«Wir müssen jetzt handeln»

Der Ausbau der Elektromobilität stellt das Stromnetz vor neue Herausforderungen. Beispielsweise müssen immer mehr Steckerfahrzeuge geladen werden. Geschehen diese Ladevorgänge innerhalb eines Netzes alle zum gleichen Zeitpunkt, drohen Lastspitzen. Aber auch die Frage nach bidirektionalem Laden stellt sich in zunehmendem Masse. Diese und andere Fragen haben wir Michael Auer, Leiter New Grid Solutions bei ewz, gestellt.
13.06.2023

Michael Auer, die Elektromobilität ist in unserer Gesellschaft angekommen. Die Immatrikulationszahlen von batterieelektrisch betriebenen Fahrzeugen erreichen Jahr für Jahr neue Höchstwerte, und auch die Ladeinfrastruktur wächst stetig. Wie sehr beanspruchen die wachsende Elektromobilität und die damit einhergehenden Lastflüsse unser Netz?

Das Netz von ewz wird lastgetrieben ausgebaut. Das heisst, dass insbesondere neue Verbraucherarten wie die Elektromobilität oder auch Wärmepumpen einen grossen Einfluss auf die Netzplanung haben. Durch diese Anlagen werden die Gleichzeitigkeitsfaktoren im Netz erhöht und es können Lastspitzen entstehen, auf welche das Netz ausgelegt werden muss. Insbesondere in der Netzebene 7, also bei den Leitungen, welche die meisten unserer Kunden versorgen, können bei einer Häufung von Ladestationen in einem Quartier Überlastungen auftreten. Wie gross der Einfluss der Elektromobilität ist, hängt grundsätzlich davon ab, wo in unserem Netzgebiet geladen wird. Selbst wenn wir die Planungsgrundsätze regelmässig anpassen, dauert es, bis die Infrastruktur in sämtlichen Gebieten umgebaut ist. Das hängt auch damit zusammen, dass unsere Anlagen langfristig – auf vierzig Jahre – verbaut werden.

Gerät das Netz nächstens an seine Grenzen, oder reicht seine Kapazität vorderhand noch aus?

Die Situation ist Stand heute nicht dramatisch. Das Thema Elektromobilität ist jedoch ein wichtiges Thema für uns, auf das wir uns aktiv vorbereiten. Um neue Rahmenbedingungen wie beispielsweise die «Energieperspektiven 2050+» zu berücksichtigen, erstellen wir Szenarien, welche wir laufend überprüfen und aktualisieren. Diese Szenarien sind wichtig, da unsere Anlagen langfristig am Netz bleiben werden und wir dank ihnen mit Unsicherheiten umgehen können. Sie fliessen ausserdem in unsere Planungsgrundsätze ein, welche wir laufend aktualisieren. In diesen berücksichtigen wir seit Längerem auch die Elektromobilität. Wir haben ein langfristiges Monitoring eingerichtet, um zu verfolgen, wie sich die Anzahl Ladestationen in der Stadt Zürich entwickelt und wo Ladestationen installiert werden. Dadurch gewinnen wir einerseits neue Erkenntnisse und können bei Bedarf reagieren. Hauptsächlich verlassen wir uns dabei auf die Informationen der Elektroinstallateure und Elektroplaner, welche die Ladestationen via technischem Anschlussgesuch bei uns melden müssen. So wissen wir als Netzbetreiber genau, wo wie viele Ladestationen verbaut sind und wie die aktuelle Auslastung des Netzes in diesen Gebieten ist.

Man liest immer wieder, dass das Stromnetz modernisiert werden müsse. Was bedeutet das genau, und können Sie das an einem Beispiel aufzeigen?

