Das neue, mit der Volksabstimmung vom 9. Juni 2024 genehmigte Bundesgesetz über eine sichere Stromversorgung mit erneuerbaren Energien (Mantelerlass) wird für die Energieversorgung in der Schweiz als komplexe Gesetzesnovelle eingestuft, da es Änderungen von gleich zwei bestehenden Gesetzen – nämlich dem Energiegesetz (EnG) und dem Stromversorgungsgesetz (StromVG) – umfasst. Für beide Ausgangsgesetze wurden auch Verordnungen verfasst: für das EnG die Energieverordnung (EnV) und für das StromVG die Stromversorgungsverordnung (StromVV). Mit dem Mantelerlass wurden die beiden Verordnungen ebenfalls angepasst. Um der Energieversorgungsbranche genügend Zeit für die Umsetzung der Massnahmen zu geben, hat der Bundesrat die Gesetzesänderungen und die Anpassung der Verordnungen gestaffelt in Kraft gesetzt. Das erste Paket trat per 1. Januar 2025 in Kraft, das zweite Paket wird per 1. Januar 2026 in Kraft gesetzt. Weitere Verordnungsanpassungen werden voraussichtlich in den darauffolgenden Jahren folgen.
Wir haben im ersten Halbjahr 2025 gemeinsam ein Themenpapier über die neuen Anforderungen des Mantelerlasses verfasst, das sich an die Führungsgremien der lokalen Verteilnetzbetreiber und Energie-Grundversorger mit Endkundengeschäft richtet. Anlass dazu gab uns der Umstand, dass der Gesetzgeber hoheitliche Aufgaben und die Hauptlast der Verantwortung für die nötigen Massnahmen zur Umsetzung der neuen Gesetze auf die unterste Stufe – d.h. auf die rund 600 lokalen und regionalen Verteilnetzbetreiber und Energie-Grundversorger mit Endkundengeschäft – übertragen hat. Im Sinne der grossen Transformation der Energieversorgung von einer Stromproduktion aus zentralen Grosskraftwerken und unidirektionaler Verteilung zu einer vermehrt dezentralen Stromproduktion mit erneuerbaren Energien auf der Verbraucherseite des Stromzählers und bidirektionaler Nutzung der Verteilnetze ist es konsequent, die Hauptverantwortung für die Umsetzung an die Kundenschnittstelle zu delegieren.
Allerdings stellt die Umsetzung des Mantelerlasses für viele Verteilnetzbetreiber und Grundversorger mit Endkundengeschäft eine grosse Herausforderung dar. Uns fehlte eine zusammenfassende, übersichtliche und einfach verständliche Darstellung aller Änderungen, welche für die Führungsgremien der Verteilnetzbetreiber und Grundversorger mit Endkundengeschäft relevant sind – trotz Publikation der neuen Gesetze und Verordnungen, der Medienmitteilungen der Bundeskanzlei zu den zwei Inkraftsetzungspaketen, der erörternden Berichte des Eidgenössischen Departements für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (UVEK), der neuen Weisungen der Eidgenössischen Elektrizitätskommission (ElCom), der revidierten Branchendokumente des Verbands Schweizerischer Elektrizitätsunternehmen (VSE) und der vom Bundesamt für Energie (BFE) und dem VSE organisierten Informationsveranstaltungen. Diesem Mangel begegnen wir mit einem Themenpapier für die Zielgruppe Verwaltungsräte, Betriebskommissionen und Geschäftsleitungen der Verteilnetzbetreiber und Grundversorger mit Endkundengeschäft.
Nachfolgend fassen wir die wichtigsten neuen Anforderungen des Mantelerlasses für lokale Verteilnetzbetreiber und Energie-Grundversorger mit Endkundengeschäft zusammen. Eine vollständige Übersicht findet sich im unten verlinkten Themenpapier (zum Download).
Mindestanteile von erneuerbaren Energien in der Grundversorgung
Die StromVV bringt Neuerungen bei der Grundversorgung. Dabei werden zwei Mindestanteile bezogen auf erneuerbare Energien aus Anlagen im Inland eingeführt. Einerseits müssen Energieversorger mit einer Eigenproduktion von erneuerbaren Energien mindestens 50 Prozent davon der Grundversorgung zuteilen. Andererseits müssen 20 Prozent der in der Grundversorgung abgesetzten Energie aus erneuerbaren Energien stammen. Die Versorgung der Endverbraucher mit inländischem erneuerbarem Strom wird damit gestärkt.
