Smart Metering: Synergien für zukunftsfähige, intelligente Stromnetze

22.07.2025 PerspectivE
Schweizer Energieversorger stehen vor der Herausforderung, die Energiestrategie 2050 umzusetzen. Dies bringt insbesondere die Verteilnetze unter Druck. Wenn man vorhandene Infrastruktur und neue Möglichkeiten wie Netzmonitoring und Flexibilitätsmanagement nutzt, kann man das Netz optimieren, die Netzstabilität erhöhen und Netzausbauten vermeiden.
Gastautor
Dr. Christian Zaugg
Leiter Business Unit Schweiz bei Landis+Gyr
Gastautorin
Ifigeneia Stefanidou
Head of Strategy & Solutions EMEA bei Landis+Gyr
Disclaimer
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In Kürze: Aktuelle Herausforderungen, moderne Lösungen

Schweizer Energieversorger sind angehalten, sich an die neuen regulatorischen Rahmenbedingungen der Schweizer Energiestrategie 2050 anzupassen und die Energiewende voranzutreiben. Die bestehenden Tarifmodelle und Technologien reichen nicht mehr aus, um den neuen Herausforderungen zu begegnen. Der zunehmende Einsatz von erneuerbaren Energien, Elektrofahrzeugen und Wärmepumpen belastet die Verteilnetze und resultiert in einem sich dynamisch verändernden Kapazitätsbedarf, der rasche und kostenintensive Aufrüstungen erfordert.

Die Nutzung von intelligenten Zählern (Smart Meter) für Flexibilitätsmanagement, Netzmonitoring und Netzoptimierung bietet kosteneffiziente, zuverlässige und sichere Möglichkeiten, um den dynamischen Anforderungen moderner Energiesysteme zu begegnen und den Netzausbaubedarf zu reduzieren.

Die Schweizer Energieversorgungsunternehmen (EVU) sehen sich gegenwärtig mit einer Reihe neuer Herausforderungen konfrontiert, die sich aus der Dezentralisierung, der Digitalisierung und der «Energiestrategie 2050» ergeben. Der Umstieg auf erneuerbare Energien, die Zunahme dezentraler Energieanlagen (DER) und die steigende Anzahl an Elektrofahrzeugen (EV) erfordern ein Umdenken im Verteilnetzmanagement – und umfangreiche Investitionsmassnahmen. Dies ist bei weitem kein Schweizer Phänomen. Eine Analyse von Rystad Energy zeigt, dass bis 2030 weltweit über drei Billionen US-Dollar in die Energieinfrastruktur investiert werden müssen, um mit der aktuellen Entwicklung Schritt zu halten.

Für die Schweizer EVU sind damit verschiedene Fragen verbunden: Wieviel kosten diese Entwicklungen in der Schweiz? Und können die notwendigen Investitionen in das Netz optimiert werden?

Die zweite Frage kann erfreulicherweise positiv beantwortet werden: Investitionen in das Stromnetz lassen sich optimieren oder gar vermeiden, indem bestehende intelligente Netzinfrastruktur mit innovativer Technologie kombiniert wird. Für Schweizer EVU eröffnet sich damit eine einzigartige Chance: Die bereits implementierte Technologie am «Grid Edge» – Smart Meters mit Mess-, Schalt- und Regelmöglichkeiten – kann als integraler Bestandteil der Netzinfrastruktur genutzt werden, um neue Betriebsanforderungen schnell, skalierbar und wirtschaftlich umzusetzen.

Die Kombination intelligenter Netzinfrastruktur und innovativer Technologien ermöglicht nicht nur eine bessere Ausnutzung vorhandener Ressourcen, sondern schafft auch die Grundlage für zukunftsfähige Netzstrategien im Kontext steigender Flexibilitätsanforderungen, dynamischer Netztarife, der Abregelung dezentraler Erzeugung und zunehmender Elektrifizierung.

