Verfahren beschleunigen: Spiessrutenlauf für erneuerbare Stromproduktionsanlagen und Netze reduzieren

31.10.2023
Damit der Umbau des Energiesystems endlich Fahrt aufnehmen kann, müssen die Planungs- und Bewilligungsverfahren beschleunigt werden. Die Stossrichtung im vom Bundesrat vorgelegten Beschleunigungserlass stimmt. Wichtig ist, dass die Beschleunigung nicht nur für erneuerbare Produktionsanlagen von nationalem Interesse gilt, sondern insbesondere auch auf die nötigen netzseitigen Anschlüsse und Leitungen ausgeweitet wird.

Wer in der Schweiz Energieinfrastruktur realisieren will, braucht einen langen Atem: Die mehrstufigen Planungs- und Bewilligungsverfahren sowie die Instanzenwege bei Beschwerden dauern regelmässig 15 Jahre und mehr. Diese Zeitspannen sind unhaltbar. Spätestens seit der Energiekrise sollte die Dringlichkeit, ein deutlich höheres Tempo beim Ausbau der erneuerbaren Energien anzuschlagen, in unser aller Bewusstsein verankert sein. Denn Fakt ist: Mit dem heutigen Ausbautempo verfehlt die Schweiz ihre unverhandelbaren und übergeordneten Energie- und Klimaziele um Jahrzehnte.

Für einen zügigen und starken Ausbau der erneuerbaren Energien wurden in den letzten Monaten Fortschritte erzielt, bspw. mit dem runden Tisch Wasserkraft, der Solar-Offensive und der Beschleunigung fortgeschrittener Windkraftprojekte. Mit dem Mantelerlass ist zuletzt ein wahrhaftiger Meilenstein gelungen. Die neuen Bestimmungen dürften die Bewilligungsfähigkeit von Projekten markant verbessern. Notwendig ist nun, dass der Mantelerlass seine Wirkung schnellstmöglich in der Realität entfalten kann und die vielen geplanten Ausbauprojekte umgesetzt werden können (siehe VSE Projektübersicht Ausbau Erneuerbare).

Beschleunigungsvorlage: unabdingbare Ergänzung zum Mantelerlass

Damit dies so rasch wie möglich gelingt, braucht es ergänzend zum Mantelerlass eine Beschleunigung der Verfahren: Planungs-, Bewilligungs- und Beschwerdeverfahren müssen gestrafft werden. Die aktuelle Praxis zeigt, dass diese Verfahren sehr aufwendig und langwierig. Es ist daher richtig, die Prozessschritte wie vom Bundesrat vorgeschlagen in einem konzentrierten Verfahren zu bündeln und zu koordinieren sowie den Beschwerdeweg zu verkürzen (siehe Prozess im Kanton Neuenburg).

Um die Wirkung auch in Realität zu verbessern, muss auch sichergestellt sein, dass die zuständige kantonale Behörde ausreichend personelle Ressourcen für die Behandlung der Projekte hat. Auch könnten Fristen, innerhalb derer Entscheide zu fällen sind, verbindlich vorgegeben werden. Eine behördliche Anlaufstelle soll die Koordination innerhalb der Verwaltung sicherstellen und für Gesuchsteller den single point of entry darstellen.

Mengenmässig werden auch kleinere Produktionsanlagen wesentlich zur Energie- und Klimastrategie beitragen. Es wäre daher sinnvoll, wenn die Kantone nicht nur auf Geheiss des Bundes ihre Verfahren für Anlagen von nationalem Interesse straffen, sondern auch für kleinere Projekte zügige Bewilligungsverfahren vorsehen.

Die Beschleunigungsvorlage ist somit eine unabdingbare Ergänzung zum Mantelerlass. Sie soll dem Erreichen der im Mantelerlass festgelegten ambitionierten Ausbauziele den dringend benötigten Schwung verleihen. Daher muss der Beschleunigungserlass so zügig wie möglich vom Parlament beraten und verabschiedet werden. Die vom Bundesrat eingeschlagene Stossrichtung in der Beschleunigungsvorlage stimmt.