Standardstromprodukt
Verteilnetzbetreiber müssen ab dem Tarifjahr 2028 ihr Standardstromprodukt in der Grundversorgung so ausgestalten, dass in jedem Quartal ein inländischer «Grünstromanteil» von mindestens zwei Dritteln erreicht wird. Dafür müssen für mindestens zwei Drittel des in einem Quartal gelieferten Stroms Herkunftsnachweise mit inländischer und erneuerbarer Herkunft verwendet werden.
Einbindung von dezentralen Energieerzeugungsanlagen ins Verteilnetz
Das revidierte StromVG und die dazugehörige StromVV enthalten neue Bestimmungen zur Förderung dezentraler Photovoltaikanlagen und definieren die Rolle sowie die Verantwortlichkeiten der lokalen Verteilnetzbetreiber hinsichtlich des Netzanschlusses und der Integration dieser Anlagen ins Verteilnetz.
Solidarisierung der Kosten für die Verstärkung der Stromverteilnetze
Die StromVV regelt auch die Solidarisierung der Kosten für die Verstärkung der Stromverteilnetze. Die Kosten für erzeugungsbedingte Verstärkungen werden neu über das Übertragungsnetz solidarisch auf alle Netznutzerinnen und -nutzer in der Schweiz verteilt.
Zusammenschlüsse zum Eigenverbrauch (ZEV, vZEV)
Beim Zusammenschluss zum Eigenverbrauch (ZEV) ist nun auch ein «virtueller ZEV» möglich. Das heisst, dass die Anschlussleitungen und die lokale elektrische Infrastruktur beim Netzanschlusspunkt des Verteilnetzes auf der Niederspannungsebene genutzt werden dürfen. In diesem Zusammenhang werden Netzbetreiber verpflichtet, dass ihre intelligenten Messsysteme auch für die Abrechnung des Eigenverbrauchs im ZEV verwendet werden dürfen. Die Netzbetreiber können zur Installation intelligenter Messsysteme gezwungen werden.
Lokale Elektrizitätsgemeinschaften (LEG)
LEG ermöglichen die lokale Vermarktung des selbst erzeugten Stroms über das öffentliche Netz innerhalb eines Quartiers oder auch einer Gemeinde. Die StromVV definiert, in welchem Umfang Erzeugungskapazität in die Gemeinschaft eingebracht werden muss und auf welchen Netzebenen die Teilnehmenden angeschlossen sein dürfen. Der in einer LEG gehandelte Strom ist selbst erzeugt und profitiert von einem reduzierten Netznutzungstarif. Die StromVV legt dafür einen Abschlag von 40% (20% bei Nutzung mehrerer Netzebenen) fest.
Harmonisierung der Rückspeisevergütung
Verteilnetzbetreiber müssen den Strom, der von Stromproduktionsanlagen ins Netz eingespeist wird, abnehmen und angemessen vergüten. Falls sich Anlagen- und Netzbetreiber über die Höhe der Vergütung nicht einigen können, richtet sich die Vergütungshöhe neu nach dem «vierteljährlich gemittelten Marktpreis». Dadurch werden die Produzenten vor kurzfristigen Marktpreisschwankungen geschützt. Um die Produzenten zusätzlich vor sehr tiefen mittleren Marktpreisen zu schützen, gibt es neu Minimalvergütungen für Stromproduktionsanlagen.
Netznutzungstarifierung
Flexible Endverbraucher sollen Anreize erhalten, ihren Stromverbrauch an der Netzbelastung auszurichten und damit das Stromnetz zu entlasten (z.B. in Spitzenbelastungszeiten die Waschmaschine nicht laufen lassen oder das Elektrofahrzeug nicht laden). Das verstärkt die Verursachergerechtigkeit und kann mittel- bis langfristig auch den Netzausbaubedarf verringern. Neu werden deshalb dynamische – also zeitlich variable – oder auch örtlich differenzierte Netztarife ermöglicht. Sie signalisieren aktuelle Netzengpässe und die Verbraucher sowie Prosumer können so ihren Verbrauch oder ihre Produktion und Speicherung entsprechend anpassen.
Rückerstattung Netznutzungsentgelt
Drei Kategorien von Anlagen können die Rückerstattung des Netznutzungsentgelts verlangen: Speicher mit Endverbrauch (z.B. stationäre Batterie in einem Haus, bidirektionale Ladestationen oder Elektrofahrzeuge als mobile Speicher), Umwandlungsanlagen (zur Umwandlung von Strom in Wasserstoff oder synthetische Gase oder Brennstoffe), sowie Umwandlungsanlagen als Pilot- und Demonstrationsanlagen. Die StromVV enthält die Vorgaben zur Rückerstattung.