Die Schweizer Energielandschaft im Wandel

Der Einsatz erneuerbarer Energien gewinnt gegenwärtig an Dynamik, wobei der Schweizer Photovoltaikmarkt (PV-Markt) im Jahr 2024 ein Wachstum von über 50% und die Gesamtproduktion einen Wert von rund 6,9 Terrawattstunden (TWh) erreichte, was etwa 11% des nationalen Stromverbrauchs entspricht. Der Anstieg wird von «Prosumern» vorangetrieben, die sowohl Strom verbrauchen als auch produzieren. Das Stromnetz muss daher in der Lage sein, den zunehmend bidirektionalen Energiefluss bewältigen zu können.

Jedes fünfte Auto, das 2024 in der Schweiz verkauft wurde, war gemäss Bundesamt für Statistik ein Elektroauto. Wenn viele Elektrofahrzeuge während der Verbrauchsspitzenzeiten aus dem Netz aufgeladen werden, kann dies zu einer Überlastung der lokalen Stromnetze führen. Zudem wird durch die bevorstehende Vehicle-to-Grid-Technologie (V2G) ein weiterer Anstieg der bidirektionalen Netzflüsse erwartet. Ein weiterer Faktor, der die Netznutzung erhöht, ist die rasante Zunahme von elektrischen Wärmepumpen.

Die Veränderungen in der Energielandschaft stellen eine Herausforderung für die bestehende Netzinfrastruktur in der ganzen Schweiz dar. Allein für das Übertragungsnetz prognostiziert Swissgrid für die kommenden Jahre Netzinvestitionen in Höhe von 200 bis 290 Millionen CHF jährlich. Ebenso haben EVU in weiten Teilen des 250.000 Kilometer langen Verteilnetzes des Landes einen ähnlichen Bedarf an Netzinvestitionen. So investierte AEW im Jahr 2024 beispielsweise 93 Millionen CHF in die Energieinfrastruktur in ihrem Versorgungsgebiet.

Gleichzeitig werden in den Kantonen zahlreiche Netzverstärkungsprojekte nur mit geringer Geschwindigkeit vorangetrieben. Wie Swissgrid weiter berichtet, stecken viele Projekte des Strategischen Netzes 2025 derzeit in langwierigen Genehmigungsverfahren fest. Zwar wird sich das Parlament demnächst mit einer Revision des Elektrizitätsgesetzes zur Beschleunigung der Bewilligungsverfahren für den Um- und Ausbau der Stromnetze befassen. Bis auf Weiteres kommt der Netzausbau aber weiterhin nur zögerlich voran.

Aus diesen Gründen sind EVU gedrängt, Lösungen zu finden, um bestehende Netze und die Netzinfrastrukturen zu optimieren und die Abhängigkeit von neuen Bauprojekten zu reduzieren. Dies ist mit dem NOVA-Prinzip («Netz-Optimierung vor Netz-Verstärkung vor Netz-Ausbau») in der Schweiz sogar gesetzlich vorgeschrieben, denn es verpflichtet die Netzbetreiber, zunächst alle Optimierungsmöglichkeiten auszuschöpfen, bevor sie in neue Netzinfrastruktur wie Transformatoren und Stromleitungen investieren. Ziel ist es, den Aufwand für Netzverstärkungen sowie die damit verbundenen Kosten zu minimieren.

Angesichts der sich beschleunigenden Trends und regulatorischen Entwicklungen stehen EVU zwar vor zahlreichen Herausforderungen, gleichzeitig eröffnet sich jedoch ein erhebliches, bislang ungenutztes Potenzial für bestehende und neue Technologien, die den Netzausbau verzögern oder sogar überflüssig machen können.

