Zusammenfassung
Eine sowohl im Jahr 2021 als auch 2024 durchgeführte Umfrage zur Digitalisierung verdeutlicht eine Beschleunigung der digitalen Entwicklung in der Strombranche. Mehr als 60% der befragten Unternehmen befinden sich mittlerweile im Smart-Meter-Rollout (2021: 35%), und die Mehrheit hat erkannt, dass digitale Kundenansprache für den Unternehmenserfolg immer wichtiger wird. Gleichzeitig belegt die Umfrage, dass immer noch knapp 50% der Branche ganz ohne Digitalisierungsstrategie agieren (2021: 35%), was ein ernstzunehmendes Risiko für eine konsistente Digitalisierung darstellt. Auch im Bereich des IKT-Minimalstandards zeigen sich grosse Lücken: Weniger als 30% der Unternehmen haben Teilbereiche implementiert, obwohl Cybersicherheit branchenweit als immer relevanter wahrgenommen wird. Im Jahr 2021 waren nur 13% der Energieversorger nach einer Cybersicherheitsnorm zertifiziert. Ein wesentlicher Engpass lässt sich zudem im digitalen Vertrieb ausmachen: Viele sehen sich selbst als unterlegen gegenüber der Konkurrenz und stellen den Ausbau dieses Bereichs ein. Zudem sehen viele Unternehmen noch Verbesserungspotenzial in der Prozesseffizienz. Dennoch bietet die Digitalisierung branchenweit grosse Chancen: Neue Geschäftsmodelle – etwa in den Bereichen E-Mobilität und Prosumer-Communities – nehmen bereits kräftig Fahrt auf.
Wie steht es um die Digitalisierung der Schweizer Strombranche? Dieser Frage ging eine Umfrage nach, die erstmals im Jahr 2021 von Carle Energy Consulting und nun erneut im 2024 von Carle Energy Consulting und Renold & Partner durchgeführt wurde.
Insgesamt wurden 2021 und 2024 dafür rund 450 Energieversorgungsunternehmen (EVU) aus der Deutschschweiz, der französischen und der italienischen Schweiz angeschrieben. Von den 450 Unternehmen haben 2024 rund 120 an der Umfrage teilgenommen (2021: 114 EVU), womit ein breites Bild resultierte.

Die Fragen im Jahr 2024 orientierten sich zwar am Fragengerüst von 2021, setzten jedoch zusätzliche Schwerpunkte bei der Implementierung des IKT-Minimalstandards sowie beim Einsatz von IT-Systemen und der Zufriedenheit damit. Dadurch wurden nicht nur Fortschritte, sondern auch neu aufkommende Herausforderungen identifiziert. Gegenüber 2021 ist zudem auffällig, dass sich die Teilnehmerstruktur verändert hat: Während sich im 2021 noch mehrheitlich mittelgrosse und grosse Unternehmen beteiligten, ist im 2024 ein deutlich höherer Anteil an kleineren Betrieben zu verzeichnen. Auch die Mitarbeitendenzahl der teilnehmenden Unternehmen hat sich damit verschoben: Der Anteil kleinerer Betriebe mit bis zu 50 Mitarbeitenden stieg von rund 40% im 2021 auf über 65% im 2024.

Diese veränderte Zusammensetzung der teilnehmenden Unternehmen lässt Rückschlüsse auf die Dynamik der Schweizer Strombranche zu: Kleinere Unternehmen erweisen sich oft als flexibler bei neuen Projekten wie Smart Metering, stehen aber auch stärker unter Druck, eine ganzheitliche Strategie zu entwickeln und die operative Umsetzung in ihren Prozessen voranzutreiben, da zu wenig Fachkräfte vorhanden sind, um all dies koordiniert und proaktiv anzugehen. Die hier präsentierten Ergebnisse zeigen, dass der Fokus der gesamten EVU-Branche verstärkt auf Kundennähe und Marktentwicklung liegt, obgleich es an übergreifenden Strategien und Sicherheitsstandards immer noch mangelt.
Smart Metering als Zugpferd
Im Vergleich zu 2021 ist der Anteil laufender Smart Meter Rollouts von 35% auf über 60% gestiegen. Dabei wird die Verbrauchstransparenz für Endkunden stark ausgebaut (Visualisierungsfunktionen stiegen von 20% auf über 50%), wobei auch das Aufdecken von Einsparpotenzialen beim Energieverbrauch mehr als verdoppelt wurde, aber immer noch unter 20% der Teilnehmenden liegt.

