begrenzung der finanziellen Belastung der Konsumenten andererseits – unter einen Hut zu bringen. Nun wird von verschiedener Seite (GLP, Grüne, SP; Umweltverbände; Städte) gefordert, die Höhe des Netzzuschlags an der Zielerreichung auszurichten.

Winterproduktion

Alle Akteure teilen die Einschätzung, dass für die Stromversorgung der Schweiz vor allem der Winter eine Herausforderung darstellt. Entsprechend sind sich alle einig, dass (allfällige) Förderinstrumente der Winterproduktion Rechnung zu tragen haben. Ob dies durch eine entsprechende Parametrierung jedes einzelnen Instruments, eine Ausrichtung von Boni oder spezifische Winterziele geschehen soll – da sind die Vorschläge vielfältig. Economiesuisse will allfällige Unterstützungen auf Anlagen beschränken, die im Winter produzieren.

Ausschreibungen

Der Grundsatz, dass Fördermittel künftig in Ausschreibungsverfahren vergeben werden sollen, ist breit akzeptiert. Der Bundesrat hatte vorgeschlagen, Ausschreibungsverfahren nur auf grosse Photovoltaikanlagen anzuwenden. Mit diesem Prinzip sind Grüne, SP, Umweltverbände und Kantone einverstanden. Dass Ausschreibungsverfahren nicht nur für Photovoltaik, sondern für die grossen Anlagen sämtlicher erneuerbarer Technologien durchgeführt werden sollen, wie dies der VSE möchte, wird nur von wenigen tel quel gefordert (CVP). Es gibt jedoch Stimmen, die sich für eine Ausweitung der Ausschreibungen auf weitere Technologien (GLP; Städte), für eine Ausweitung auf alle erneuerbaren Energien (FDP) bzw. für technologieneutrale Ausschreibungen (economiesuisse, SGV) aussprechen.

Unterschiedliche Positionen manifestieren sich bei der Frage, welcher Art die ausgeschriebenen Fördergelder sein sollen. Der Bundesrat möchte an den bereits praktizierten Investitionsbeiträgen festhalten. Dem stimmen die Wirtschaftsverbände und Kantone zu. Ähnlich dem VSE empfiehlt die FDP die Prüfung unterschiedlicher Modelle im Rahmen eines Gesamtkonzepts zur Versorgungssicherheit.

Von verschiedener Seite wird die Option einer gleitenden Marktprämie oder Einspeiseprämie eingebracht (CVP, GLP, Grüne, SP; Umweltverbände; Städte), wobei die Varianten von Prämie statt Investitionsbeitrag, einer technologiespezifischen Modellwahl über ein Wahlmodell «à la carte» bis hin zu einer Kombination beider Modelle reichen.

Wasserkraft

Aus den Stellungnahmen lässt sich erahnen, dass die politische Diskussion für die Wasserkraft harzig werden dürfte. Seitens der linksgrünen Parteien und der Umweltverbände bringt sich nämlich eine Phalanx in Stellung, die die Unterstützung für die Wasserkraft stark begrenzen möchte. An neuen Standorten sollen demnach gar keine Anlagen gebaut werden dürfen – und Erweiterungen bestehender Anlagen sollen an hohe Auflagen betreffend Gewässerschutz und Umweltverträglichkeit geknüpft werden.

Gemäss Vorschlag des Bundesrates soll die Wasserkraft zwar auf dem Papier mehr Mittel erhalten, allerdings sollen nur noch neue und erheblich erweiterte Kraftwerke unterstützt werden. Was heute aufgrund der Verordnungsbestimmungen de facto bereits der Fall ist, wäre somit künftig explizit so im Gesetz definiert. Nebst dem VSE sprechen sich nun erfreulicherweise auch andere dafür aus, der Bedeutung des Bestandserhalts für die Versorgungssicherheit und die Zielerreichung der Energiestrategie 2050 grösseres Gewicht einzuräumen und entsprechende Massnahmen vorzusehen (CVP, FDP, SVP; Kantone, Städte).

Von den Kantonen wird gar die Idee einer Preisabsicherung gegen Strompreisverwerfungen ins Spiel gebracht. Pikantes Detail: Ein ähnliches Instrument sieht auch economiesuisse vor – allerdings nicht für die Wasserkraft, sondern für Gaskraftwerke, um solche im Interesse der Versorgungssicherheit rentabel einsetzen zu können.

Abnahme- und Vergütungspflicht

Für den VSE besteht bei der Abnahme- und Vergütungspflicht für Strom seit Langem Handlungsbedarf, der sich mit einer vollständigen Strommarktöffnung stark akzentuieren wird. Trotzdem sieht Bundesrat bislang keinen Anlass, vom heutigen Grundsatz, dass die Abnahme und Vergütung Aufgabe jedes einzelnen Netzbetreibers ist, abzuweichen. Es ist daher erfreulich, dass die Vorbehalte des VSE offenbar doch Gehör finden. So stellen verschiedene Akteure die vom VSE ins Spiel gebrachte Systemänderung zur Diskussion, dass die Abnahme und Vergütung künftig einer unabhängigen Stelle zufallen soll (CVP; Energiestiftung; Städte). Zu bemerken ist allerdings, dass diese im gleichen Atemzug auch einen schweizweit einheitlichen Minimalsatz für die Vergütung fordern, während sich der VSE – wie der Bundesrat – für eine Vergütung basierend auf dem Marktpreis ausspricht. Die Forderung nach einem schweizweit einheitlichen Minimalsatz (Grüne, SP; übrige Umweltverbände), ggf. saisonal differenziert (GLP; Kantone), wird auch von weiteren Akteuren eingebracht.

Zusammenfassend darf festgestellt werden, dass bei einer Weiterführung der Förderung die Winterversorgung im Fokus stehen wird. Welche Rolle die Wasserkraft dabei spielen darf – und unter welchen Bedingungen – wird im Parlament wohl noch zu hitzigen Debatten führen. Die Grundsatzfrage, nach welchen Zielen und mit welchen Mitteln die Stromversorgung sichergestellt werden kann, dürfte ebenfalls noch zu Diskussionen Anlass geben. Man darf gespannt sein, wie der Bundesrat dazu die Gesamtsicht zu EnG und StromVG präsentieren wird. Seine Botschaft an das Parlament ist ab Anfang 2021 zu erwarten.

- Stellungnahme des VSE zur Revision des Energiegesetzes (06.07.2020)

* Basis für diese Auslegeordnung bilden die Stellungnahmen von:
Parteien: CVP, GLP, Grüne, FDP, SP, SVP; Wirtschaft: economiesuisse, SGV; Umweltverbände: Energiestiftung, Umweltallianz; Gemeinwesen: EnDK, Städteverband