Liberalisierung des Messwesens, ja oder nein?

Das neue «Bundesgesetz über eine sichere Stromversorgung mit erneuerbaren Energien» soll die Ziele von EnG und StromVG koordinieren. Es sieht die vollständige Liberalisierung des Messsystems vor. 2017 hatte Nationalrat Philippe Nantermod eine entsprechende Motion eingereicht. Die Strombranche, vertreten durch Christian Petit, CEO von Romande Energie, stellt sich vehement dagegen.
27.05.2021
Philippe Nantermod (links) und Christian Petit (rechts)

Philippe Nantermod, was ist der Grund für Ihre Motion?

Philippe Nantermod: In den vergangenen Jahren haben wir festgestellt, dass der Messsystemmarkt für die Vertreiber äusserst lukrativ ist. Innert weniger Jahre amortisieren sie die vermieteten Geräte um ein Mehrfaches – zuungunsten der Endverbraucherinnen und Endverbraucher und der Investitionen in die elektrischen Installationen.

Und wenn die Bildung von Eigenverbrauchergemeinschaften (EVG) gefördert werden soll, etwa bei Stockwerkeigentum oder in einem KMU-Park, braucht es bei den Zählern mehr Innovationen. Ich hatte die Chance, für die Verbraucherinnen und Verbraucher äusserst interessante Smart-Meter-Projekte kennenzulernen.

Die Situation hat sich also mit den EVG geändert. In diesem Bereich schreitet der Fortschritt rasant voran, und seit dem 1. Januar 2018 agieren nicht mehr nur KMU auf dem Markt, sondern auch die Vertreiber selbst. Ich sehe nicht ein, weshalb sie auf diesem Markt alleine agieren sollten.

Christian Petit, weshalb ist die Liberalisierung des Messsystems aus Ihrer Sicht eine schlechte Idee?

Christian Petit: Eine vollständige Liberalisierung des Messsystems würde zu einem beträchtlichen Mehraufwand führen, der in Anbetracht des potenziellen Marktvolumens unverhältnismässig wäre. Die makroökonomischen Kosten wären grösser als das Einsparpotenzial für die Kunden, wie die Erfahrungen in anderen Ländern und die Ergebnisse von Studien des BFE zeigen. Das perfekt in das Verteilnetz integrierte bestehende Messsystem ist in sich kohärent, effizient, ziemlich wirtschaftlich und entspricht den regulatorischen Anforderungen. Im Übrigen wäre der staatliche Eingriff bei einer Teilliberalisierung im Vergleich zum geringen Nutzen für die Wirtschaft ebenfalls unverhältnismässig.

Was verstehen Sie unter einem beträchtlichen Zusatzaufwand?

Christian Petit: Ein Aufwand, der aus der äusserst aufwendigen Festlegung neuer Prozesse und Kontrollverfahren resultiert, um die künftig heterogenen Messsysteme in ein kohärentes Verteilnetz zu integrieren.

Philippe Nantermod, geht es mit der Liberalisierung der Zähler um echte Vorteile oder um eine Grundsatzfrage für einen liberalen Politiker?

Philippe Nantermod: Die Tatsache, dass der Konsument seine Kosten senken kann, ist ein echter Vorteil. Für den Endverbraucher ist es ein Nachteil, ein Produkt mieten zu müssen, das mehrmals amortisiert wird. In Bern vertrete ich die Bürgerinnen und Bürger, nicht die Vertreiber im Besitz der öffentlichen Hand.

Ich bin im Übrigen davon überzeugt, dass es mit der Energiestrategie 2050 und der dezentralisierten Stromerzeugung – und natürlich mit dem Stromverbrauch, der insbesondere mit der Elektromobilität oder der Vervielfachung der Wärmepumpen steigen wird – sinnvoll sein wird, über Verbrauchsmanagementinstrumente zu verfügen, die dank dem Wettbewerb leistungsfähiger werden.

Christian Petit, stellt diese Liberalisierung hinsichtlich des Marktvolumens denn keine Chance dar?

Christian Petit: Das Beispiel Deutschland lässt nicht auf Preissenkungen schliessen und zeigt, dass ein aufwendiges Splitting von Kosten sowie von technischen und kommerziellen Prozessen notwendig ist. Da in der Schweiz die Volumina zudem geringer sind als in Deutschland, kann man davon ausgehen, dass sich diese Massnahme nicht für unser Land eignet.

