Digitalisiert und höhere Stromnachfrage

Auch in diesem Jahr befragte der VSE seine Mitglieder zu ihrer Einschätzung der Energiezukunft. Dabei holte er aber nicht die Sichtweise der Unternehmen ein, sondern die persönliche Einschätzung von deren Mitarbeitenden. Diese sollten einschätzen, wie relevant die 15 Treiber, welche die Energiewelten ausmachen, im Jahr 2035 sein werden.
03.12.2020

Nadine Brauchli, Bereichsleiterin Energie, zu den Resultaten der VSE-Umfrage

In diesem Jahr haben 258 Personen aus den VSE-Mitgliedsunternehmen an der Umfrage teilgenommen. Damit lag die Anzahl der vollständig beantworteten Fragebögen sogar noch etwas höher als im vergangenen Jahr (214 Teilnehmer).

Wie beurteilt die Branche die vier Energiewelten?

Einen Überblick über die Einschätzung der Branche zur Energiezukunft geben die Erwartungen der Umfrageteilnehmer hinsichtlich der vier Energiewelten. Diese werden verglichen mit den Erwartungen, die sich aus aktuellen regulatorischen, politischen und energiewirtschaftlichen Entwicklungen ergeben («Trend update 2020»). Das Viereck veranschaulicht diese Einschätzungen; es stellt den Durchschnitt der Erwartungen der Umfrageteilnehmer 2020 sowie die VSE-Trendupdates aus den Jahren 2019 und 2020 zur Energiezukunft 2035 dar.

Dabei zeigt sich, dass die Branche nicht zu einer einzelnen der vier Energiewelten des VSE tendiert, vielmehr hält sie Aspekte aus drei der vier Welten für wahrscheinlich: Trust, Local und Smart World. Als am unwahrscheinlichsten beurteilt sie die Trade World – im Vergleich zur Umfrage 2019 wird die Trade World sogar als noch etwas unrealistischer eingeschätzt.

Aus diesem Ergebnis lässt sich ableiten, dass alle der vom VSE erarbeiteten Energiewelten – obwohl jede für sich genommen tendenziell eher ein Extrembeispiel darstellt – einzelne Elemente enthalten, die auch die Branche für die Zukunft als realistisch erachtet. Der Vergleich von Vierecken verschiedener Jahre zeigt denn auch, dass es von den jeweils neuen politischen und sonstigen Rahmenbedingungen abhängt, welche der Energiewelten für wie wahrscheinlich eingestuft wird.

Wie sieht die Energiewelt 2035 aus?

Wie die Schweizer Energiebranche sich die künftige Energiewelt vorstellt, lässt sich aus der Analyse der Antworten der Befragten in Bezug auf die 15 Treiber, die die künftige Energiewelt wesentlich ausmachen, ableiten.

Ein klares Bild hat die Branche von der zukünftigen Stromnachfrage: Diese wird für das Jahr 2035 als sehr hoch eingestuft. Ein wesentlicher Faktor dafür sind sicherlich die politischen Dekarbonisierungsziele: Wenn immer mehr Anwendungen und Sektoren CO2-frei betrieben werden sollen, liegt es auf der Hand, dass die Nachfrage nach Strom steigen dürfte.

Im Gegensatz zur Stromnachfrage stuft die Branche die künftige Nachfrage nach Gas (synthetisch und biologisch) und Wärme als deutlich weniger hoch ein. Jedoch dürften bei einer vermehrten Sektorkopplung auch erneuerbare Wärme und synthetische Gase vermehrt nachgefragt werden.

Neben der Nachfrage nach Strom schätzt die Branche insbesondere die Digitalisierung als relevant für die Energiezukunft ein. Gründe für diese Einschätzung dürften einerseits in der in den letzten Jahren bereits stark gestiegenen Bedeutung der Digitalisierung in der Energiewirtschaft liegen. Anderseits wird die Digitalisierung derzeit medial und politisch als ein entscheidendes Zukunftsthema propagiert, was diesen Eindruck auch bei den Umfrageteilnehmern im Zusammenhang mit der künftigen Energiewelt verstärkt haben dürfte.

Weiter gehen die Befragten von einer eher hohen Regulierungsintensität im Jahr 2035 aus. Auffällig dabei ist, dass die Regulierung von CO2-Preisen im Gegensatz zu den anderen Bereichen von den meisten Befragten klar als sehr hoch beziehungsweise hoch eingestuft wird. Weiterhin werden die Regulierung des Ausbaus erneuerbarer Energien und der Energieeffizienz als eher hoch eingestuft. Dies könnte unter anderem dadurch bedingt sein, dass die Befragten im Hinblick auf die Umsetzung der Energiestrategie 2050 und die Sicherstellung der Versorgungssicherheit in der Schweiz weiter den ambitionierten Zubau der Erneuerbaren als wichtig erachten und von einer seitens der Branche geforderten Weiterführung der Fördermassnahmen ausgehen. Bei der Energieeffizienz scheint die Auffassung zu sein, dass Massnahmen vor allem dann umgesetzt werden, wenn es entsprechende regulatorische Vorgaben gibt.

Die künftig als hoch eingeschätzte Bedeutung der Einbindung der Schweiz in die EU-Strommärkte zeigt, dass die Branche eine technisch und kommerziell möglichst uneingeschränkte Einbettung in das europäische Umfeld als wichtig erachtet, um den systemrelevanten Austausch mit den Nachbarländern aufrecht zu erhalten. Auch eine weiter voranschreitende Dezentralisierung der Stromversorgung erscheint aus Branchensicht wahrscheinlich. Diese Einschätzung dürfte insbesondere auf der grossen Rolle, die Photovoltaik im künftigen Schweizer Strommix spielen soll, und dem damit verbundenen Eigenverbrauch, basieren.

Winterversorgung: Die Meinungen gehen auseinander

Der Aspekt der Umfrage, bei dem die Meinungen der Befragten am meisten auseinander gehen, ist die zukünftige Verfügbarkeit von Strom- und Gasimporten im Winter. Manche Befragten schätzen diese Verfügbarkeit als hoch bis sehr hoch ein, andere als gering. Tendenziell dürfte sich die Importsituation im Winter zumindest im Strombereich verschlechtern: einerseits aufgrund abnehmender Kraftwerkskapazitäten im Ausland (Kern- und Kohleausstieg in Europa), anderseits aufgrund des bisher fehlenden Stromabkommens mit der EU und dem daraus folgenden zunehmenden Ausschluss der Schweiz aus dem EU-Binnenmarkt.

Insgesamt weichen die Einschätzungen der Branche aus der Umfrage 2020 kaum von den Einschätzungen der vorangegangenen Umfrage aus dem Jahr 2019 ab. Somit hat sich das Bild, das die Branche von der Energiewelt 2035 zeichnet, im letzten Jahr praktisch nicht verändert.

Der Ausblick aus dem Jahr 2020 auf 2035

Die Branchenumfrage 2020 hat einige interessante Aspekte, wie sich Akteure der Schweizer Strombranche die Energiewelt im Jahr 2035 vorstellen, zutage gefördert: Erstens sind die Befragten von einer hohen künftigen Stromnachfrage überzeugt. Zweitens messen sie der Digitalisierung eine grosse Bedeutung bei und gehen von einer hohen Regulierungsintensität aus. Drittens stufen sie die Bedeutung des Energieträgers Gas in Form von synthetischem und Biogas als eher gering ein. Und schliesslich sind sie sich über die Verfügbarkeit von Strom- und Gasimporten im Winter relativ uneinig, wobei sie die Einbindung in die EU-Strom- und Gasmärkte generell als sehr relevant beurteilen.