Was nützt 5G der Energiebranche?

Der Mobilfunkstandard 5G wird heiss diskutiert. Welchen Nutzen kann die Technologie dahinter im Hinblick auf die Energiezukunft bieten? Das Interview mit Bernd Nordieker von der Beratungsfirma Landos.
30.09.2020

Wird 5G dereinst autonom fahrende Autos ermöglichen? Birgt der neue Mobilfunkstandard gesundheitliche Risiken? Die Diskussion rund um 5G ist in vollem Gange. Der Elektro-Ingenieur Bernd Nordieker hat 30 Jahre Erfahrung im Bereich der Energiewirtschaft. Das Interview mit ihm beschränkt sich darauf, welche wirtschaftlichen Chancen und Risiken 5G mit sich bringt.

Herr Nordieker, wozu können Energieversorgungsunternehmen die hohen Datenübertragungsraten des 5G-Standards nutzbringend einsetzen?
Die Energiewelt verändert sich gerade stark in Richtung Dezentralität. Wir sehen immer mehr Einspeisung durch «Prosumer», neue Speicher gehen ans Netz, die individuelle E-Mobilität wächst rasch, Eigenverbrauchsgemeinschaften und Quartierverbünde entstehen. Das alles geschieht vor dem Hintergrund zunehmend gekoppelter Energiemärkte – von Nord bis Süd, von Ost bis West und über die Energieträger Strom, Gas und Wärme hinweg. Wir stehen vor Herausforderungen, die mit 5G vermutlich sehr viel einfacher und wirtschaftlicher zu bewältigen sind.

Sie meinen, 5G hilft bei der Bewältigung der neuen Datenmengen und der Steuerung des komplexeren Systems?
Das Optimieren von Produktion, Verbrauch und Netzlast mit schneller Datenübertragung ist die eine Seite. 5G kann aber nicht nur alle Akteure entlang der Wertschöpfungskette miteinander verbinden. Es kann auch Prozesse automatisieren und neue Sicherheitsstandards setzen. Speicher, die sich dann füllen, wenn die Strompreise tief sind und dann leeren, wenn sie hoch sind, automatische Abrechnung ohne Ablesen und Papierkram, blitzschnelle und sichere Authentifikation und Akkreditierung einzelner Netze und Akteure untereinander.

Neue Betätigungsfelder und Geschäftschancen für Energieversorger?
Einerseits ja. Und andererseits kommt keine Chance jemals ohne inhärentes Risiko. Wenn wir daran denken, wer heute am besten die Sicherheit von Daten garantieren kann, wer diese gewinnbringend zu verarbeiten weiss, wer sogar bereits antizipiert, wie die Kunden handeln werden...dann denken wir vielleicht nicht in erster Linie an Energieversorger, sondern an die weltgrössten IT-Unternehmen.

Also mitunter Bedrohungen von ausserhalb?
Ich würde zumindest vom «wankenden Mythos Strom» sprechen. Bei den Energieversorgern muss ein Umdenken stattfinden. Sie werden von Stromlieferanten zu Anbietern von Dienstleistungen, bei denen Strom möglicherwiese nur noch eine untergeordnete Rolle spielt. Dabei müssen sie evaluieren, welche Services sie selbst erbringen können, wo Kooperation mit branchenfremden Playern gefragt ist – und wo sie das Feld anderen überlassen. Vorteile der EVU sind das Vertrauen der Kunden und die zuverlässige Infrastruktur.

Birgt 5G weitere Anwendungsmöglichkeiten als die effiziente Allokation des Stroms?
Zwei weitere Bereiche sind die Mobilität, wobei ich an eine raffiniert vernetzte Elektromobilität denke, die zusätzlich zum effizienten Einsatz der Elektrizität auch Fahrer untereinander vernetzt und ganz neue Carsharing-Modelle ermöglicht. In Bezug auf das Netz kann die Instandhaltung optimiert werden: Drohnen, die Störungen evaluieren, weitreichende und KI-gestützte Interpretation von Fehlermeldungen sowie automatisierte Netzeingriffe vornehmen. Im Nieder- und weitgehend auch im Mittelspannungsnetz sind die EVU heute noch faktisch blind. Das kann sich mit 5G ändern.

Die Technologie ist da. Was fehlt noch?
Zum einen fehlen gewisse gesetzliche Rahmenbedingungen, die es EVU etwa erlauben würden, vom Kunden freigegebene Energiedaten wirtschaftlich zu nutzen. Erst dann sind Modelle denkbar, in denen Kunden zum Beispiel gewisse Anwendungen dem EVU überlassen – und davon wiederum preislich profitieren. Ein Beispiel wäre die Waschmaschine, die einerseits dann wäscht, wenn es netzdienlich ist, andererseits aber auch genau dann fertig ist, wenn der Kunde seine Wäsche braucht.

Eine Vorstellung, die auch nicht überall auf offene Ohren stossen dürfte.
Ja, einerseits ist noch viel Aufklärungsarbeit nötig – und andererseits müssen die Vielfältigkeit und die Flexibilität der Angebote steigen. Gewisse Kunden werden die neuen Möglichkeiten willkommen heissen, andere wollen auch weiterhin genau das, was sie heute bekommen. Und wiederum andere werden etwas eine Zeitlang machen – und dann wieder aufgeben wollen, zugunsten von etwas Neuem. All das muss drinliegen. Und all das führt zu neuer Komplexität. 5G ist nur der Datenstandard. Die grosse Arbeit liegt noch vor uns – z.B. bei der Gestaltung von Rahmenbedingungen, Angeboten, Prozessen und unterstützenden Systemen. Doch ich denke, mit 5G sind die Erfolgschancen für die digitale Transformation der Energieversorgung grösser.

- Website "Chance 5G"