Perspektiven für Planung und Politik

Die Energieperspektiven 2050+ bilden den offiziellen Ausblick und die Planungsgrundlage für die Schweizer Energiepolitik. Der Verband Schweizerischer Elektrizitätsunternehmen (VSE) begrüsst diese Arbeit. Die Knackpunkte fürs Erreichen der Ziele werden das Schaffen geeigneter Rahmenbedingungen und die Akzeptanz in Gesellschaft und Politik sein.
11.12.2020

In seinen Energieperspektiven 2050+ zeichnet das Bundesamt für Energie aus einer Gesamtenergiebetrachtung und in hohem Detaillierungsgrad Szenarien, in denen bis 2050 das Ziel von Netto-Null Treibhausgas-Emissionen erreicht, die Energiestrategie 2050 umgesetzt und die Versorgungssicherheit grundsätzlich gewährleistet werden. Die Ziele können zwar mit bereits bekannten Technologien erreicht werden, diese müssen jedoch zum Teil noch deutlich an Effizienz zulegen. Es werden vier leicht unterschiedliche Wege zum Erreichen der Ziele aufgezeigt (ZERO Basis, A, B und C) und dem Szenario «weiter wie bisher» gegenübergestellt. Bis zum Vorliegen der ausführlichen Resultate lassen sich diese noch schlecht vergleichen.

Erwartungen der Schweizer Stromwirtschaft grösstenteils bestätigt

Die Energieperspektiven 2050+ bestätigen, was der VSE schon lange aufzeigt: Es braucht eine deutliche Anpassung der Rahmenbedingungen, um die Klima- und Energieziele zu erreichen. Denn mit dem Szenario «weiter wie bisher» werden die Ziele langfristig nur rund zur Hälfte erreicht.

Auch bekräftigen die Energieperspektiven 2050+, dass sich Strom als die Zukunft des Energiesektors erweist. Der Stromverbrauch soll gemäss den Energieperspektiven 2050+ auf 84 TWh brutto steigen (bei 76 TWh Landesverbrauch), insbesondere aufgrund der zunehmenden Elektrifizierung.

Der Bedarf an Strom wächst mit einem Faktor von 1,4 zwar deutlich – aber doch bescheiden im Vergleich mit Prognosen internationaler Studien, etwa von Eurelectric 2018, welche einen Anstieg um einen Faktor 2,1 für Europa bei einer 95%igen Reduktion der CO2-Emissionen voraussagt. Der moderate Anstieg erstaunt auch angesichts des unterlegten Wirtschafts- und Bevölkerungswachstums von +36 % und +18 % sowie der zusätzlichen Elektrifizierung (Wärmepumpen und Verkehr mit +19 TWh) und Energieumwandlung (inländische Produktion von Wasserstoff +2 TWh).

Der Grund für die unterschiedliche Einschätzung liegt in der Annahme von Effizienzverbesserungen. Fortschritt bei der Technik und umfassende Massnahmen bei der Energieeffizienz bilden in den Energieperspektiven 2050+ denn auch einen wesentlichen Baustein zum Erreichen der Ziele. Nur so ist eine vergleichsweise geringe Zunahme beim Strom- und Energieverbrauch möglich. Auch die Versorgung der Mobilität mit strombasierten Energieträgern, die grösstenteils importiert werden, dämpft gemäss den Energieperspektiven 2050+ die inländische Stromnachfrage.

Neben der Stromnachfrage werden auch Flexibilitäten in Zukunft noch wichtiger. Diese sollen gemäss den Energieperspektiven 2050+ vor allem Pumpspeicherkraftwerke, das Bewirtschaften der Batterien von Elektroautos und bei dezentralen PV-Anlagen sowie das zeitliche Verschieben der Stromnachfrage durch Wärmepumpen beisteuern. Zusätzliche Flexibilität bietet auch die Energieumwandlung (Sektorkopplung), beispielsweise via inländisch produziertem Wasserstoff.

Erhalt und Ausbau aller erneuerbaren Energien ist die Basis

Der Mehrbedarf an Strom setzt sowohl den Erhalt des Bestands der erneuerbaren Energien (hauptsächlich Wasserkraft) als auch deren massiven Ausbau voraus. Die Entwicklung von Wasserkraft (45 TWh brutto) und Photovoltaik (34 TWh brutto) in den Energieperspektiven 2050+ scheint ambitioniert, aber mit genügend politischem Willen, der benötigten Akzeptanz, geeigneten Rahmenbedingungen und einer angemessenen Interessensabwägung von Schutz und Nutzung realisierbar. Für den vorgesehenen Ausbau bei der Windenergie bräuchte es vor allem ein klares Umdenken in der Bevölkerung, während sich bei der Geothermie zur Stromproduktion noch grundsätzliche Fragen stellen.