Digitalisierung im Vertrieb: Verpasste Chancen
Der digitale Vertrieb bleibt auch im Jahr 2024 eine grosse Baustelle: Weniger als 10% der Befragten sehen sich hier besser als die Konkurrenz, während sich ein Drittel klar im Hintertreffen fühlt (2021: 20%). Hinzu kommt, dass fast 50% dem Ausbau digitaler Vertriebskanäle mittlerweile gar keine Relevanz mehr beimessen – ein deutlicher Anstieg gegenüber 2021 (20%). Diese Zahlen verdeutlichen, dass die Branche zwar das Potenzial von Smart Metering ausschöpft, jedoch bei der Vermarktung via Online-Kanäle oft zurückhaltend ist.
Neue Geschäftsmodelle gewinnen an Dynamik
Positiv zu bewerten ist hingegen die Ausweitung digitaler Geschäftsfelder. Insbesondere im Bereich Prosumer-Communities wie (virtuellen) Zusammenschlüssen zum Eigenverbrauch (vZEV) und lokalen Elektrizitätsgemeinschaften (LEG) sowie bei der E-Mobilität wurde 2024 ein starker Zuwachs verzeichnet. Während 2021 nur 25% in Prosumer-Communities aktiv waren oder dies planten, sind es nun über 80%. Auch E-Mobilität erlebt einen rasanten Aufschwung – 75 % der befragten Unternehmen sind hier aktiv (2021 weniger als ein Drittel). Ebenso stieg der Anteil derjenigen EVU, die tatsächlich neue digitale Geschäftsmodelle implementieren konnten, von 10% auf 15%. Diese neuen Formen digitaler Wertschöpfung könnten langfristig wirtschaftliches Wachstum und Kundenbindung gleichermassen stärken.
Strategische Lücken und IKT-Minimalstandard
Dass die digitalen Projekte nicht immer in einen übergreifenden Plan eingebettet sind, zeigt der Rückgang bei der Frage nach dem Vorhandensein einer Strategie: Der Anteil EVU mit einer Strategie sank leicht von über 50% auf 45%; gleichzeitig stieg der Anteil der Unternehmen ohne jede Digitalisierungsstrategie von einem Drittel auf knapp 50%. Dies ist unter anderem auf die veränderte Unternehmensstruktur (Grösse) der Teilnehmenden zurückzuführen, da grössere EVU diese Aufgaben bereits länger als strategische Zielsetzung auf ihrer Agenda haben. Eines zeigt die Umfrage somit deutlich: Auf der einen Seite werden teils hochinnovative Lösungen umgesetzt, eine verbindliche Roadmap zur sinnvollen Verzahnung fehlt jedoch häufig.

Gleichzeitig ist auch die IT-Sicherheit in vielen Unternehmen nicht gut aufgestellt: Obwohl rund 80% der EVU ihr Personal im Bereich Cybersicherheit schulen (2021: fast gleich hoch), haben nur weniger als ein Drittel der Unternehmen Teilbereiche des IKT-Minimalstandards bereits umgesetzt. Den ganzen Standard hat nur jedes siebte Unternehmen umgesetzt. Dieser Missstand kann schnell zum kritischen Risikofaktor werden, sobald Unternehmen weiter in digitale Dienste und Plattformen investieren.
Fazit: Potenziale stärken, Strategie definieren
Zusammenfassend zeigt die Umfrage 2024, dass die Schweizer Strombranche zwar zunehmend an technologischen Fortschritten arbeitet, dazu jedoch noch einen klaren Fahrplan benötigt, um die Digitalisierung nachhaltig und erfolgreich zu gestalten.

Positiv fällt das konsequente Voranschreiten bei Smart Metering und bei innovativen Geschäftsfeldern wie E-Mobilität auf. Der Fokus auf Verbrauchstransparenz und das sichtbar wachsende Kundenbewusstsein sind wichtige Grundlagen für die künftige Positionierung am Markt.
Negativ ist, dass der digitale Vertrieb deutlich hinter den Erwartungen zurückbleibt und viele Unternehmen diese wichtige Wettbewerbskomponente teilweise brachliegen lassen. Auch in Bezug auf die Prozessdigitalisierung und Effizienz besteht bei den meisten Unternehmen noch deutlicher Nachholbedarf.
Sehr negativ schliesslich ist die stark gestiegene Zahl an Unternehmen ohne Digitalisierungsstrategie: Fast die Hälfte der Befragten verfügt über kein klares Konzept, was langfristig zu ineffizienten Einzelprojekten und Sicherheitslücken führt.
Vor diesem Hintergrund empfiehlt sich eine enge Verzahnung bereits laufender Digitalisierungsprojekte und deren übergeordnete Koordination im Rahmen von strategischen Initiativen. Gerade neue Geschäftsfelder können nur dann nachhaltig erfolgreich sein, wenn sie in eine schlüssige Gesamtausrichtung eingebettet sind. Gleichzeitig muss die Branche – angesichts rasant wachsender Cyber-Bedrohungen – den IKT-Minimalstandard rascher umsetzen, um den stabilen Betrieb kritischer Infrastrukturen weiterhin gewährleisten zu können.