AlpEnForCE: Das ist der Stand der Energieforschung

Für welche erneuerbaren Energien sind Bürger/innen bereit zu zahlen? Unter welchen Umständen beteiligen sie sich an Projekten? Würden sie flexible Tarife akzeptieren? Und wie abhängig ist die Entwicklung des Schweizer Stromsystems vom Ausland? Die Antworten der Forschung.
08.02.2022

An den jährlichen Energieforschungsgesprächen in Disentis präsentieren Wissenschaftler/innen ihre aktuellen Arbeiten. Wir haben mitgehört und fassen die wichtigsten Erkenntnisse zusammen.

Gemeinden spielen bei Bürgerbeteiligungen eine zentrale Rolle

Das Potenzial an renewable energy corporatives (Bürgerbeteiligungen/Partizipationsprojekte) ist gross und noch weitestgehend ungenutzt. Was bringt Bürgerinnen und Bürger dazu, in erneuerbare Stromproduktion zu investieren? Und was hält sie davon ab? Die Studie fokussiert sich auf Investitionspräferenzen für solche Kooperativen in Deutschland, Frankreich und Polen. Die Bereitschaft zu investieren ist höher, wenn die Gemeinde sich ebenfalls substanziell an der Anlage beteiligt. Rentabilität bzw. eine Absicherung gegen Verluste wirkt ebenso positiv. Umweltbewusstsein, sozialer Druck und Ortsidentität führen ebenfalls zu höherer Investitionsbereitschaft. Ein festgelegter Minimalbetrag reduziert jedoch die Wahrscheinlichkeit eines Investments, erst recht, wenn dieser hoch angesetzt ist. Zudem üben sich risikoaverse und mit der Energiepolitik unzufriedene Personen eher in Zurückhaltung, was Investitionen in solche Kooperativen angeht.

Dr. Marie-Charlotte Guetlein, Grenoble Ecole de Management: SONNET «Drivers and barriers to citizen investment in renewable electricity generation projects»

Für inländische Wasser- und Solarkraft besteht eine hohe Zahlungsbereitschaft

Wie steht es um die Zahlungsbereitschaft für erneuerbare Energien in der Schweiz? Wofür sind die Konsumentinnen und Konsumenten effektiv bereit zu zahlen? Die Resultate aus einem Experiment mit rund 6'500 Schweizer Haushalten zeigen, dass im Durchschnitt die Zahlungsbereitschaft am höchsten ist für Wasser- und Solarkraft. Für Windkraft ist man substanziell weniger bereit zu zahlen. Am tiefsten jedoch ist die Zahlungsbereitschaft für Atomenergie. Wem Umweltanliegen wichtig sind, ist sogar bereit, verglichen mit anderen Energiequellen einen Aufpreis für Solarenergie zu bezahlen. Darüber hinaus wird einheimische erneuerbare Produktion der ausländischen vorgezogen, wobei im Inland keine regionalen Präferenzen bestehen.   

Dr. Manuel Grieder, ZHAW Zentrum für Energie und Umwelt: When the Chips are Down. An Incentivized Analysis of Preferences for Green Electricity in Switzerland

Solarenergie im alpinen Raum: hoher Marktwert dank besserer Anpassung an Nachfrage

Gemäss der Untersuchung steigt der Marktwert von Solarenergie im Szenario mit PV-Anlagen im alpinen Raum erheblich. Grund dafür ist die bessere Anpassung der Solarstromproduktion an die täglichen und vor allem saisonalen Nachfragemuster. Ausserdem steigt der Marktwert der Modulkapazität, weil die Module im «Bergszenario» einen höheren Ertrag liefern. Die durchschnittliche Sonneneinstrahlung in den hochalpinen Regionen ist über das ganze Jahr höher als in nicht alpinen Regionen. Das Potenzial in höheren Lagen ist folglich und insbesondere im Winter grösser. Für die gleiche Menge Strom sind weniger Kapazität und Flächen nötig. Weil die Nachfrage besser abgedeckt wird, sinken auch die Winterpreise im Bergszenario. Der Einfluss auf die Preise sei erstaunlich gross.