Rolle der Energie-Grundversorger bei der Umsetzung von Effizienzvorgaben
Auf alle Elektrizitätslieferanten – einschliesslich der Grundversorger – kommt gemäss revidiertem EnG ein neues Regelwerk mit Effizienzaufgaben zu. Elektrizitätslieferanten erhalten Zielvorgaben, die darauf abzielen, die Energieeffizienz bei bestehenden elektrischen Geräten, Anlagen und Fahrzeugen bei Endverbrauchern zu steigern.
Smart Metering sowie Digitalisierung von Netzbetrieb und Energieversorgung
Die Einführung von Smart Metern ist eine zentrale Voraussetzung, um Flexibilitäten messbar und steuerbar zu machen. Verteilnetzbetreiber und Energie-Grundversorger sind gesetzlich verpflichtet, bis 2027 mindestens 80% der herkömmlichen Stromzähler durch intelligente Messsysteme – sogenannte Smart Meter – zu ersetzen. Smart Meter ermöglichen es den Kundinnen und Kunden, ihren Energieverbrauch detailliert zu verfolgen und zu analysieren. Daten aus Smart Metern, deren Aufbereitung über das Energiedatenmanagement und deren Darstellung über das Kundenportal ermöglichen Massnahmen zum Flexibilitätsmanagement, d.h. Erzeugung und Verbrauch dynamisch zu optimieren.
Änderungen im Messwesen
Die Netzbetreiber bleiben in ihrem Netzgebiet weiterhin für das Messwesen zuständig. Neu müssen sie verursachergerechte Messtarife festlegen und diese veröffentlichen. Das Messentgelt ist den Kundinnen und Kunden in der Rechnung gesondert vom Netznutzungsentgelt auszuweisen. Zusätzlich müssen die Endverbraucher über die Entwicklung ihres Elektrizitätsverbrauchs im Vergleich zum Vorjahr, den Durchschnittsverbrauch und die Bandbreite des Verbrauchs anderer Endverbraucher in ihrer Kundengruppe informiert werden.
Änderungen in der Informationspflicht des Energieversorgers gegenüber den Endkundinnen und -kunden
Die StromVV legt neu fest, dass Tarifänderungen in der Grundversorgung den Endkundinnen und -kunden begründet werden müssen. Die Kommunikation betrifft sowohl die Änderungen in den zugrundeliegenden Kosten sowie in den Tarifkomponenten. Die Kommunikation hat in schriftlicher Form gleichzeitig mit der Tarifpublikation bis spätestens 31. August zu erfolgen. Weiter verlangt die StromVV, dass Verteilnetzbetreiber Endverbraucher in der Grundversorgung auf deren Rechnungen über die Entwicklung des individuellen Elektrizitätsverbrauchs im Vergleich zum Vorjahr, über die Möglichkeiten zur Identifikation von Einsparpotenzialen, um den Energieverbrauch zu reduzieren und über den durchschnittlichen Verbrauch sowie die Bandbreite des Verbrauchs innerhalb der jeweiligen Kundengruppe informieren. Diese Vorgaben zielen darauf ab, den Endverbrauchern ein besseres Verständnis ihres Energieverbrauchs zu vermitteln und sie zu energieeffizientem Verhalten zu motivieren.
Vorgaben, Anforderungen und Einführung eines Kundenportals
Um die weitreichenden neuen Anforderungen des Mantelerlasses an Verteilnetzbetreiber und Energie-Grundversorger mit Endkundengeschäft erfüllen zu können, ist die Einführung eines Kundenportals unabdingbar. Mit einem Kundenportal soll eine digitale Plattform für die Kundinnen und Kunden der Energieversorgung geschaffen werden. Obwohl das Gesetz selbst keine direkte Vorgabe für die Einführung eines Kundenportals macht, könnten die Entwicklungen im Bereich der nationalen Energiedateninfrastruktur dazu führen, dass Energieversorgungsunternehmen ihren Kundinnen und Kunden künftig erweiterte digitale Dienstleistungen anbieten. Mit einem Kundenportal wird der Zugang zu persönlichen Energiedaten erleichtert und die Transparenz bezüglich Energieverbrauch erhöht. Aus den Erkenntnissen der Optimierung des Energieverbrauchts werden auch gute Voraussetzungen für das Flexibilitätsmanagement geschaffen.