Philippe Nantermod, das Beispiel Deutschland hat gezeigt, wie viele staatliche Eingriffe die Liberalisierung erfordert hat. Lohnt sich dieser Aufwand?

Philippe Nantermod: Ich hatte einen Vorschlag gemacht, der einen einzigen Gesetzesartikel umfasste und die Liberalisierung des Marktes erlaubte. Ich habe in der Politik festgestellt, dass man immer gute Gründe findet, um nicht zu handeln, wenn man sie sucht. Insbesondere wenn es darum geht, Bestehendes zu bewahren.

Wäre die Rechtssicherheit nicht gefährdet?

Philippe Nantermod: Mir ist schleierhaft, wie die Rechtssicherheit beeinträchtigt werden könnte. Jede Gesetzesänderung bedingt Änderungen im Betrieb mit entsprechenden Fristen für die Umsetzung. Im Übrigen scheint mir die Rechtssicherheit eher durch Monopole jeglicher Art gefährdet zu sein.

Christian Petit, inwiefern verletzt eine Liberalisierung das Prinzip der Rechtssicherheit und des Schutzes von Investitionen?

Christian Petit: Die Energiestrategie 2050 verpflichtet die Netzbetreiber, intelligente Messsysteme einzuführen, indem mindestens 80 Prozent der bestehenden Zähler bis Ende 2027 smart werden. Gleichzeitig wurden die entsprechenden hohen Beträge auf Verordnungs- und Gesetzesstufe den Netzkosten zugeordnet, also dem Monopol. Die Netzbetreiber, die den gesetzlichen Auftrag nach Treu und Glauben ausführen, gehen also das Risiko ein, bei einer Liberalisierung auf nicht amortisierbaren Kosten sitzen zu bleiben. Für eine Liberalisierung des Messsystems, während die Einführung der Smart Meter voll im Gang ist, ist jetzt ein schlechter Zeitpunkt. Auch für die Stromproduzenten würde die Liberalisierung das Prinzip der Rechtssicherheit verletzen, da die Energiestrategie 2050 die Stromproduzenten von den Messkosten befreit hatte. Jetzt könnten ihnen diese Kosten wieder auferlegt werden. Das kann die Rendite der Investitionen beträchtlich schmälern und letztlich die Entwicklung erneuerbarer Energien bremsen.

Philippe Nantermod, wie steht es um die Datensicherheit?

Diversifizierung der Anbieter kann nur zu einer besseren Datensicherheit führen.

Die Gefahr liegt im Gegenteil in einer Konzentration aller Daten in einer Hand. Es ist im Übrigen wichtig, zu erwähnen, dass die eingesetzten Zähler natürlich zugelassen werden müssen, wie das bei vielen Komponenten in der Stromwirtschaft der Fall ist, unabhängig davon, ob ein Monopol besteht oder nicht.

Christian Petit, profitieren die Verteilnetzbetreiber (VNB) zuungunsten der Verbraucherinnen und Verbraucher und der Investitionen in die elektrischen Installationen vom heutigen System?

Christian Petit: Einige werfen den VNB vor, vom heutigen Markt der Messsysteme zu profitieren, weil dies den Verteilern die interessante Möglichkeit eröffne, die vermieteten Apparate mehrfach zu amortisieren, zuungunsten der Endverbraucherinnen und Endverbraucher und der Investitionen in elektrische Installationen. Zunächst ist es falsch zu sagen, dass die Zähler vermietet werden. Sie werden, genauso wie andere Netzkomponenten wie beispielsweise Kabel oder Freileitungen, verbucht und abgeschrieben. Es ist daher verfehlt zu sagen, dass die VNB die Zähler mehrmals amortisierten. Ganz im Gegenteil: Da die Zähler nach ihrer Amortisation nicht mehr in der Buchhaltung enthalten sind, verringern sich tendenziell die gesamthaft angerechneten Messkosten für sämtliche Endverbraucherinnen und Endverbraucher.

Gibt es eine Möglichkeit, allfällige Missbräuche aufzudecken?

Christian Petit: Die ElCom stellt die Preis- und die Qualitätsüberwachung sicher; diese Vorwürfe rechtfertigen daher keine Liberalisierung und keine Ausdehnung des Marktes. Die ElCom kann den Netzbetreibern, die sich nicht an diese Regeln halten und die nicht in der Lage sind, die Messdaten in der erforderlichen Qualität und Verfügbarkeit zu angemessenen Kosten bereitzustellen Korrekturmassnahmen auferlegen.