Swissgrid-Netzforum: «Nur gemeinsam sind wir stark»

«Energiezukunft – gemeinsam in der Verantwortung» – unter diesem Titel fand am 21. Mai 2019 im Luzerner Verkehrshaus das Swissgrid-Netzforum statt. Der Grundtenor: Die Stromversorgung in einer dekarbonisierten und dezentralen Welt könne nur gemeinsam sichergestellt werden; also grenzüberschreitend, zwischen den Netzbetreibern und unter Einbezug der Konsumenten.
22.05.2019

Fast allgegenwärtig war in den Referaten und Diskussionen des Netzforums das Abseitsstehen der Schweiz bei der europäischen Marktkopplung. Eine Art Anomalie sei dies, wenn man bedenkt, dass die Schweiz mit ihren 41 Interkonnektoren nicht nur technisch stark eingebunden, sondern auch ein bedeutender Handelsplayer ist: Fast 50% des Schweizer Verbrauchsvolumens wird am Markt gehandelt.

Swissgrid-CEO Yves Zumwald unterstrich, sein Auftrag laute, unter allen Umständen die Netzstabilität sicherzustellen. Dies fällt allerdings zunehmend schwer, da die limitierenden Netzelemente der Schweiz in den europäischen Kapazitätsberechnungen nicht berücksichtigt werden. So kämpfte Swissgrid just am Vortag des Netzforums hart um die Netzstabilität, da die Schweiz von 4 Gigawatt ungeplanten Stromflüssen «überschwemmt» wurde, während die Kapazität am Norddach insgesamt 5 GW beträgt.

Das Fehlen eines Stromabkommens und die damit fehlende Einbindung der Schweiz bringt wesentliche Nachteile wirtschaftlicher Natur und Risiken für die Versorgungssicherheit. Auf technischer Ebene laufe die Suche nach Lösungen auf Hochtouren, wurde allenthalben versichert. Politische Lösungen brauchen derweil noch Zeit, betonte Staatssekretär Roberto Balzaretti und unterstrich, dass der bilaterale Weg für die Schweiz der einzige Weg in der Zusammenarbeit mit der Europäischen Union sei. Für Klaus-Dieter Borchardt, stellvertretender Direktor der Generaldirektion Energie der Europäischen Kommission, ist eine Schweiz ausserhalb des Systems nicht vorstellbar. Denn die Nachteile bei der täglichen Krisenbewältigung seien auf beiden Seiten spürbar.

BFE-Direktor Benoît Revaz formulierte treffend, dass man gemeinsam für netztechnische Fragen einstehen müsse, denn in diesen Belangen hänge man voneinander ab. Von verschiedenen Votanten (und nicht nur Schweizer Vertretern) wurde denn auch kritisiert, der Ausschluss der Schweiz aus dem Flowbased Market Coupling sei fahrlässig. Christian Winzer von der ZHAW stellte daraufhin die Frage in den Raum, ob die Schweiz gemäss europäischen Richtlinien nicht auch ohne Stromabkommen eingebunden werden müsste, wenn die Sicherheit gefährdet ist. Und er wies darauf hin, dass im heutigen System ein Preisschild für die Versorgungssicherheit fehlt.

Markt im Zentrum des Clean Energy Packages

Borchardt präsentierte auch die wesentlichen Stossrichtungen des Clean Energy Packages, welches gestaffelt zwischen 2018 und 2020 in Kraft tritt. Darin setzt die EU vor allem auf den Markt; staatliche Förderungen sollen bald der Vergangenheit angehören. Einspeisevergütungen wurden bereits abgelöst durch Ausschreibungen, in welchen die Höhe der Beihilfe über eine Marktabfrage definiert wird. Jüngst seien entsprechende Ausschreibungen für Offshore Wind gar für 0 Euro Förderung vergeben worden, berichtete er. Ergänzend können die Mitgliedstaaten technologieneutrale Kapazitätsmechanismen einführen, sofern die Marktmassnahmen nicht ausreichen, die Kapazitätslücke auch grenzüberschreitend nicht geschlossen werden kann und Anbieter aus anderen Mitgliedstaaten zugelassen sind.

Zur Stärkung des grenzüberschreitenden Handels müssen zudem künftig 70% der Grenzkapazitäten freigehalten werden. Ob und wie eine solche Vorgabe für die Schweiz gelten würde, ist noch offen. Benoît Revaz kündigte allerdings bereits an, dass eine solche Verpflichtung für die Schweiz problematisch wäre. Indes wird diese Reserve auch innerhalb der EU nicht so einfach umzusetzen sein. Die EU-Kommission analysiert derzeit die Auswirkungen auf die einzelnen Grenzkuppelstellen.

Königsweg: Flexibilität und Zusammenarbeit

Der weitere Ausbau der erneuerbaren Energien wird die bestehenden Schwierigkeiten der Netz- und Systemstabilität weiter verschärfen. Um dieser Herausforderung zu begegnen, werden Flexibilitäten in Zukunft das Schlüsselelement sein. Dies zeigt sich bereits heute im Trend zu immer kurzfristigeren Lieferungen. So wächst der Intraday-Markt jährlich um ca. 15%. Je mehr es Richtung Echtzeit geht, steigen auch die Gewinnmöglichkeiten. Die Schweiz hätte hier mit ihrer flexiblen Wasserkraft einen wertvollen Trumpf im Ärmel. Ohne Teilnahmemöglichkeit an den entsprechenden Märkten kann sie diesen jedoch nicht ausspielen. So ist beispielsweise der grenzüberschreitende Handel in der Schweiz mit der Lancierung der XBid-Plattform für Intraday-Geschäfte zum Stillstand gekommen, wie Epex-Spot-CEO Ralph Danielski berichtete.

Mit der Dezentralität und Komplexität der Stromversorgung steigt der Koordinationsbedarf im Netz dramatisch an, denn der Ausbau der erneuerbaren Energien findet im Verteilnetz statt. Auf Übertragungsnetzebene werde man dadurch zunehmend blind, was einen intensiven Austausch mit den Verteilnetzbetreibern unerlässlich mache, hob Gerhard Christiner vom österreichischen Übertragungsnetzbetreiber Austrian Power Grid hervor. Auch in der Schweiz schweisst die Dezentralität die Netzbetreiber zusammen. So identifiziert man bei Swissgrid Beobachtungsgebiete, in welchen eine gegenseitige Information mit den Verteilnetzbetreibern angestrebt wird. Ziel: Dort Massnahmen ergreifen, wo es für das System am meisten Sinn macht. Und der Wunsch: Auf Augenhöhe gemeinsam Verantwortung für das System übernehmen. Dabei muss zunehmend auch der Konsument mitspielen. Die Digitalisierung bietet hier Chancen und Möglichkeiten, die Flexibilität auf Kundenebene nutzbar zu machen, wie verschiedene präsentierte innovative Ansätze am Forum deutlich machten.