Photovoltaik stemmt in den Energieperspektiven 2050+ den Löwenanteil des Ausbaus. Ein grosser Teil der 34 TWh wird voraussichtlich dezentral verbraucht. Derzeit fällt für diesen Verbrauch kein Netznutzungs-Entgelt und kein Netzzuschlag an, welche heute die Bereitstellung des Netzes und die Fördermassnahmen für die erneuerbaren Energien finanzieren. Dieser Fehlanreiz wie auch die zunehmende Elektrifizierung und Flexibilisierung von Lasten machen eine Reform der Netztarifierung dringend nötig.

Versorgungssicherheit bleibt kritisch

Die Sektorkopplung trägt gemäss Energieperspektiven 2050+ zur Versorgungssicherheit bei und bestätigt damit die Erwartungen des VSE. So hilft Fernwärme mit, den Stromanstieg im Wärmesektor einzudämmen, und Power-to-X bedient die Mobilität mit 16 TWh (davon 2 TWh inländisch produziert) jedes Jahr. Der Einsatz der Fernwärme bedingt deren Umrüsten auf CO2-Neutralität.

Die Energieperspektiven 2050+ messen Importen eine zumindest vorübergehend steigende Bedeutung für die Versorgung bei. Die Stromimporte steigen bis 2035 (bei 50 Jahren Laufzeit der Schweizer Kernkraftwerke) selbst im Szenario «ausgeglichene Jahresbilanz 2050» und sprengen die von der ElCom empfohlene Limite von 10 TWh im Winterhalbjahr. Im Jahr 2050 liegt der Anteil Importe im Winterhalbjahr bei den meisten Szenarien dann wieder bei 20 %, was die von der ElCom empfohlene Limite und den vom VSE empfohlenen Mindestwert der Eigenversorgung von etwa 80 % einhält. Aus Sicht des VSE braucht es zumindest für die kritischen Jahre um 2035 zusätzliche Lösungen zur Sicherstellung der Versorgungssicherheit.

Das Szenario ZERO Basis kommt gemäss Energieperspektiven 2050+ ohne Zubau von Back-up-Kraftwerken aus. Das mag unter optimalen Rahmenbedingungen funktionieren, bleibt aber riskant. Gaskraftwerke (mit synthetischem Gas oder in Kombination mit CO2-Senken betrieben) könnten für die punktuelle Überbrückung von Versorgungsengpässen einen Ausweg bieten, wie dies auch ZERO B aufzeigt.

In den Energieperspektiven 2050+ ist ein Stromabkommen oder ein vergleichbares Abkommen Voraussetzung fürs Erreichen der Ziele. Ohne ein solches Abkommen scheinen die angenommenen grossen Importmöglichkeiten und auch der notwenige Informationsaustausch für einen reibungslos funktionierenden Strommarkt mit den Nachbarländern fraglich. Der VSE bedauert daher, dass kein Szenario ohne Stromabkommen gerechnet wurde, wie dies auch von den Eidgenössischen Räten mit der Motion 19.3004 verlangt wird.

Umsetzung ist die grösste Herausforderung

Der VSE teilt die Einschätzung, dass Strom in Zukunft eine zentrale Rolle spielen wird. Die Strombranche ist bereit, ihren Beitrag zum Erreichen der Ziele zu leisten. Jedoch bereitet dem VSE die Umsetzung unter den aktuellen Vorzeichen Sorgen. Es braucht deutlich bessere Rahmenbedingungen bei den Bewilligungsverfahren, in den eidgenössischen und kantonalen Gesetzgebungen und bei den Investitionsanreizen sowie vor allem Akzeptanz zum Beschreiten der aufgezeigten Wege. Weiter wie bisher den notwendigen Ausbau verhindern verunmöglicht das Erreichen der Ziele und darf keine Option sein.

Im Fall von unerwartet geringem Fortschritt bei den Effizienzmassnahmen wächst der Stromverbrauch über die Szenario-Vorstellungen der Energieperspektiven 2050+ hinaus. Diese Möglichkeit würde die ohnehin bereits hohen Anforderungen an den Erhalt und Ausbau der erneuerbaren Energien noch weiter steigern beziehungsweise die mit höheren Stromimporten verbundenen Risiken für die Versorgung erhöhen. Auch das Fehlen eines Stromabkommens oder vergleichbaren Abkommens könnte das Erreichen der Ziele infrage stellen.

Die Energieperspektiven 2050+ zeigen nicht auf, mit welchen Massnahmen die Zielszenarien erreicht werden sollen. Diese Massnahmen und Instrumente müssen auf der politischen Bühne festgelegt und von der Gesellschaft mitgetragen werden. Somit erweist sich weniger die technische, sondern vor allem die politische und gesellschaftliche Umsetzbarkeit als entscheidend fürs Erreichen der Ziele.

Der VSE wird sich mit voller Kraft für die notwendigen Rahmenbedingungen einsetzen, damit die Ziele erreicht werden können.

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