Das Netz, die vergessene Lebensader

Eine Meinung zur Bedeutung des Stromnetzes
28.04.2020

Wie wird die Energiestrategie oft beschrieben? Wer die Medienberichte zum Thema liest, dürfte am häufigsten auf die folgenden Schlagworte stossen: Elektromobilität, Dekarbonisierung, erneuerbare Energien, Batteriespeicher. Sie lassen sich auch einfach verbinden. Der Verkehr, als Hauptverursacher der CO2-Emissionen, muss dekarbonisiert werden. Das lässt sich über Elektrifizierung des Antriebsstrangs erreichen. Sofern alle Fahrzeuge dann auch wirklich mit Strom aus erneuerbaren Energien betankt werden, könnten sie idealerweise auch noch gleich als Batteriespeicher dienen. Überschuss-Strom, etwa aus einer PV-Anlage, nimmt dieser auf – und gibt ihn bei Bedarf wieder ab. Und zwar an das Netz. Jetzt, als neunzigstes Wort im Text, wird das Netz erwähnt. Auch medial muss es stets um Aufmerksamkeit buhlen, wenn nicht gerade berichtet wird, dass wieder ein Netzausbauprojekt blockiert wird – oder dass ungeplante Lastflüsse, sogenannte Loop Flows, es an seine Kapazitätsgrenzen bringen.

Fakt ist: Das Netz ist die Lebensader der Versorgungssicherheit. Ohne das Netz, und eine konstante Frequenz von 50 Hz, kommt der Strom nicht dorthin, wo er gebraucht wird. Einfach sieht es in dieser Hinsicht ja längst nicht mehr aus. Vom Kraftwerk zur Kunden-Steckdose, das war einmal. Der Strom aus erneuerbaren Energien wird zunehmend dezentral erzeugt werden. Und die weit verzweigten Erzeugungsanlagen – vom Wasserkraftwerk in den Alpen zum Offshore-Windpark in der Nord- und Ostsee und der PV-Anlage auf dem Dach – wollen intelligent miteinander vernetzt sein. Batteriespeicher, Power-to-Gas-, Wärmekraftkopplungs-Anlagen: Wir alle werden Teile eines neuen, eines konvergenten Netzes. Und um diese Komplexität zu managen, braucht es smarte Technologien. Deshalb muss der Ausbau der Netze Hand in Hand mit dem Ausbau der erneuerbaren Energien gehen – für ein stabiles und dennoch dynamisches Gesamtsystem. Und für eine gelingende Energiestrategie. Der Ausbau von Erneuerbaren und des Netzes verursacht zudem Kosten, die wir fair regeln und verteilen müssen. Die Energiewende lässt sich mit vielen Schlagworten verkaufen. Bewerkstelligen lässt sie sich nur mit einem starken Netz.

Michael Frank, Direktor VSE