Ist Kühlen bald das neue Heizen?

Der Klimawandel bringt der Schweiz häufigere Hitzewellen, warnt das BAFU. Der Kühlbedarf in Gebäuden nimmt damit signifikant zu. Das hat Konsequenzen für unser künftiges, elektrifiziertes Energiesystem.
09.08.2021

Die Schweiz ist vom Klimawandel besonders stark betroffen. Die Folgen sind gemäss der BAFU-Studie 2020, "Klimawandel in der Schweiz", häufigere Hitzewellen und trockene Sommer. Damit dürfte auch die Anzahl der sogenannten «Kühlgradtage» deutlich zunehmen. Diese messen die Anzahl Stunden, in denen die Umgebungstemperatur über einem Schwellenwert liegt, bei dem ein Gebäude gekühlt werden muss, um die Innentemperatur angenehm zu halten. Wenn deshalb vermehrt Kühlgeräte in privaten Haushalten installiert werden, könnte der Energiebedarf für die Kühlung von Gebäuden, der bereits durch das Bevölkerungswachstum zunehmen wird, noch weiter ansteigen.

Versuchslabor NEST der EMPA mit erschreckender Prognose

Um ein besseres Verständnis für die Zunahme des Kühlbedarf in der Schweiz zu bekommen, haben Empa-Forschende den Heiz- und Kühlbedarf des Forschungs- und Innovationsgebäudes NEST analysiert. Dessen bewohnter Teil hat etwa den Heizbedarf eines modernen Mehrfamilienhauses. Die gewonnenen Zahlen sind repräsentativ, wenn davon ausgegangen wird, dass der durchschnittliche Schweizer Gebäudepark dem NEST-Gebäude entspricht.

«Unter Einbezug der Umgebungstemperaturen konnten wir basierend auf den Klimaszenarien für die Schweiz eine Hochrechnung zum zukünftigen thermischen Energiebedarf von Gebäuden durchführen. Dabei haben wir neben dem Klimawandel auch das Bevölkerungswachstum und einen zunehmenden Einsatz von Kühlgeräten berücksichtigt», erklärt Robin Mutschler, Postdoc am «Urban Energy Systems Lab» der Empa. Das Resultat: Geht man von einem extremen Szenario aus, bei dem die gesamte Schweiz auf Klimaanlagen angewiesen wäre, würde bis Mitte des Jahrhunderts fast genauso viel Energie zum Kühlen wie zum Heizen benötigt. In Zahlen ausgedrückt, entspricht dies etwa 20 Terawattstunden (TWh) pro Jahr für das Heizen und 17.5 TWh für das Kühlen.

Geht man von einem Szenario aus, bei dem die gesamte Schweiz auf Klimaanlagen angewiesen wäre, würde bis 2050 fast genauso viel Energie zum Kühlen wie zum Heizen benötigt

Steigender Kühlbedarf führt zu Strom-Bedarfsspitzen

Der Energiebedarf von Schweizer Gebäuden macht heute rund 40 Prozent des Gesamtenergiebedarfs aus. Der Hauptteil entfällt auf das Heizen. Falls nun vermehrt Wärmepumpen zur Kühlung eingesetzt werden, hat das potenziell einen starken Einfluss auf die Stromversorgung. Diese Zunahme könnte zu erheblichen Strom-Bedarfsspitzen an heissen Tagen führen, so die EMPA. Von Vorteil ist immerhin, dass sich der Kühlbedarf saisonal relativ gut mit der Elektrizitätserzeugung aus Photovoltaik-Anlagen deckt. Kritischer bleibt daher das Winterhalbjahr.

Aus Sicht des VSE ist für die Sicherstellung der Versorgungssicherheit in jedem Fall eine angemessene heimische Produktion zentral. Dazu muss die Nutzung aller erneuerbaren Energien vorangetrieben werden. Gleichzeitig muss der Bestandserhalt sichergestellt und unterstützt werden. Die Weiterführung der Förderung ist dafür der pragmatische Weg.

- Ausbau der Erneuerbaren so dringend wie nie (VSE-Medienmitteilung vom 18.06.2021)