Dr. Jonas Savelsberg, ETH Zürich: The market value of increased solar power production

Solarenergie im alpinen Raum: riesiges Potenzial für Sanierungen mit Solarfassaden

Wie können PV-Anlagen in Gebäudefassaden bestehender Bauten integriert werden und gleichzeitig dem historischen Kontext, der architektonischen Qualität und dem Ortsbild Rechnung tragen? In diesem Forschungsprojekt wird die Umsetzung von Solarfassaden an der bestehenden Bausubstanz überprüft und gestalterisch weiterentwickelt. Gemeinden brauchen Strategien, wie mit Solarfassaden bei einer Sanierung umgegangen werden kann. Ein integrales Konzept für die Sanierung verschiedenster Bauten, das Technik und architektonische Überlegungen kombiniert, kann nachhaltige und breit akzeptiere, ortsindividuelle Lösungen ermöglichen. Das ist gerade für Berggebiete und Touristenorte entscheidend. Gemäss dem Forschungsprojekt besteht ein riesiges Potenzial für die Sanierung mit Solarfassaden bei der bestehenden Bausubstanz, die rund um historische Kerne entstanden ist (Agglomeration).

Prof. Daniel Walser, Fachhochschule Graubünden (Institut für Bauen im alpinen Raum): Solarfassaden im alpinen Raum. Einsatz bei Gebäudeerneuerung

Flexible Tarife: ein Viertel zeigt klare Präferenzen für dynamische Strompreise

Diese Arbeit untersucht die Präferenzen für flexible Stromtarife, indem reale Kaufentscheidungen simuliert werden (discrete-choice-experiment). Es zeigt sich, dass Verbraucher generell bereit sind, Laststeuerungstarife (demand response tarifs) zu akzeptieren, dafür allerdings erhebliche Kompensationen verlangen. Verbraucher sind tendenziell risikoavers und bevorzugen weniger dynamische Preismodelle. Energiemanagementsysteme (EMS) sowie Rechnungsgarantien erhöhen jedoch die Akzeptanz für Demand-Response-Tarife. Alles in allem sind jedoch etwas mehr als die Hälfte der Teilnehmenden bereit, ihre Last automatisiert anzupassen. Über ein Viertel zeigt klare Präferenzen für dynamische Strompreise. Jüngere und berufstätige Haushalte mit einem durchschnittlich höheren Einkommen zeigen sich aufgeschlossener gegenüber flexiblen Tarifen. 

Patrick Ludwig, ZHAW Zentrum für Energie und Umwelt: Präferenzen für Tarifansätze für flexible Lasten

Schweizer Energiewende hängt stark von Entwicklungen in Nachbarländern ab

Die Resultate zeigen, dass die Entwicklung des Schweizer Stromsystems sehr stark von den Nachbarländern abhängt. In keinem der vier Szenarien, die unterschiedliche Ausbaupfade in den Nachbarländern simulieren, erreicht die Schweiz ihre Ziele für den Ausbau der erneuerbaren Energien. Das liege primär an der schlechten Perspektive für Investoren, konkret die unzureichenden gegenwärtigen Markt- und Fördermöglichkeiten. Zur Kompensation wird von höheren Stromimporten in den Wintermonaten ausgegangen, die sowohl aus technischer und ökonomischer Sicht machbar seien – und dies zu den niedrigsten Gesamtkosten.

Zwei weitere Szenarien beleuchten den Stromhandel. Bei eingeschränktem Stromhandel würden die inländischen Stromerzeugungskapazitäten steigen, es gäbe insbesondere mehr PV-Anlagen und Gaskraftwerke. Die Auslastung der Gaskraftwerke würde hauptsächlich im Winter steigen, um reduzierte Importmöglichkeiten zu kompensieren. Demgegenüber steht das Szenario mit einem ausgebauten Stromhandel. In diesem gibt es wenig inländische Stromerzeugung und ein starker Anstieg der Netto-Import. Da die Stromzusammenarbeit mit der EU ungeklärt ist, gibt es bei den Stromhandels-Szenarien jedoch grosse Unsicherheiten.

Dr. Marius Schwarz, ETH Zürich (Energy Science Center): Wie abhängig ist die Schweizer Energiewende von den Entwicklungen in den Nachbarländern?

Die «Energieforschungsgespräche Disentis» werden von der Stiftung Alpines Energieforschungscenter AlpEnForCe durchgeführt. Für mehr Informationen rund um die Veranstaltung und die wissenschaftlichen Arbeiten verweisen wir Sie auf die Webseite der Stiftung.