Die Zukunft ist gestern und heute

OSTRAL engagiert sich seit 30 Jahren für die Stromversorgung im Krisenfall. Auch die Grossverbraucher sind nun aufgerufen, sich auf diesen durchaus möglichen Fall vorzubereiten. Die Zukunft wird nicht dem Zufall überlassen.
14.12.2021

«An einem kalten Winterabend beginnt das europäische Stromnetz zusammenzubrechen. Viele Länder versinken in Dunkelheit …» Dieses Katastrophenszenario eines totalen Stromausfalls thematisierte Marc Elsberg 2012 in seinem Thriller «Blackout». Die Schweiz hat noch nie ein solches Blackout erlebt und bleibt im Hinblick auf ein technisches Problem mit einer derartigen Tragweite gelassen. Aber: Lokale Stromunterbrüche und regionale Stromausfälle haben eines gemeinsam – es handelt sich dabei nicht um ernste Strommangellagen. Wenn Unwetter Strommasten in den Alpen zerstören, wird ein lokales Elektrizitätsversorgungsunternehmen mit einer provisorischen Lösung Abhilfe schaffen. Wenn in Europa ein wichtiger Stromerzeuger keinen Strom mehr liefert, werden bestimmte Regionen automatisch vom Netz getrennt, um das Risiko eines totalen Stromausfalls (oder Blackouts) zu begrenzen. Und zwar auch unter der Annahme, dass die Versorgungsschwierigkeiten langfristig bewältigt werden müssten. Das Bundesamt für Energie geht in seiner Studie über die Zusammenarbeit der Schweiz und der EU im Worst-Case-Szenario davon aus, dass der Strombedarf während 47 Stunden nicht mehr gedeckt sein könnte.

In allen Situationen, die zu einem Netzausfall führen könnten, kann daher rasch und regional gehandelt werden. Bei einer Mangellage, die eine Organisation und Verfahren auf nationaler Ebene bedingt, liegt jedoch eine ganz andere Problematik vor. Da die elektrische Energie der Motor einer modernen Gesellschaft ist, bereitet sich die Schweiz seit Jahrzehnten auf eine solche langanhaltende Krise vor. Und diese stellt eine reale Gefahr dar. Es handelt sich laut der im Jahr 2020 veröffentlichten Nationalen Risikoanalyse von Katastrophen und Notlagen des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz im Übrigen um das grösste Risiko in der Schweiz. Eine Pandemie rangiert «nur» auf dem zweiten Platz. Das Schadenpotenzial für Wirtschaft und Gesellschaft ist hoch.

Viele mögliche Szenarien

Es gibt viele unterschiedliche Ursachen für eine solche Krise. Dabei unterscheidet sich jedes Szenario punkto Vorhersehbarkeit, Dauer, geografischer Ausdehnung oder Intensität. Ein Sturm könnte beispielsweise das Übertragungsnetz beschädigen. Die Reparaturarbeiten würden mehrere Wochen andauern und die Importkapazitäten einschränken. Grossangelegte Cyber-Angriffe auf kritische Infrastrukturen (Kraftwerke, Netze) könnten ihrerseits das Stromangebot reduzieren. Wenn mehrere Schweizer Kernkraftwerke einige Wochen vom Netz genommen werden müssten, würde die Abhängigkeit von Stromimporten steigen. Bei einem anderen Szenario würde die Ausserbetriebnahme eines Grossteils der französischen Kernkraftwerke infolge Sicherheitsrisiken die Strompreise in die Höhe treiben. Und wenn hohe Preise die Kraftwerksbetreiber dazu animierten, Strom zu verkaufen, könnte dies – wie eine langanhaltende Trockenheit – zu leeren Stauseen führen. Schliesslich könnte eine längere Kältewelle in Westeuropa einen stark zunehmenden Stromverbrauch verursachen. Die Produktionskapazitäten in Westeuropa reichten dann nicht aus, um den Bedarf zu decken.

Die Schweiz ist keine Strominsel, sondern mit ihren 41 Anschlusspunkten Bestandteil des europäischen Netzes. Das ermöglicht, besser mit allfälligen Ausfällen umzugehen. Die Kehrseite der Medaille ist, dass diese Situation die Schweiz auch von der Stabilität des übrigen Systems abhängig macht. Hinzu kommt die steigende Abhängigkeit von der Stromproduktion im Ausland, insbesondere im Winterhalbjahr. Den Energieperspektiven 2050+ des Bundes zufolge könnte der Importbedarf der Schweiz im Winter 2035 auf 40% der Nachfrage steigen. Das ist für die Versorgungssicherheit problematisch, vor allem wenn im Ausland nicht ausreichend Strom erzeugt werden kann (fehlende zugesicherte Kapazitäten, ungünstige Witterungsbedingungen, zunehmender Strombedarf), oder wenn die Importkapazität wegen eines fehlenden Stromabkommens beschränkt ist. Es ist daher unabdingbar, sich auf eine allfällige Knappheit einzustellen.

