Wie eine Flutwelle rollen die Herausforderungen auf die Energiebranche zu: von der zunehmenden Anzahl Regulierungen, die alle am besten schon heute umgesetzt sein sollten, über den unausweichlichen Um- und Ausbaubedarf der Netze als Folge der Dezentralisierung und Elektrifizierung bis hin zum Umgang mit neuen Risiken in einer zunehmend digitalisierten Welt. Welche Anpassungen sind nötig und wie sind diese zeitlich zu priorisieren, um diesen Herausforderungen gerecht zu werden? Wie können die notwendigen Investitionen in Produktion und Netze gesichert werden, damit die Energiewende nicht ins Stocken gerät? Und welche Kompetenzen und Fähigkeiten sind zur Erfüllung der neuen Aufgaben erforderlich?
Mit diesen Fragen befassten sich die Führungskräfte der Schweizer Energiebranche am 5. und 6. September 2024 an der VSE Betriebsleitertagung im Seehotel Waldstätterhof in Brunnen. Man könnte nun annehmen, dass der Anlass im Licht dieser schwierigen Fragen und grossen Herausforderungen von einer negativen Grundstimmung geprägt gewesen sei. Blind, stumm, dumm und aggressiv – gemäss der Keynote von Dr. Annegret Hannawa sind dies die üblichen Reaktionen auf «Regel-Wahnsinn». Umso mehr freut es uns, dass diese Erwartungen nicht erfüllt wurden. Ganz im Gegenteil: sowohl die Referentinnen und Referenten als auch die Teilnehmenden haben gezeigt, dass sie bereit sind, Herausforderungen gemeinsam anzupacken, voneinander zu lernen und selbstbestimmt die Zukunft zu gestalten.
Emotionen und Innovationen
Nach einem Rundblick über die zentralen Themen, welche die Energiebranche aktuell beschäftigen – vorgestellt durch VSE Direktor Michael Frank und Dr. Mohamed Benahmed, Leiter Netz beim Bundesamt für Energie (BFE) – bot das Programm inspirierende Fallbeispiele und Raum für Dialog und Erfahrungsaustausch. Einen Höhepunkt bildete zweifellos die Vorstellung des Projekts SedrunSolar. Dieses Pionierprojekt wurde im Rahmen des Solarexpress gestartet und hat als erstes alle Hürden geschafft. Ciril und Claudio Deplazes, Geschäftsleiter und Verwaltungsratspräsident der energia alpina, berichteten stolz vom kürzlich erfolgten Spatenstich und gaben Einblick in die Erfolgsfaktoren ihres Projekts. In der Fragerunde stellten sie klar, dass eine fundierte Kenntnis der betroffenen Stakeholder das A und O einer erfolgreichen Projektplanung ist – und vermittelten nebenbei, dass auch eine gehörige Portion Pragmatismus und Selbstironie nicht schaden.
«Es ist am VSE, Wege in eine nachhaltige, sichere und bezahlbare Stromzukunft aufzuzeigen.»
Inspiration lieferten auch die Neuzugänge: Martin Schwab als neuer Präsident des VSE sowie die neuen VSE Mitglieder Hitachi Energy, Geo-Energie Suisse AG und die Rhätische Bahn RhB. Der VSE Präsident nutzte die Gelegenheit, seine Vision für die Branche und den Verband mit den Mitgliedern zu teilen und stellte seine Dialogbereitschaft in der anschliessenden Fragerunde direkt unter Beweis. Für ihn ist klar, dass die Branche Lösungen aufzeigen und Projekte vorantreiben muss, um als starke Stimme auch in der Politik Gehör zu finden. Dass man die Menschen am besten mit emotionalen Botschaften erreicht, ist bekannt – und erwies sich auch in der Vorstellung der RhB. Mit ihren ikonischen roten Zügen in atemberaubenden Berglandschaften haben sie gegenüber den meisten VSE Mitgliedern den Vorteil eines emotional aufgeladenen Produkts. Dennoch ist sich Dr. Mario Cavigelli, Verwaltungsratspräsident der RhB, sicher: «Es gibt [auch für die Energiebranche] Möglichkeiten, zu begeistern.»