Wer A sagt...

In den kursierenden Ideen zur Dekarbonisierung spricht kaum jemand vom Stromnetz. Aber ohne Netz ist weder an eine Elektrifizierung noch an einen Ausbau der Erneuerbaren zu denken. Schlimmer noch, es drohen schon wieder neue Verfahrenshürden. Lesen Sie in unserer «politischen Feder», weshalb wer A sagt zur Energie- und Klimawende auch B sagen muss zu deren Umsetzung in allen Politikbereichen.
26.08.2019
U-Turn Schild

Es kursieren neue Ideen, wie die energie- und klimapolitische Wende mit einem massiven Ausbau der Photovoltaik und einer weitgehenden Elektrifizierung geschafft werden könnte. Im Raum steht gar die Forderung nach einem Klima-«Marshallplan».
 
Weitgehend unerwähnt blieb bei all den Ideen das Netz, und das, obwohl es ohne Netz keine Stromversorgung gibt. Wer sich heute zum Ausbau der erneuerbaren Energien, zur Dezentralisierung und zur Elektrifizierung bekennt, muss auch Hand bieten für ein zeitgemässes Netz. Dazu gehört insbesondere die Lockerung des Korsetts bei der Netztarifierung, um diese endlich ins 21.  Jahrhundert zu holen. Solange nämlich statt der benötigten Leistung vor allem die bezogenen Kilowattstunden zählen, kann das Netz die energie- und klimapolitischen Ansprüche nicht erfüllen. Mit dem Ausbau der Photovoltaik werden zudem die Einspeisespitzen massiv zunehmen. Um einen volkswirtschaftlich unverhältnismässigen Netzausbau zu vermeiden, muss ein Einspeisemanagement ermöglicht werden. Es ist daher zu begrüssen, dass in der Sommersession dazu eine in allen Parteien abgestützte Motion (19.3755) eingereicht wurde.
 

Ohne Netz keine Elektrifizierung – wer A sagt, muss auch B sagen. Schon nur im Interesse des Klimas.

Andererseits drohen dem Netz schon wieder neue Verfahrenshürden: Unter dem Deckmantel des Schutzes vor Kulturlandverlust hat der Nationalrat im Enteignungsgesetz überraschend eine Bestimmung aufgenommen, die eine höhere, willkürlich festgelegte Entschädigung bei Enteignung von Kulturland vorsieht. Unterschlagen wurde dabei, dass Infrastrukturen wie die Stromnetze nicht beliebig an einen anderen Standort verlegt werden können und ihr Bau ein öffentliches Interesse darstellt. Ein besserer Kulturlandschutz wird so kaum erreicht – hingegen eine stossende Ungleichbehandlung aller Eigentümer, deren Land keine entsprechende Wertsteigerung erfährt. Für die Stromnetze bedeutet die Regelung eine neuerliche Verfahrenskomplikation: Statt sich gütlich zu einigen, wird vermehrt das langwierige Enteignungsverfahren durchlaufen werden müssen. Dies widerspricht diametral der Notwendigkeit, die Netze zeitgerecht an die Energiewende anzupassen. Es ist nun am Ständerat, Gegensteuer zu geben.

Eine Energie- und Klimawende lässt sich nicht nur mit schönen Worten und hehren Plänen erreichen. Matchentscheidend ist eine konsequente Umsetzung, und zwar in allen Politikbereichen. Ohne Netz keine Elektrifizierung – wer A sagt, muss auch B sagen. Schon nur im Interesse des Klimas.

Siehe auch


Die politische Feder

Unter der Rubrik "Die politische Feder" veröffentlicht Dominique Martin, Bereichsleiter Public Affairs des VSE, regelmässig Kommentare und Einschätzungen zu energiepolitischen Themen.