Wir arbeiten intensiv am Smart Grid, dem intelligenten Stromnetz, mit dem Ziel, jederzeit ein effizientes und sicheres Stromnetz zur Verfügung zu stellen. Dabei folgen wir einem Vierstufenplan: Zuerst sensibilisieren wir die Bevölkerung mit entsprechenden Publikationen sowie Empfehlungen und Fachvorträgen für die potenzielle Problematik und für die Wichtigkeit, warum uns neue Ladestationen gemeldet werden müssen. Als zweite Stufe bauen wir eine Monitoring-Plattform, rollen zusätzliche Messgeräte im Netz aus und erstellen automatisiert einen digitalen Zwilling der Netzebene 7. Damit erhalten wir ein Echtzeit-Monitoring der Niederspannung, und wir können Engpässe im Netz erkennen. Drittens werden Tarifanreize eine Rolle spielen. Diese helfen, die Lade-Peaks auf Zeiten zu verschieben, zu denen weniger Belastung im Netz besteht. Und schliesslich möchten wir auch Flexibilitäten im Netz steuern. Dazu wird eine Monitoring-Plattform zu einer Monitoring- und Steuerungsplattform für die Laststeuerung und zur Netzoptimierung erweitert werden. Damit wollen wir Lade-Peaks aktiv auf Zeiten, zu denen weniger Belastung im Netz besteht, verschieben. Ausserdem erlaubt eine solche Plattform auch eine Vergütung für Kunden. Für eine optimale Integration der Elektromobilität ins Netz sind technische Konzepte notwendig, welche erstellt, geprüft und in Planungsgrundsätze integriert werden müssen. Auch die regulatorischen Rahmenbedingungen sind wichtig, beispielsweise eine Opt-Out-Regelung bei der Flexibilitätsnutzung oder die Verwendung von Smart-Meter-Daten zur Netzplanung.

Wird unser Netz schnell genug den neuen Anforderungen genügen? Was ist dafür nötig?

Ich bin zuversichtlich, dass unser Netz rechtzeitig für diese Herausforderungen bereit sein wird. Eines muss jedoch klar sein: Wir müssen jetzt handeln. Eine optimale Integration der Elektromobilität funktioniert zudem nur im Zusammenspiel mit unseren Kunden. Sie sollen durch uns keine Einschränkungen in ihrem Alltag erfahren. Es ist jedoch wichtig, dass wir sie integrieren und sie verstehen, was es braucht, um angesichts der neuen Herausforderungen eine sichere Stromversorgung zu schaffen. Deshalb werden wir noch näher an unsere Kundschaft heranrücken, beispielsweise bei der Nutzung von Flexibilitäten.

Viele Experten denken schon weiter und sehen in bidirektionalen Anwendungen – wobei Strom aus der Autobatterie wieder ins Netz rückgespeist wird – grosses Potenzial. Ist das Netz für solche Vehicle-to-Grid-Anwendungen bereit?

In diesem Bereich gibt es einige spannende Pilotprojekte. Wir sind selbst an einem Projekt beteiligt, um diese Anwendungen kennenzulernen und den Nutzen für das Netz zu ermitteln. Lokal können V2G-Anwendungen für das Netz sinnvoll sein. Persönlich gehe ich davon aus, dass die Tendenz der Autobranche immer mehr in die Richtung V2G gehen wird. Zudem ist zu erwarten, dass das Bedürfnis der Kunden zunehmen wird, ihre Batterie für weitere Anwendungen zu nutzen. Wir als Netzbetreiber tun daher gut daran, die Entwicklungen aktiv zu verfolgen.

Wie kann das Netz dafür ausgerüstet werden?

Das Echtzeitmonitoring ist ein wichtiger Bestandteil für die Nutzung von Flexibilitäten für netzdienliche Zwecke, mit Steuerung der flexiblen Anlagen und Vergütung der Kunden. Die oben erwähnte Monitoring- und Steuerungsplattform zur Überwachung und zum Betrieb der Niederspannungsebene, welche wir einführen wollen, spielt dabei eine wichtige Rolle. Dank dieser Plattform sehen wir den aktuellen Netzzustand in der Niederspannungsebene, der uns als Grundlage für die netzdienliche Nutzung von Flexibilitäten dient – und künftig auch für V2G-Anwendungen dienen kann.