Kein Abschluss «light»

Zum zweiten Mal in Folge finden das Qualifikationsverfahren von Netzelektrikerinnen und Netzelektrikern in diesem Jahr unter erschwerten Bedingungen statt. Während im letzten Jahr auf schriftliche Prüfungen verzichtet wurde, sollen diese heuer wieder wie gewohnt stattfinden.
07.04.2021
Ruhe vor dem Sturm: Alles ist vorbereitet für das Qualifikationsverfahren. (Bild: Rolf Studer)

Das vergangene Jahr wird kaum jemand so schnell vergessen. Zu tiefgreifend waren die Einschnitte und Beschränkungen, welche die Gesellschaft aufgrund der Pandemie erdulden musste. In besonderem Masse dürfte dies auch für Lernende gelten, welche ihre Ausbildung im Jahr 2020 beendet haben. Statt zur krönenden Abschlussprüfung antreten und ihre Leistungsfähigkeit unter Beweis stellen zu können, beendeten viele Lernende ihre Lehre mit verkürzten Qualifikationsverfahren. Schnell kamen Bedenken auf, dass dieser Pandemie-Jahrgang seinen Abschluss «geschenkt» erhalte und dass das Zertifikat daher nicht als gleichwertig zu einem «normalen» Abschluss angesehen werden könne – auch bei den Netz­elektrikerinnen und Netzelektrikern.

Diese Befürchtungen haben sich allerdings nicht bewahrheitet. «Mir wäre kein Fall bekannt, bei dem eine Netzelektrikerin oder ein Netzelektriker deswegen benachteiligt worden wäre», sagt Rolf Studer, seit Anfang Jahr Chefexperte für das Qualifikationsverfahren für die Region Bern im Ausbildungszentrum Kallnach. Zwar sei im Vorfeld gewitzelt worden, ob man diesen Lehrabgängern wirklich alle Arbeiten zumuten könne, aber «das ist nur Netz­elektriker-Humor», erklärt Rolf Studer lachend. «Und es ist mir wichtig, zu betonen, dass die Lernenden keinen Abschluss light erhalten, sondern eine richtige Prüfung absolviert haben.»

Keine schriftliche Prüfung, sonst war fast alles wie gehabt

In der Tat absolvierten die Lernenden bis auf die schriftliche Prüfung fast das normale Programm, welches jeweils am Qualifikationsverfahren ansteht. Die praktischen Prüfungen dauerten 12 statt 16 Stunden und fanden für einmal in Vierer- anstatt in den üblichen Fün­fer-Gruppen statt. Zusammen mit dem jeweiligen Experten waren so nie mehr als die maximal erlaubte Zahl von fünf Personen versammelt. Anstelle der schriftlichen Prüfungen floss in diesem Jahr neben der Erfahrungsnote aus den überbetrieblichen Kursen auch eine Erfahrungsnote aus den Leistungen in der Berufsschule in die Bewertung mit ein.

Die Lernenden wird das gefreut haben, mussten sie so doch weniger Theorie büffeln. «Als feststand, dass es keine schriftlichen Prüfungen geben würde, war bei einigen schon ein gewisser Spannungsabfall zu bemerken», sagt Rolf Studer, der als Leiter Gebiet Solothurn bei der AEK Onyx arbeitet. Er habe aber auch erlebt, dass Lernende enttäuscht gewesen seien, weil sie gerne in der schriftlichen Prüfung gezeigt hätten, was sie auf dem Kasten haben. «Wir hatten ausserdem Repetenten, welche das Qualifikationsverfahren 2019 nicht bestanden hatten, und nun gerne hätten beweisen wollen, dass sie in ihrem Zusatzjahr Gas gegeben haben.»

Handschuhe, Hygienemasken, Fünfer-Gruppen ...

Eine spezielle Anspannung hat Rolf Studer bei den Lernenden aber nicht ausmachen können: «Das Stressniveau ist bei einer Abschlussprüfung sowieso schon hoch, und aufgrund der grosszügigen Räumlichkeiten in Kallnach waren wir nur minimal eingeschränkt.» So mussten beispielsweise die Experten ständig Handschuhe tragen. Nicht so die Kandidaten, weil das ihre Arbeit behindert hätte. Natürlich galt generell Maskenpflicht, und das Mittagessen wurde in mehreren Schichten in verschiedenen Räumen eingenommen. Und natürlich mussten die Messgeräte und Werkzeuge nach jedem Kandidaten desinfiziert werden.

Der grösste Aufwand sei im Vorfeld angefallen, sagt Rolf Studer. Er sei zwar damals noch nicht Chefexperte gewesen, wisse aber von seinem Vorgänger Rudolf Schneider, wie intensiv diese Phase gewesen sei. Neben all den Vorbereitungsarbeiten und administrativen Aufgaben, die sowieso anfallen, seien auch noch Abklärungen, ob und wie das Qualifikationsverfahren stattfinden kann, dazugekommen. Der Aufwand vor und während des Qualifikationsverfahrens hat sich jedoch ausbezahlt: «Wir hatten keinen Fall zu vermelden und mussten niemanden mit Symptomen nach Hause schicken. Darüber sind wir sehr froh.» Auch hätten weder Experten noch Lernende Bedenken oder gar Angst, sich zu infizieren, gehabt. «Alle fühlten sich wohl während der Prüfung.»

«Anspannung ja, aber nicht wegen der Massnahmen»

Einer, der das bestätigen kann, ist Tobias Studer. Der junge Mann aus dem solothurnischen Deitingen arbeitet in der Nachbargemeinde Luterbach bei der dortigen Niederlassung der Arnold AG als Netzelektriker. In diesem Betrieb hatte er auch seine Lehre absolviert, welche er 2020 am oben beschriebenen Qualifikationsverfahren in Kallnach erfolgreich abgeschlossen hat. «Natürlich war ich angespannt, aber nicht wegen der Pandemie, sondern wegen der Abschlussprüfung.» Die Massnahmen seien für die Kandidaten definitiv nicht im Zentrum gestanden, weil sie auf die Prüfung konzentriert gewesen seien.

Dass er keine schriftliche Prüfung ablegen musste, kam Tobias Studer zupass: «Das nahm schon ziemlich viel Druck weg vor der Prüfung. Ich fand das gut, da ich mich so voll und ganz auf die praktische Prüfung konzentrieren und vorbereiten konnte. Dass die Leistungen in der Berufsschule stärker gewichtet wurden, finde ich in Ordnung, denn dort hat man ja auch schon viel Zeit investiert, um gute Noten zu kriegen.» Tobias Studer ist übrigens der Sohn von Rolf Studer, allerdings habe der Senior bei der Berufswahl keinesfalls auf den Junior eingewirkt, betonen beide unisono.

Qualifikationsverfahren 2021 wird komplett durchgeführt

Beim nächsten Qualifikationsverfahren, das in rund zwei Monaten ansteht, werden sowohl die schriftliche als auch die praktische Prüfung durchgeführt. «Wir haben Anfang Februar grünes Licht erhalten, dass wir das Qualifikationsverfahren im normalen Rahmen durchführen können; unabhängig davon, ob der Bundesrat allfällige weitere Öffnungsschritten beschliesst oder nicht.» Neben den allgemein gültigen Hygiene- und Abstandsmassnahmen habe man dafür nur den Ablauf der Prüfung leicht anpassen müssen: «Statt am Montagnachmittag findet die schriftliche Prüfung in diesem Jahr am Freitag statt. So können wir die mobilen Anlagen für die praktischen Prüfungen schon vorgängig einrichten und am Donnerstagabend wieder abbauen.»