«Und plötzlich ist da ein gemeinsames Verständnis der Energiezukunft»

Wo steht die Schweizer Energiewirtschaft im Jahr 2035? Im Juli sucht der Energiewelten-Bericht des VSE eine Antwort darauf. Doch wie nützt das Projekt den Unternehmen, um sich auf die Zukunft vorzubereiten? Das Interview zum Thema mit Ivo Schillig, Direktor AlpEnForCe.

Ivo Schillig ist Direktor der Energieforschungsstiftung Alpines Energieforschungscenter (AlpEnForCe). Er setzt sich mit Strategieprozessen von Energieunternehmen auseinander  und verwendet dabei unterstützend die Energiewelten. 

Herr Schillig, wie kann der Energieweltenbericht ein Unternehmen in der Praxis unterstützen? 
Unser Hauptziel ist es, die Leute zum Denken zu bringen und für Zukunftstrends zu sensibilisieren. Aus den Energiewelten lassen sich Entscheidungen ableiten. Denn der VSE macht mit dem Trend 2035 eine klare Ansage, wie er die Zukunft sieht. 

Die Rede ist zwar von einem «breiten Entwicklungskorridor». Lassen sich daraus überhaupt klare Aussagen ableiten? 
Ja. Ein Unternehmen sieht schliesslich seine eigene Einschätzung der Energiezukunft, jene des Verbandes sowie die Einschätzung seiner Mitstreiter als Gesamtheit. Die Zeiten, wo man als EVU alle 10 Jahre eine Strategie machen konnte, sind vorbei – das sollte nun besser jährlich geschehen. Erfasste Trends lassen sich immer als Gefahren und Chancen sehen. Dazu gibt es passende Technologien...und schon rückt ein Businessplan in greifbare Nähe.

Die Zeiten, wo man als EVU alle 10 Jahre eine Strategie machen konnte, sind vorbei.

Hat der Verband das letzte Wort, was die Energiezukunft angeht? 
Der Trend 2035 ist sicher eine gewichtige Aussage. Bin ich Verwaltungsrat und die Geschäftsleitung sieht einen anderen Trend, verlange ich eine Begründung. Das gilt allgemein: Wenn die Ansichten insgesamt sehr unterschiedlich sind, muss das diskutiert werden. Und im Idealfall hat eine ganze Geschäftsleitung plötzlich ein gemeinsames Verständnis der Energiezukunft. Nur wo ein Konsens entsteht, kann auch eine Strategie entstehen. 

Und wie reagieren die Entscheidungsträger auf den Prozess, den die Energiewelten anregen? 
Ich meine positiv. Manchmal sehr erstaunt, dass die werten Kollegen es so anders sehen. Auch das ist eine wichtige Leistung des Projektes: Herrschende Differenzen sichtbar machen. 

Zurück zu den harten Fakten. Haben Sie auch schon Unternehmen in Schwierigkeiten erlebt, die von den Energiewelten konkret profitieren konnten?  
Ja, zum Beispiel haben wir ertragsmässig grosse Abhängigkeiten von einzelnen Geschäftsfeldern erkannt. Klumpenrisiken im Fachjargon. Wenn 80% meiner Erträge aus einem gefährdeten Business kommen, muss ich als Chef eines Unternehmens überlegen, wie ich das kompensieren kann. 

Wie lassen sich die Energiewelten in der Bildung nutzen? 
Wir haben sie konkret bei Studenten eingesetzt, die sich in Richtung Unternehmensführung ausbilden, auch bei angehenden Betriebsmanagern oder EVU-Managern. Die Denkprozesse hinter den Energiewelten können Leute befähigen, ihr Unternehmen strategisch sauber zu führen. 

Es braucht nun den nächsten Schritt vom Zukunftsbild zu den dazu passenden Technologien.

Wie können Branche und Forschung generell noch enger kooperieren? 
Wir können regelmässig den Kontakt suchen und uns mündlich austauschen. Die Energieforschungsgespräche in Disentis sind ein gutes Beispiel. Solche Events sorgen für einen viel einfacheren Zugang als blosser Informationskonsum, der eventuell an medialen Barrieren und Medienbrüchen scheitert. 

Energiewelten, das Tool gegen die Angst, als Energieversorger überflüssig zu werden? 
Manchmal herrschen irrationale Ängste vor – und eine saubere Auslegeordnung zeigt auf, dass der Einfluss gewisser, sehr gefürchteter Parameter nur marginal ist. So verhält es sich etwa bei der Marktöffnung und der Angst, grosse Umsatzverluste durch abspringende Kunden zu erleiden. Erstens zeigt die Erfahrung, dass nur wenige Kunden ihren Anbieter wechseln. Zweitens stammen heute grob gesagt 80% der Erträge aus dem Netz, nur 20% aus dem Stromverkauf. Derzeit sehen wir keine Indikatoren, dass sich das in den nächsten 5 Jahren gross ändert. 

Wie lassen sich die Energiewelten und das EVU-Tool weiter verbessern?   
Es braucht nun den nächsten Schritt vom Zukunftsbild zu den dazu passenden Technologien. Damit rücken wir näher zu den Zahlen unter dem Strich, also zur Erfolgsrechnung. In der alten Energiewelt kamen die Energieversorger bis zum Haus des Kunden. Technologien wie Photovoltaik, Batterien und Wärme-Kraft-Kopplungsanlagen (WKK) bringen die EVU ins Haus hinein. Auch Smart-Home-Applikationen, also vernetzte und kommunizierenden Geräte, gehören in diese neue Welt. Mit den Energiewelten können wir all diese Chancen strukturiert durchdenken und dann beherzt anpacken.

Link: Projekt Energiewelten