Keine Beschleunigung der Produktion ohne Netz

Insbesondere in einem Punkt besteht in der Vorlage des Bundesrates eine grosse Lücke: Sie sieht eine Beschleunigung der Verfahren nur für Produktionsanlagen vor, nicht aber für die Netze. Eine Produktionsanlage dient aber niemandem, wenn kein Anschluss vorhanden ist oder die Netzkapazitäten nicht ausreichen, um die Energie abzutransportieren. Die Beschleunigungsmassnahmen müssen aus diesem Grund ebenso die bundesrechtlichen Sachplan- und Plangenehmigungsverfahren für die Netze umfassen. Denkbar ist, dass das Plangenehmigungsverfahren für die netzseitigen Anlagen in das neue, mit der Vorlage vorgesehene konzentrierte kantonale Verfahren integriert wird, so dass die kantonale Behörde in Abstimmung mit dem Eidgenössischen Starkstrominspektorat (ESTI) auch die Bewilligung für den elektrischen Teil der Anlage erteilt. Mindestens muss sichergestellt werden, dass die Bewilligungen für die netzseitigen Anschlüsse und Leitungen zeitgleich mit denjenigen für die Produktionsanlage erteilt werden.

Beschleunigung auch im Netz

Die Beschleunigungsvorlage strebt Verbesserungen für die Realisierung von Stromübertragungsnetzen (NE 1) an. In Zukunft soll im Rahmen des Sachplanverfahrens direkt ein Planungskorridor festgelegt werden (statt wie bisher zuerst ein Planungsgebiet). Aus Sicht der Übertragungsnetze ist diese Absicht positiv zu werten. Es darf nicht sein, dass bis zur Inbetriebnahme eines Stücks Höchstspannungsleitung, das zentral ist für den Abtransport der Energie aus den Speicherseen, 36 Jahre vergehen, wie das bei Chamoson-Chippis der Fall war.

Unverständlich ist, dass nicht vorgesehen ist, dass alle Netze von einem beschleunigten Plangenehmigungsverfahren profitieren sollen. Der Umbau des Energiesystems spielt sich hauptsächlich auf den unteren Netzebenen ab: Leistungen bis 150 MW, punktuell auch höher, werden an das Verteilnetz angeschlossen. Im Verteilnetz soll es aber beim ordentlichen kantonalen Verfahren bleiben, für das keine Beschleunigung vorgesehen ist. Dies hat zur schwerwiegenden Folge, dass zum Beispiel für die Realisierung einer alpinen Solaranlage drei unterschiedliche Bewilligungsverfahren erforderlich sind – obschon es um ein und denselben Sachverhalt geht:

  • Für die Solaranlage gilt ein beschleunigtes Verfahren (Dauer inkl. Gerichtsverfahren = max. 1 Jahr). Genehmigungsbehörde ist der Kanton, verantwortlich ist der PV-Eigentümer.
  • Für die Anschlussleitung gilt ebenfalls ein beschleunigtes Verfahren (Dauer inkl. Gerichtsverfahren = max. 1 Jahr). Genehmigungsbehörde ist das Eidgenössische Starkstrominspektorat (ESTI), verantwortlich ist der PV-Eigentümer.
  • Für die Netzverstärkung gilt ein ordentliches kantonales Verfahren (ohne Beschleunigung, Dauer = max. 2 Jahre OHNE Gerichtsverfahren). Genehmigungsbehörde ist das ESTI, verantwortlich ist der zuständige VNB.

Somit wäre Stand heute für die Beschleunigung keine Konsistenz gegeben, und es bestünde weiterhin ein Flaschenhals. Aus diesem Grund kann eine echte Beschleunigung für neue Energieinfrastruktur nur erzielt werden, wenn auch das Verfahren für Netzverstärkungen mitberücksichtigt wird (Gleichstellung von Kraftwerk, Anschlussleitung und Netzverstärkung). Im Optimalfall gäbe es ein einziges beschleunigtes Verfahren mit denselben Fristen und Prozessen für alle Teilbereiche und über alle Behörden hinweg.