Energiewelten: NEST – eine Spielwiese für die Energiezukunft

An der Empa in Dübendorf wird die Zukunft geprobt. Der Energy Hub (ehub) im Forschungs- und Innovationsgebäude NEST hält Energienetze in mehrfacher Ausführung bereit – und liefert smarte Messdaten. Ein Interview mit dem Projektleiter.
11.09.2019

Herr Heer, wir sind hier im Keller des NEST, über uns befinden sich Wohneinheiten, Büros und ein Fitnessraum mit Saunas. Hier unten ist alles voller Röhren, Kabel und Elektronik. Was genau ist der «ehub»?
Der ehub ist eine Energieforschungsplattform mit dem Ziel, das Energiemanagement auf Quartierebene zu optimieren – und dessen Einfluss auf das gesamte Energiesystem zu ergründen. Dank der energetischen Trennung und den verschiedenen Nutzungsprofilen der Einheiten im NEST, haben wir hier praktisch ein ganzes Quartier innerhalb eines einzigen Gebäudes. Wir verfügen über drei Wärmenetze, drei elektrische Netze, ein Druckluftnetz – und Technologien wie Eisspeicher oder Brennstoffzellen. Sämtliche Komponenten der Infrastruktur lassen sich einzeln ansteuern und – je nach Forschungsfrage – im Verbund oder separat betreiben. Dadurch können im ehub Konzepte gezielt entwickelt, analysiert und weiterentwickelt werden.

Was spüren die Bewohner des Hauses von der ganzen integrierten Technologie?
Im Idealfall wenig – ausser modernen Wohnkomfort. Doch dahinter verstecken sich diverse Elemente, die nahtlos ineinandergreifen. Einige Beispiele: Wir nutzen Solarstrom für den Betrieb einer Hochtemperatur-Wärmepumpe, mit der wir mehrere Saunas beheizen. Dabei setzen wir auf eine kaskadische Energienutzung: Die Abwärme der finnischen Sauna brauchen wir für das Erzeugen von Dampf im Dampfbad und dessen Abwärme wiederum für das Aufheizen der Biosauna. Auch der Strom, den die Nutzer der Fitnessgeräte produzieren, wird ins Quartiernetz eingespeist. Im zweiten Stock haben wir eine Wohneinheit, wo eine künstliche Intelligenz den Wärme- und Lichteinfall des Panoramafensters berücksichtigt, um die Raumtemperatur konstant auf einem angenehmen Niveau zu halten. Wir versuchen dort, Komfort durch einen Algorithmus abzubilden.

Wir haben hier praktisch ein ganzes Quartier innerhalb eines einzigen Gebäudes

Viele Systeme, die eng ineinandergreifen. Eine optimistische Vorschau auf die Energiezukunft der Schweiz?
Tatsächlich wird nicht eine einzige erneuerbare Technologie die Zukunft dominieren – und wir dürfen nicht länger in Technologie-Silos denken. Wir können im Fall der Energiewende aber auch nicht auf der grünen Wiese beginnen. Vielmehr müssen wir auf einem bereits vorhandenen Strom-, Gas- und Fernwärmenetz aufbauen. Der Umbau des Energiesystems wird massgeblich von den Endnutzern mitgeprägt. Nehmen Sie etwa die Photovoltaik, Batteriespeicher oder die E-Mobilität: Sobald diese preislich attraktiv sind und dem Kunden Effizienzgewinne bringen, entsteht von unten merkbarer Druck auf das ganze System, nach dem Prinzip «wer kauft, befiehlt». Die Frage ist dann, wie das Energiesystem damit umgeht.

Direkt neben dem Gebäude hat es eine Power-to-Gas-Anlage, die überschüssigen Strom zur Herstellung von Wasserstoff sowie Methan nutzt. Ist diese Technologie nicht schrecklich ineffizient?
Die Frage ist falsch gestellt, weil sie nicht aufs Gesamtsystem abzielt. Wenn ich die Überschussenergie von Photovoltaik vom Sommer in den Winter bringen möchte, ist die Einzeleffizienz eines Elektrolyseurs oder einer Methanisierungsanlage sekundär. Nicht das ultimativ effiziente Einzelsystem wird sich durchsetzen, sondern ein gut umsetzbares und nachhaltiges System. Wir sollten uns auch davon verabschieden, Technologien nur einem Sektor zuzuschreiben, wenn sie für mehrere Sektoren gleichzeitig relevant sind. Je nachdem, wie ich eine Wärmepumpe betreibe, kann sie z.B. dem Stromnetz nützen und dort Schwankungen ausgleichen.

Dezentralisierung, Elektrifizierung und Digitalisierung sind die Trends der Stunde

Welche Energietrends sind derzeit besonders prägend?
Dezentralisierung, Elektrifizierung und Digitalisierung sind die Trends der Stunde. Was wir neu installieren, sollte sich idealerweise auch durch eine Automation beeinflussen lassen. Das gibt einen ganzen Strauss von Möglichkeiten, den wir auch dringend brauchen. Unterschiedliche Städte erfordern unterschiedliche Lösungen, abhängig von Faktoren wie der Höhenlage, dem Anteil an Gewerbe, Tourismus, Verkehr usw. Ähnlich verhält es sich mit der Mobilität. Je nach Anwendungsgebiet ist ein wasserstoffbetriebenes Fahrzeug einem reinen Stromer vorzuziehen – oder das Gasfahrzeug macht das Rennen.

Apropos Mobilität: Wie stehen sie zum CO2-Streit zwischen Anhängern von Elektroautos und Fans von Verbrennungsmotoren?
Wir haben in einer gross angelegten Studie die Antriebsstränge miteinander verglichen, über die ganze Lebensdauer der Fahrzeuge, in unserer Annahme 240'000 km. Das Fazit ist erstaunlich: Nicht der Antrieb an sich macht den Unterschied, sondern die Erneuerbarkeit der Energiequelle. Erst mit erneuerbarem Strom spart ein Elektroauto CO2-Emissionen. Neben Gebäuden macht der Verkehr einen Löwenanteil an Klimagasen aus. Umso wichtiger ist es, nur noch Strom aus Erneuerbaren auf dem Markt zu haben.

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