Pionierarbeit, auf die wir stolz sein werden

19.03.2024
Mit dem Solarexpress wurde Neuland betreten: An der VSE Fachtagung zur alpinen PV tauschten sich Projektverantwortliche und Behörden lebhaft über die vielfältigen Herausforderungen beim Ausbau der Alpen-PV aus.

«Produziert oder eingespart, jede Kilowattstunde zählt»: Dieser Spruch steht auf einem Roll-Up, das der VSE regelmässig an seinen Veranstaltungen und Kursen aufstellt. So stand dieses auch an seiner Fachtagung «Alpine PV: Wo steht der Solarexpress?» Mitte März im Zürcher Kongresshaus – und es hätte nicht treffender sein können. Denn beim Solarexpress zählt tatsächlich jede produzierte Kilowattstunde. Schliesslich müssen die Anlagen bis Ende 2025 in Betrieb genommen werden und mindestens 10% der erwarteten Jahresproduktion oder 10 Gigawattstunden ins Netz speisen, um von den Privilegien des Gesetzes profitieren zu können, wie der Vorrang gegenüber anderen Interessen und die Einmalvergütung von maximal 60% der anrechenbaren Investitionskosten.

Für die Projektanten ist es ein Wettlauf gegen die Zeit. Der Solarexpress stiess zwar viele Alpen-PV-Projekte an. Doch die Praxis hat bisher gezeigt, dass die Realisierung kein Selbstläufer ist. Sie gestaltet sich schwierig aufgrund des knappen Zeitrahmens und der mangelnden Erfahrung im Umgang mit der alpinen PV. «Sie alle leisten Pionierarbeit. Es liegt in der Natur der Sache, dass Unwegsamkeiten und Herausforderungen auftreten. Aber Sie können sie überwinden», begrüsste Michael Frank die rund 200 Teilnehmenden im Zürcher Kongresshaus. Die Bewilligung und Realisierung von Alpen-PV sei für alle Involvierten Neuland. Darum wollte der VSE mit seiner Fachtagung einen Erfahrungsaustausch ermöglichen, um in Zukunft die Bewilligungsfähigkeit und Akzeptanz von alpiner PV zu steigern.

Grosse Mengen günstiger Winterstrom

Warum braucht es diese Pionierarbeit? Die alpine PV wird als Lösung für die Winterstromlücke betrachtet. Ruedi Kriesi, Präsident von IG Solalpine, rechnete vor, dass sich die bis 2050 öffnende Winterstromlücke von bis zu 15 Terawattstunden (Annahme: 50 GWp Dach-PV) dank Alpen-PV-Anlagen mit 22 GWp zusammen mit 35 GWp-Dach-PV-Anlagen fast vollständig füllen liess. Der Winterstrom aus Alpen-PV sei günstiger im Vergleich, weil der Ertrag über das Jahr gesehen doppelt so hoch und im Winter sogar um den Faktor 3-4 höher ist wie bei einer PV-Anlage im Mittelland. Ausserdem haben alpine PV-Anlagen einen überschaubaren Flächenbedarf und weisen eine vergleichbare CO2-Bilanz wie eine PV-Dachanlage auf, so Ruedi Kriesi.

Spätestens seit der Energiekriese ist die Erkenntnis gewachsen, dass vor allem im Winter mehr Strom Not tut. Dies bewegte den Kanton Bern dazu, rasch nach Inkrafttreten des Solarexpresses das Potenzial von alpinen PV-Anlagen abzuklären und dabei Kriterien wie Erschliessung, Umweltverträglichkeit und Netzkapazitäten zu berücksichtigen, erklärte Ulrich Nyffenegger. Er steht dem kantonalen Amt für Umwelt und Energie vor. An runden Tischen mit Gemeinden, Eigentümern, Fachämtern, Umweltverbänden, Energieversorgern und Netzbetreibern habe man seither versucht, gemeinsam die «besten» Projekte ausfindig zu machen. Aus diesem Prozess laufen aktuell 12 Projekte. Bei 4 Projekten liege bereits eine Baueingabe vor, was Ulrich Nyffenegger zum Fazit brachte: Der Solarexpress in Bern rollt.

Läuft alles nach Plan, dürften der Baubeginn für SedrunSolar im Juni 2024 beginnen. (Quelle: energia alpina)

Vielfältige Herausforderungen in der Praxis

Drei Projekte, die intakte Chancen haben, bis Ende 2025 zumindest teilweise am Netz zu sein, sind die alpinen Solarprojekte SedrunSolar, Morgeten und Gondosolar. Bei den Projektverantwortlichen, die Einblicke in die vielfältigen Herausforderungen bei Planung, Bewilligung und Realisierung ihrer Anlagen gewährten, spürten die Fachtagungsteilnehmenden förmlich deren Pioniergeist. Sie sind getrieben vom Wunsch, einen Beitrag zur Dekarbonisierung und zur Versorgungssicherheit der Schweiz zu leisten. Aber eben, die Hürden in der Praxis, die die Pioniere der Alpen-PV überspringen müssen, um ans Ziel zu gelangen, sind hoch. Oft genannt sind zeitaufwändige Bewilligungsprozesse, finanzielle Unsicherheiten oder logistische Stolpersteine wie Lieferfristen von Solarpanelen und Transformatoren.

Ein weiterer zentraler Aspekt, den die Projektverantwortlichen betonten, war die Bedeutung eines effektiven Stakeholder-Managements und einer entsprechenden Kommunikationsstrategie, um die Akzeptanz und Unterstützung für die Projekte zu gewährleisten. Die Herausforderung bestehe darin, die vielfältigen und zuweilen weit auseinanderliegenden Interessen und Bedürfnisse von Grundeigentümern, Behörden, der ansässigen Bevölkerung und Umweltverbänden zu berücksichtigen und gleichzeitig bewilligungsfähige Lösungen zu finden.

Erfahrungen sammeln

Das Ziel des Solarexpresses, zügig 2 Terawattstunden (Winter-)Strom zuzubauen, dürfte in der gesetzten Frist nicht erreicht werden. An der Fachtagung zur Alpen-PV stimmte man dennoch überein, dass der Solarexpress ein Erfolg sei, weil er Erfahrungswerte mit der neuen Technologie bringe. Sobald einmal ein paar alpine Solaranlagen am Netz hängen, werde es einfacher sein, Grundeigentümer und weitere Stakeholder von der Technologie, deren Umweltverträglichkeit und Wirtschaftlichkeit zu überzeugen. Dies dank der Pionierarbeit, auf die wir in vielen Jahren stolz sein werden – wie damals bei der Wasserkraft, sagte Michael Frank.

Erneuerbare Energien
Das sind die Ausbauprojekte
Die Schweiz muss ihre Stromproduktion massiv ausbauen, wenn sie langfristig Klimaneutralität erreichen und Versorgungssicherheit gewährleisten will. Gemäss der Übersicht des VSE gibt es schweizweit 125 bekannte Ausbauprojekte (Stand: 22.02.2024). Aufsummiert würde bei Realisierung sämtlicher Grossprojekte eine Jahresproduktion von 4,6 Terawattstunden erreicht und mindestens 3,8 TWh zusätzlicher Winterstrom.