Die Ära von intelligentem Lastmanagement – und der wohlverdiente Ruhestand der Rundsteuerung

Seit Jahrzehnten ist die Rundsteuerung eines der zentralen Elemente des Schweizer Netzmanagements. Sie stützt sich jedoch auf eine alternde Infrastruktur, End-of-Life Technologien und bietet nicht die nötige Flexibilität, um den neuen Anforderungen an die Verteilnetze gerecht zu werden. So sind insbesondere die folgenden Anforderungen von zentraler Bedeutung für ein zeitgemässes, netzdienliches Lastmanagement:

  • Bidirektionale Kommunikation: EVU müssen Signale zur Steuerung von Lasten senden und Echtzeitdaten sowie eine Rückmeldung über die erfolgreiche Reaktion des Endgerätes erhalten können. Die bidirektionale Kommunikation verbessert die Reaktionsfähigkeit auf komplexe und fluktuierende Lasten, was zu einer stabileren und dynamischeren Netzsteuerung führt.
  • Dynamische Gruppierung von Lasten: Optimierungsziele sind wochentags- oder gar tageszeitabhängig und unterliegen Opt-in-/Opt-out-Mechanismen, was eine dynamische Gruppierung verteilter Energieressourcen nach Grösse, Flexibilitätsart, Zeitintervall oder räumlicher Verteilung erfordert.
  • Verfügbarkeit von Netzdaten: Messdaten von Spannung, Oberschwingungen und Strömen erhöhen die Transparenz über den Netzzustand und reduzieren die Ausfallrisiken oder Verstösse gegen die Netzqualität.
  • Integrierte Mess- und Steuerungslösungen: Eine moderne Netzoptimierung erfordert die intelligente Verknüpfung dezentraler Sensordaten aus unterschiedlichen Quellen mit einer zentralen Koordinations- und Verteilplattform. Nur so lassen sich alle Potenziale ausschöpfen und eine koordinierte, effiziente Netzsteuerung realisieren.

Eine Lösungsvariante, welche die obigen Anforderungen erfüllt, ist der Austausch von Rundsteuersystemen durch ein eigenständiges Flexibilitätsmanagementsystem. Dies ist jedoch ein kostspieliger und komplexer Prozess, der die Bereitstellung eines dedizierten Software-Backends sowie von Kommunikationsinfrastruktur und Feldgeräten erfordert.

Eine wesentlich kostengünstigere und schneller umsetzbare Alternative ist die Nutzung der vorhandenen intelligenten Messinfrastruktur in Kombination mit einer Flexibilitätsmanagement-Software. Dieser Ansatz bietet einen «75% free lunch», da ein erheblicher Teil der erforderlichen Komponenten – wie die Software des Head-End-Systems, Kommunikationsnetze und intelligente Zählerrelais – auch für das Netzmanagement genutzt werden können. Abschätzungen aus zahlreichen öffentlichen Ausschreibungen und Offerten deuten darauf hin, dass bis zu 50% der Kosten für ein flächendeckendes Lastmanagement eingespart werden können, wenn es auf der bestehenden Smart-Metering-Infrastruktur aufgebaut statt als eigenständiges Parallelsystem implementiert wird. Dies ist eine willkommene wirtschaftliche Synergie, um die ohnehin bereits steigenden Netzinfrastrukturkosten nicht weiter zu belasten.

Günstiger Zeitpunkt für den Schritt in die Zukunft

Moderne Smart Meter sind mit intelligenter, bidirektionaler Kommunikationsfähigkeit ausgestattet. Sie ermöglichen die Überwachung und Steuerung der an das Verteilnetz angeschlossenen Lasten und tragen so dazu bei, auch bei zunehmender Volatilität einen stabilen Netzbetrieb sicherzustellen. Durch Spannungsmessungen können Smart Meter die Auswirkungen auf den Netzbetrieb überwachen und mit dezentraler Intelligenz reagieren, indem sie die Einspeisung begrenzen und das Netz vor Qualitätsproblemen schützen.

