EU-Energiepolitik – und was sie für die Schweiz bedeutet

Im Rahmen des European Green Deal treibt die EU im Energiebereich das Gesetzespaket «Fit for 55» voran. Am Treffen der VSE Vertreter in den Eurelectric Arbeitsgruppen wurde unter anderem diskutiert, wie «Fit for 55» für die Schweiz einzuschätzen ist.
28.10.2021

Am 25. Oktober trafen sich in Solothurn die Schweizer Vertreter der Eurelectric Arbeitsgruppen und Kommissionen zum alljährlichen Austausch. Im Zentrum stand das EU-Programm «Fit for 55», also jener Teil des European Green Deal, der die Energiebranche betrifft. Gilda Amorosi, Head of Energy Policy, Climate & Sustainability bei Eurelectric, gab einen Überblick aus Sicht des europäischen Dachverbands, während Eberhard Röhm-Malcotti, Head of EU Energy Policy bei Axpo, seine Einschätzung des «Fit for 55»-Pakets teilte. Fazit: Es wird für die EU sehr anspruchsvoll, die Ziele von «Fit for 55» zu erreichen, doch das Programm wird kurz- und mittelfristig ein sehr wichtiger Treiber sein. Aktuell dominieren in der EU allerdings die exponentiell gestiegenen Energiepreise die Diskussionen. Die grosse Bedeutung des Green Deal für die EU unterstrich auch Christian Bühlmann, Botschaftsrat Energie des EDA in Brüssel. Ausserdem hob er die wichtigsten Themen und Fragezeichen für die Schweiz als Drittstaat hervor. Wie es konkret bezüglich der Stromkooperation CH-EU weitergehen wird ohne Stromabkommen, dazu konnte, nicht überraschend, auch Christian Bühlmann nicht viel mehr als einen Blick in die Glaskugel werfen. Er betonte, dass die EU vermehrt die Macht des grössten Binnenmarkts der Welt nutze – und dass sie bei Drittstaaten ein äquivalentes Ambitionslevel bezüglich der Energie- und Klimaziele erwarte. Was gemäss heutiger VSE Einschätzung das Paket «Fit for 55» konkret für die Schweizer Energiebranche bedeuten wird, führte Kristin Brockhaus, Expertin Energiewirtschaft beim VSE, aus. Wir haben bei ihr nachgefragt.

Kristin Brockhaus, «Fit for 55» – good oder bad News für die Schweizer Energiebranche?

Kristin Brockhaus: Bisher ist das Paket stark im Sinne der Schweizer Energiebranche. Es verfolgt vor allem politische Ziele, und die Schweiz und die EU haben ähnliche Energie- und Klimaziele. Die meisten Regelungen setzen auf eine verstärkte Elektrifizierung und den Ausbau erneuerbarer Energien, was wir als Branche ja auch in der Schweiz vorantreiben. Die Marktthemen, welche das Clean Energy Paket vor allem bestimmten und die Schweiz ausschliessen, sind in den Hintergrund getreten.

Was sind aus Schweizer Sicht die wichtigsten Inhalte des Pakets «Fit for 55»?

Generell sind die angestrebte verstärkte Elektrifizierung, die weitere Verteuerung von CO2 und der forcierte Erneuerbaren-Ausbau wichtige positive Entwicklungen auch aus Schweizer Sicht.

Ganz direkt ist die Schweiz von der Einführung eines CO2-Grenzausgleichssystems (CBAM) betroffen, um sogenanntes Carbon Leakage zu verhindern. Demnach wird der CO2-Gehalt von Gütern beim Import in die EU bepreist. Schweizer Güter, inklusive Strom, sollen von dieser Regelung ausgenommen bleiben, da ja schon die beiden Emissionshandelssysteme (EHS) miteinander verknüpft sind, es hierzulande also eine äquivalente CO2-Bepreisung gibt. Wir sollten nun sicherstellen, dass diese Ausnahme so bestehen bleibt. Auch die Änderungen beim EU-EHS sind unmittelbar relevant für die Schweiz, da das Schweizer EHS mit dem europäischen verlinkt ist und daher beide äquivalent sein müssen. Das bedeutet, dass wir die stringenteren Benchmarks oder auch das schrittweise Auslaufen der Gratisallokation von Zertifikaten ins Schweizer EHS übernehmen müssen. Schliesslich sieht die revidierte Erneuerbaren-Richtlinie nochmals ambitioniertere Ziele für den Ausbau der erneuerbaren Energien bis 2030 vor. Für einen Abschluss eines Abkommens mit Marktzugang mit der EU müsste demnach auch die Schweiz kräftig zulegen beim künftigen Erneuerbaren-Ausbau.

Wird für die Schweiz grosser Handlungsbedarf entstehen?

Dringender Handlungsbedarf besteht nach wie vor bei der Zusammenarbeit Schweiz–EU. Es braucht eine tragfähige Vereinbarung mit der EU.

Hinsichtlich des Pakets «Fit for 55» ist der Handlungsbedarf voraussichtlich gering, da die Regelungen einerseits praktisch keine für die Schweizer Branche nachteiligen Klauseln enthalten und andererseits ja grundsätzlich vergleichbar sind mit unseren Energie- und Klimazielen. Daher ist es für die Schweizer Branche wichtig, dass im weiteren Gesetzgebungsprozess des «Fit for 55»-Pakets keine für uns nachteiligen Klauseln aufgenommen werden und keine Verwässerung der Ziele und Massnahmen stattfindet.

Als nicht zielführend erachten wir aktuell einzig das sogenannte Additionality-Prinzip, das synthetisch aus erneuerbarem Strom hergestellte Energieträger wie Wasserstoff nur dann als erneuerbar klassifiziert, wenn der dafür verwendete Strom aus zusätzlich gebauten Erneuerbaren-Anlagen stammt.

Wie kann sich die Schweiz in diesem Thema in der EU überhaupt noch einbringen – ohne Stromabkommen und mit abgekühlten Beziehungen zwischen der Schweiz und der EU?

Der VSE ist Mitglied des europäischen Branchendachverbands Eurelectric und wird seine Interessen zunächst über diesen Kanal einbringen. Und natürlich können wir auch weiterhin an öffentlichen Vernehmlassungen der EU teilnehmen – fraglich ist dabei nur, inwiefern unsere Anliegen und Forderungen im derzeitigen politischen Klima dort noch Gehör finden. Die Tatsache, dass die EU ihre Prioritäten neu stark auf die politischen Ziele legt und die Marktthemen in den Hintergrund geraten, lässt uns jedoch hoffen, dass sich die Schweiz und die EU aufgrund der gemeinsamen politischen Energie- und Klimaziele wieder annähern und diese künftig gemeinsam verfolgen.