Bewilligungsverfahren: Raus aus dem Labyrinth!

01.11.2023
Eigentlich hatten es die Götter gut mit der Schweiz gemeint. Reichlich ausgestattet mit Wasser, Sonne, Wind, Biomasse und Erdwärme sollte sich unser Land zu einem guten Teil aus erneuerbaren Energien versorgen können. Doch statt einem Heldenepos gleicht der Ausbau der erneuerbaren Energien in der Schweiz einer griechischen Tragödie.

Wie Sisyphus sind die Projekte oft in fast endlosen Schlaufen zwischen Gutachten, Behörden und Gerichten gefangen. Gerade vor wenigen Tagen wurde im Waadtland der jüngste Windpark eingeweiht – nach einem sage und schreibe 25-jährigen Marathon. So kann es nicht weitergehen.

Zum Glück winken mit dem Mantelerlass erste Verbesserungen: er setzt höhere Leitplanken für die Güterabwägung durch Behörden und Gerichte und macht Projekte ausserhalb der Bauzone bewilligungsfähig. So wird immerhin sichergestellt, dass diese überhaupt über die Startline kommen und eine Chance haben, dereinst sogar die Ziellinie zu erreichen.

An den Irrungen und Wirrungen der Verfahren ändert sich dadurch aber nichts. Wollen wir ernsthaft unsere Energie- und Klimaziele erreichen, muss daher auf den Mantelerlass nahtlos der nächste Schritt folgen: eine Straffung der Verfahren. Der Bundesrat hat dazu einen guten Vorschlag unterbreitet. Nun ist das Parlament an der Reihe, den eingeschlagenen Weg in aller Konsequenz weiterzugehen.

Die Konzentration der Verfahren bei einer Behörde und die Kürzung des gerichtlichen Instanzenzugs werden die Lage für alle Parteien verbessern. Alle Fragen und Anliegen können in einem Aufwisch und in vernünftiger Frist geklärt werden. Ein Ansatz, der übrigens im Kanton Neuenburg bereits bestens funktioniert. Und zwar ohne dass die demokratischen Mitspracherechte auf Ebene der Gemeinden und der Betroffenen oder rechtsstaatliche Prinzipien ausgehebelt würden.

Was nützt eine Produktionsanlage, wenn es kein Netz gibt, um den Strom wegzutransportieren?

Einen riesigen Makel hat der Vorschlag des Bundesrates allerdings: Die Netze werden fast komplett ausgeblendet. Was aber nützt eine Produktionsanlage, wenn es kein Netz gibt, um den Strom wegzutransportieren? Die Beschleunigung macht nur Sinn, wenn für Netzanschlüsse und Leitungen die gleichen Massstäbe gelten wie für Produktionsanlagen. Denn auch bei den Netzen sind die Wege verschlungen, man denke nur an die 36 Jahre für die Höchstspannungsleitung Chamoson-Chippis. Auch auf den unteren Netzebenen braucht es Ausdauer und Nerven: Bei Projekten im Hochspannungsnetz (z.B. die Anschlüsse des Gros der Solarexpress-Projekte) sind 8 bis 12 Jahre zu veranschlagen, weiter unten auf Mittelspannung 3 bis 10 Jahre.

Ohne zeitgleiche Bewilligung der Netze bleiben die Energieziele Makulatur. Dies gilt übrigens auch für PV-Anlagen auf Dächern im Mittelland. Auch für diesen Strom müssen die Netze aufgerüstet werden.

Nach dem Mantelerlass muss es nahtlos weitergehen. Das unverzichtbare Gegenstück zu den Ausbauzielen ist die Straffung der Verfahren. Nicht nur die Produktion, sondern auch die Netze müssen aus dem Irrgarten befreit werden.

Bereichsleiter Public Affairs des VSE

Dominique Martin

Unter der Rubrik «Die politische Feder» veröffentlicht Dominique Martin regelmässig Kommentare und Einschätzungen zu energiepolitischen Themen. 

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