AKW Beznau jahrzehntelang ohne Erdbebenschutz

Letzte Woche hat das Eidgenössische Nuklearsicherheitsinspektorat (ENSI) seine Stellungnahmen zu einem ersten Teil der Erdbebensicherheitsnachweise der Schweizer AKW-Betreiber veröffentlicht. Die Nachweise wurden im Nachgang an die Katastrophe von Fukushima 2011 eingefordert. Das wiederkehrende Urteil des ENSI lautet: Alles sicher, alles gut. Die Überprüfung der vollständigen Nachweise steht jedoch noch aus. Die SES kritisiert diese vorauseilende positive Beurteilung.
18.02.2021
Medienmitteilung Schweizerischen Energiestiftung SES

Stellen Sie sich vor, eine Lehrerin bescheinigt ihrem Schüler eine Prüfung bestanden zu haben, noch bevor sie diese überhaupt korrigiert hat. Etwa so verhält es sich mit den Erdbebensicherheitsnachweisen der Schweizer AKW und dem ENSI. Die Atomaufsicht gab jüngst in einer Mitteilung bekannt, dass «alle Schweizer AKW die aktualisierten Erdbebensicherheit-Standards» erfüllen würden. Die neuen Standards hat die Atomaufsichtsbehörde nach der Fukushima-Katastrophe erarbeitet. Die nun vom ENSI publizierte Beurteilung basiert jedoch bloss auf einem ersten Teil der dreistufigen Nachweispflicht. Das – vorsichtig ausgedrückt – optimistische Urteil scheint vorschnell, doch reiht es sich harmonisch in die ENSI-Kommunikation der letzten Jahre ein. Denn Probleme gibt es durchaus.

AKW Beznau bis 2017 nicht erdbebensicher

Veranschaulicht am Fall Beznau: 2017 erkannte die Axpo, dass beim AKW Beznau vier von sechs erdbebensicheren Notstromdiesel nicht einsatzbereit waren. Dies obwohl 2015 vier neue autarke Notstromaggregate (Autanove) aufgestellt worden waren. Die Betreiberin Axpo beteuerte – und das ENSI segnete ab –, die Erdbebensicherheit sei jederzeit gewahrt gewesen und verwies auf die zwei zusätzlichen NANO-Diesel aus den 90er-Jahren. Bloss wären diese gar nicht einsatzbereit gewesen, wie sich nun herausstellt: Im Dezember 2020 machte das AKW Beznau wieder mit Notstromproblemen Schlagzeilen, «Montagefehler an zwei Notstromdieseln». Im Rahmen der Erbringung der Erdbebensicherheitsnachweise wurde klar, dass die zwei hochgelobten NANO-Diesel nicht wie dokumentiert montiert worden sind. Die benötigten Schockabsorber fehlten, der Dieseleinsatz hätte bei einem tatsächlich Erdbebenfall versagt. Gemäss Axpo wurden die Absorber zuletzt 2009/2010 ersetzt.

Erdbebensicherheit ein Zufallsprodukt?

Mindestens zwischen 2009 und 2017 wären im Falle eines starken Erdbebens möglicherweise sämtliche sechs Notstromdiesel ausgefallen – trotz Redundanz und Diversität. Das heisst: Null Erdbebensicherheit für Beznau während fast einem Jahrzehnt! Beide Fehler wurden per Zufall entdeckt, obwohl das ENSI 2012 den Nachweis der Erdbebensicherheit im Nachgang des Fukushima-Unglück eingefordert, als bestanden beurteilt sowie 2015 Autanove freigegeben hat. Der Fall wird noch brisanter, sollte sich herausstellen, dass die Absorber schon immer gefehlt haben: 48 Jahre ohne erdbebensichere Notstandsgeneratoren! Man erinnere sich: Erdbeben gehören in der Schweiz zu den Naturereignissen, die massgeblich zum Gesamtrisiko der AKW beitragen, schreibt das ENSI.

Lückenlose Aufklärung gefordert

Nach diesen Ereignissen stellt Simon Banholzer, Leiter Fachbereich Atomenergie bei der SES fest: «Egal wie teure und umfassende Nachrüstungen getätigt werden: der Mensch ist im Spiel und er macht gefährliche Fehler. Ein solches Versagen darf nicht ohne Konsequenzen bleiben.» Das ENSI erwähnt in der Stellungnahme zum Erdbebensicherheitsnachweis vom 5. Februar 2021 noch nicht einmal den Ausfall der Notstromaggregate zwischen 2009 und 2017. Trotzdem heisst es in der Schlussfolgerung des ENSI: «Die Kernkühlung und die Kühlung der Brennelementlagerbecken sind unter Einwirkung eines 10’000-jährlichen Erdbebens gewährleistet.» Die SES fordert vom ENSI eine lückenlose Aufklärung des Falls und Massnahmen gegen solch gravierende Missstände. Die SES behält sich weitere Schritte vor. (energiestiftung)