Die Branche hält sich bereit

Der Bundesrat hat den Verband Schweizerischer Elektrizitätsunternehmen (VSE) über die wirtschaftliche
Landesversorgung
 (WL) beauftragt, die notwendigen Vorbereitungsmassnahmen zur Bewältigung einer Strommangellage zu treffen. Der VSE hat vor 30 Jahren zu diesem Zweck OSTRAL ins Leben gerufen und weiterentwickelt. OSTRAL ist eine Krisenorganisation und sie ist einsatzbereit. Sie arbeitet seit Jahren mit sogenannten Bereitschaftsgraden. Wenn der Strommarkt funktioniert (es handelt sich dabei um den Bereitschaftsgrad 1), überwacht die WL die Versorgungslage, während OSTRAL die Prozesse optimiert und auf den neusten Stand bringt, die Verteilnetzbetreiber instruiert sowie die Grossverbraucher kontaktiert und sensibilisiert.

Sobald sich eine Krise abzeichnet, wird der Bereitschaftsgrad 2 aktiviert: Die WL alarmiert OSTRAL und ruft die Öffentlichkeit zu Sparmassnahmen auf freiwilliger Basis auf. Falls es die Situation erfordert, wird beim Bundesrat die Inkraftsetzung von Bewirtschaftungsverordnungen beantragt. Mit diesem Schritt wird der Bereitschaftsgrad 3 eingeleitet. Schliesslich setzt der Bundesrat im Bereitschaftsgrad 4 die besagten Verordnungen in Kraft.

Ab diesem Zeitpunkt setzt OSTRAL die vom Bundesrat erlassenen Massnahmen um und steuert Stromangebot und -nachfrage. Angebotsseitig wird die Stromproduktion zentral gesteuert und die in den Stauseen gespeicherten Wasserreserven werden zentral bewirtschaftet. Der Handel wird ausgesetzt und Exportbeschränkungen können in Kraft treten.

Einsparungen beim Verbrauch

Auf der Nachfrageseite werden erste Verbrauchsverbote und -beschränkungen für Wirtschaft und Bevölkerung eingeführt. Mit der Schliessung von Schwimmbädern und Saunen, der Einstellung des Betriebs von Rolltreppen, Aufzügen oder Leuchtreklamen oder gar mit der Aktivierung von Kontingentierungsmassnahmen für Grossverbraucher wird versucht, Netzabschaltungen zu vermeiden. Diese extreme Massnahme hat für Wirtschaft und Bevölkerung schwerwiegende Folgen.

In einer Mangellage müssen alle ihren Beitrag leisten und Verantwortung übernehmen. Es ist eine Frage des Vorausdenkens. Es lohnt sich für die Unternehmen – auch wenn die Herausforderungen unterschiedlich sein mögen  –, sich vorzubereiten, um die Schäden im Krisenfall zu minimieren. Dazu wurde im letzten Herbst bei den Vorbereitungsarbeiten von OSTRAL ein Meilenstein erreicht: eine Informationskampagne für die Grossverbraucher. Diese Verbrauchergruppe ist direkt von den Kontingentierungsmassnahmen betroffen und wird verpflichtet sein, bei einer Knappheit eine angeordnete Menge an Strom einzusparen. Es ist daher wichtig, dass sich Unternehmen mit einem Jahresverbrauch von über 100'000 kWh entsprechend vorbereiten. Rund 600 Verteilnetzbetreiber haben mehr als 30'000 Grossverbraucher über die Auswirkungen einer Strommangellage sowie über gegebenenfalls zu ergreifende Massnahmen informiert. Die wichtigsten Akteure werden aufgerufen, sich zu überlegen, wie sie mit einer Strommangellage umgehen, und Massnahmen zu erarbeiten, die präventiv ergriffen werden können, um den Stromverbrauch im Krisenfall zu senken. Gibt es Tätigkeiten, auf die allenfalls verzichtet werden könnte oder die vorübergehend zurückgefahren werden könnten? Wurden die zur Umsetzung dieser Optionen erforderlichen Vorbereitungen bereits lanciert? Wie sind die Zuständigkeiten im Unternehmen geregelt? All diese Fragen müssen diese Unternehmen nun beantworten. Denn Vorbereitungen und Entscheidungen für die Zukunft werden heute getroffen.

Die heutige OSTRAL , die aus der Notsituation des Zweiten Weltkriegs entstanden ist, bildet einen Schutzschirm für den Fall, dass eine langanhaltende Strommangellage eintreten sollte. Der Strom, der sowohl für die Bevölkerung als auch für die Wirtschaft von zentraler Bedeutung ist, zählt zu den Gütern des Grundbedarfs, die es prioritär zu schützen gilt.