Einführung nationale Datenplattform für Austausch energiewirtschaftlicher Daten
Mit dem Mantelerlass wird eine nationale Datenplattform (Swiss Datahub) für den Austausch von energiewirtschaftlichen Daten eingeführt. Die StromVV regelt den Prozess zur Konstituierung und zum Aufbau der Datenplattform. Die Datenplattform soll auch den Datenzugang für Endverbraucher sowie für von ihnen berechtigte Dritte gewährleisten. Die Datenplattform soll die Stellung von Endverbrauchern im Prozess der digitalen Transformation des Stromsystems stärken. Nicht zuletzt sollen damit die digitale Innovation und der Energiedienstleistungsmarkt gestärkt werden, indem Dienstleister oder Dritte über die Plattform ebenfalls vereinfachten und standardisierten Zugang zu den Daten der Endverbraucher erhalten. Der Aufbau wird in Phasen gegliedert, mit eindeutigen Vorgaben zur Anbindung von Messpunkten an die nationale Datenplattform.
Vorgaben in der Cybersicherheit von Netzbetrieb und Energieversorgung
Im revidierten StromVG und in der StromVV wurden neue Bestimmungen zur Cybersicherheit eingeführt, die am 1. Juli 2024 in Kraft traten. Die Betreiber von Stromnetzen, Stromproduzenten und relevante Dienstleister sind verpflichtet, angemessene organisatorische und technische Massnahmen zu ergreifen, um die Informations- und Kommunikationstechnologie (IKT) ihrer Systeme gegen Cyberbedrohungen zu schützen. Die spezifischen Anforderungen richten sich nach dem vom Bundesamt für wirtschaftliche Landesversorgung (BWL) herausgegebenen IKT-Minimalstandard.
Einführung Sunshine-Regulierung
Die Vorlage führt neu eine gesetzliche Grundlage für die «Sunshine-Regulierung» ein. Dieses Transparenzinstrument soll bei den Netzbetreibern zu einer höheren Effizienz und qualitativ guten Dienstleistungen beitragen. Die von der ElCom erhobenen Daten ermöglichen den Vergleich zwischen den Netzbetreibern, beispielsweise zur Versorgungsqualität, Netznutzungs- und Elektrizitätstarifen, Qualität der Dienstleistungen oder Investitionen in intelligente Netze. Die Resultate müssen neu jährlich von der ElCom veröffentlicht werden.
Umsetzung Flexibilitätsmanagement
Das neue StromVG fördert die Digitalisierung, die weitere Marktöffnung sowie die bessere Integration erneuerbarer Energien und bietet Anreize für das Flexibilitätsmanagement bei den Verbrauchern sowie auch bei den Versorgern. Die Flexibilität beim Stromverbrauch oder bei der Einspeisung von selbst produziertem Strom ins Netz gehört dem Flexibilitätsinhaber – also den Endverbrauchern, den Erzeugern und den Speicherbetreibern. Sie können die Flexibilität vertraglich an andere Nutzer (z.B. Verteilnetzbetreiber oder Aggregatoren) verkaufen. Wenn der Verteilnetzbetreiber diese Flexibilität nutzen will, muss er sich diese vertraglich sichern und vergüten, beispielsweise durch reduzierte Netznutzungsentgelte.
Entwicklung und Einführung dynamischer Stromtarife
Das Bundesgesetz über eine sichere Stromversorgung mit erneuerbaren Energien (Mantelerlass) enthält spezifische Vorgaben zur Förderung dynamischer Stromtarife. Damit sollen Anreize für einen flexiblen Stromverbrauch geschaffen und somit die Integration erneuerbarer Energien sowie die Netzstabilität verbessert werden. Auch zielt der Mantelerlass mit dynamischen Stromtarifen darauf ab, die Energieeffizienz zu steigern und die Versorgungssicherheit besser zu gewährleisten. Das Hauptziel ist es, die Nachfrage flexibel zu gestalten, um die Integration erneuerbarer Energien zu fördern und um die Abhängigkeit von fossilen oder konventionellen Kraftwerken zu reduzieren sowie das Stromnetz zu entlasten.
Weiterführende Information
Das Themenpapier «Bundesgesetz über eine sichere Stromversorgung mit erneuerbaren Energien (Mantelerlass) – Anforderungen an die Umsetzung bei lokalen Verteilnetzbetreibern und Energie-Grundversorgern mit Endkundengeschäft» ist nachfolgend zum Download verfügbar.