Ein Jahr im Zeichen der Energiekrise

28.04.2023
2022 verdeutlichte, dass eine sichere Energieversorgung keine Selbstverständlichkeit mehr ist. Der VSE, die Branche und OSTRAL waren durch das reale Risiko einer Strommangellage stark gefordert und stellten unter Beweis, sich rasch auf neue Begebenheiten anpassen zu können – auch aufgrund der seriösen Vorbereitungen.

OSTRAL: Lukas Küng blickt auf die Herausforderungen im Jahr 2022 zurück

Wie viel sich in einem Jahr verändern kann. Im Herbst 2021 führte OSTRAL, die Organisation für Stromversorgung in ausserordentlichen Lagen, eine Medienkonferenz durch. Die Kommission des VSE informierte zusammen mit der wirtschaftlichen Landesversorgung WL über die Bewirtschaftungsmassnahmen, mit denen Grossverbraucher von Strom – rund 30'000 Unternehmen in der Schweiz, die mehr als 100 Megawattstunden Strom pro Jahr konsumieren – im Falle einer schweren Strommangellage konfrontiert wären. Um der Grossverbraucherinfo die adäquate Eindringlichkeit zu verleihen, rief Wirtschaftsminister Guy Parmelin die betroffenen Unternehmen persönlich per Video auf, sich vorausschauend auf den Krisenfall vorzubereiten. Mediale Wellen schlug der Appell von Bundesrat, OSTRAL und WL trotzdem keine. In der Konsequenz nahm die Öffentlichkeit kaum Notiz vom Risiko eines Strommangels. Innert weniger Monate sollte sich dies ändern.

Am 29. Juni 2022 erläuterte VSE Präsident Michael Wider vor vollen Rängen im Bundesmedienzentrum an der Seite von Guy Parmelin und der damaligen Energieministerin Simonetta Sommaruga die Bewirtschaftungsmassnahmen, die der Bund im Fall einer Strommangellage situationsbedingt anordnen könnte und die Branche, Wirtschaft und Bevölkerung umsetzen müssten. Zu diesem Zeitpunkt befand sich die Schweiz und mit ihr ganz Europa auf dem bisherigen Höhepunkt der Energiekrise. Die rekordhohen Energiepreise, der russische Angriffskrieg auf die Ukraine, die Sorge darüber, ob die europäischen Gasspeicher gefüllt werden können und ob die sich in Revision befindenden französischen Kernkraftwerke zurück ans Stromnetz gehen, sowie die Jahrhundert-Trockenheit: alles Faktoren, die dazu beitrugen, dass das Thema Strommangellage und Versorgungssicherheit ins Zentrum der öffentlichen und politischen Debatte rückten.

Und so stand plötzlich auch OSTRAL im Fokus. Sie ist es, die die Bewirtschaftungsmassnahmen des Bundes im Krisenfall umsetzen müsste. Diese Bewirtschaftungsmassnahmen und entsprechende Umsetzungsprozesse hat sie während Jahren zusammen mit der WL erarbeitet. Diese seriöse Vorbereitung abseits des Rampenlichts machte sich 2022 bezahlt. OSTRAL war plötzlich stark gefordert, konnte aber – anders als im Gasbereich – auf ein etabliertes Bewirtschaftungskonzept und Organisationsstrukturen zurückgreifen, auf denen man aufbauen konnte, um die Herausforderungen dieses beispiellosen Jahres zu meistern.

Sensibilisieren und eigene Prozesse evaluieren

Die Bewirtschaftungsmassnahmen im Fall einer Strommangellage waren plötzlich in aller Munde, weil sie alle – Privatpersonen wie Firmen – in irgendeiner Form betroffen hätten. Der Informationsdruck war folglich hoch. OSTRAL intensivierte ihre Sensibilisierungs- und Vorbereitungsarbeiten stark – innerhalb der Branche, aber auch mit den Kantonen, Gemeinden, Wirtschaftsverbänden, Grossverbrauchern und Krisenstäben. Das alles in gewohnt enger Zusammenarbeit und Abstimmung mit der WL.

Erklärvideo: Die Massnahmen im Fall einer Strommangellage

OSTRAL priorisierte aber auch die eigene Vorbereitung. Einerseits nahm ein unabhängiger Krisenexperte die Organisation unter die Lupe, andererseits testete OSTRAL Ende Jahr 2022 die eigenen Abläufe und Konzepte. So führe sie eine Krisenübung zum Kontingentierungsprozess durch, überprüfte die Abschaltpläne der für allfällige Netzabschaltungen zuständigen Verteilnetzbetreiber und schulte wiederholt das Personal, das im Krisenfall OMT-Einsätze (OSTRAL-Melde- und Triagestelle) leisten müsste. Sowohl die externe Evaluation als auch die eigenen Krisenübungen stellten OSTRAL ein gutes Zeugnis aus. Die Ergebnisse –das war auch ein Ziel – legten aber auch Verbesserungspotenzial offen, das es im Hinblick auf den nächsten Winter auszuschöpfen gilt.

Warme Jahreszeit umsichtig nutzen

Die Energiekrise hielt auch die VSE Geschäftsstelle auf Trab. Zum Tagesgeschäft kamen diverse interdisziplinäre Ausschüsse und Arbeitsgruppen hinzu, in denen Präsident, Direktor und Mitglieder der Geschäftsleitung die Sicht und Expertise der Branche einbrachten. Einer dieser Ausschüsse ist die Steuerungsgruppe Versorgungssicherheit, die die Massnahmen zur Verhinderung einer Mangellage mitgestaltete. Der VSE arbeitete in diesen Gremien stets konstruktiv mit, brachte Vorschläge ein und trug Entscheide wie etwa zum Rettungsschirm, Energiereserven und Sparbemühungen mit. Der VSE ist Gründungsmitglied der Energiespar-Alliance, welche die Bemühungen für die Versorgungssicherheit im Winter durch freiwillige Spar- und Effizienzmassnahmen unterstützt.

2022 stand im Zeichen des Ukrainekriegs und der Energiekrise, die den VSE, OSTRAL, die Branche aber auch Gesellschaft und Wirtschaft weiterbeschäftigen werden. Der VSE und OSTRAL setzen alles daran, sich weiterhin auf eine Strommangellage vorzubereiten. Denn das Risiko bleibt real, und wenn wir nicht nochmals Glück und einen milden Winter haben werden, ist das Risiko auch gross. Sämtliche Vorbereitungsarbeiten und Sparbemühungen des letzten Jahres werden uns im kommenden Winter 2023/2024, der die noch grössere Herausforderung werden dürfte, helfen. Branche, Politik, Gesellschaft und Wirtschaft sind gut beraten, wenn sie die warmen Monate umsichtig für die eigene Krisenvorbereitung nutzen, sparsam sind und Effizienzmassnahmen umsetzen.