Die Umstellung von konventionellen Zählern auf Smart Meter ermöglicht es EVU somit, das Netz dynamisch auszubalancieren, den Energiefluss zu optimieren und Überlastungen auch bei schwankender Erzeugung aus erneuerbaren Energien und steigender Stromnachfrage zu vermeiden. Mit der schnell voranschreitenden Einführung intelligenter Zähler richtet sich die Aufmerksamkeit der Netzbetreiber zunehmend auf die ersten Phasen des Lastmanagements. Der Bedarf, vorhandene Infrastruktur für Flexibilitätsmanagement und Netzüberwachung zu nutzen, steigt stetig. Basierend auf bisherigen Erfahrungen aus Schweizer Smart-Metering-Projekten schätzen wir, dass drei von vier installierten intelligenten Stromzählern mit den vorhandenen Relais bereits für das Lastmanagement genutzt werden. Etwa 25% der Haushalte, die über mehr als zwei Flexibilitäten oder Erzeuger verfügen, bedürfen zusätzlicher Lastschalter.

Das Rad muss in der Schweiz nicht neu erfunden werden

Erfahrungen in anderen Ländern zeigen das grosse Potenzial der Smart-Metering-Technologie für netzdienliche Anwendungen. So nutzen EVU in Süd-Australien die Smart-Metering-Infrastruktur – und API-Verbindungen zu Wechselrichtersystemen – zur dynamischen Einspeisebegrenzung bzw. Abregelung der Solarstromüberproduktion aus über 14'000 Solaranlagen. Auch in den USA gehört die Nutzung der Smart-Metering-Infrastruktur zur Netzstabilisierung bereits zum Standard: Im Jahr 2024 versendeten mehr als 45 EVU rund 8’000 Steuerbefehle an dezentrale Verbraucher zur Reduktion von Spitzenlasten. Durch die Nutzung intelligenter Messsysteme und nachgelagerter Lastschaltgeräte konnten insgesamt 21 Gigawatt an Last gezielt verschoben werden.

Diese Ansätze werden sukzessive zu umfassenden Gesamtlösungen für Netzmanagement weiterentwickelt, die von Verteilnetz-Monitoring und Datenverarbeitung über zentrales Dispatching bis hin zur Steuerung über eine Smart-Metering-Plattform reichen. EVU erhalten damit zunehmend Transparenz und Kontrolle über ihre Verteilnetze und erzielen wesentliche Mehrwerte wie die Erhöhung der Versorgungssicherheit, die Verzögerung kostenintensiver Netzausbauten sowie die schnellere Integration erneuerbarer Energien und dezentraler Verbraucher.

Auch in Europa – insbesondere in der Schweiz – wächst das Interesse an solchen integrierten Lösungen. Der Trend geht damit von der ausgedienten Rundsteuerung mit grossen Schritten zum dynamischen Flexibilitätsmanagement und für überregionale Netzbetreiber noch weiter in Richtung vollausgebaute DERMS-Plattform («Distributed Energy Ressource Management System»).

Modulare Flexibilitätsmanagementsysteme für vielseitige Anwendungen in der Schweiz

Die für das Flexibilitätsmanagement eingesetzten Elemente und Systeme sind modular aufgebaut und können flexibel kombiniert werden, um sowohl bestehende als auch zukünftige Anwendungsfälle abzudecken. Zu den wichtigsten Anwendungsfällen in der Schweiz zählen:

  • Spitzenlastbegrenzung im Verteilnetz: Minimierung der Einspeisung und des Bezugs aus übergeordneten Netzen, um wirtschaftliche Vorteile zu erzielen und Netzengpässe gezielt zu entlasten.
  • PV-Drosselung am Wechselrichter: Erhöhung der Netzstabilität und Vermeidung von Überspannungen bei dezentraler Überproduktion – ein wesentlicher Beitrag zur Rentabilität von PV-Anlagen und zur Beschleunigung von Netzanschlussgenehmigungen.
  • Lastdrosselung: Verhinderung von Unterspannungen oder lokalen Ausfällen, insbesondere bei hoher Belastung durch Elektromobilität.
  • Notschalter (OSTRAL): Sicherstellung der Netzstabilität im Krisenfall durch spontanen und selektiven Lastabwurf.
  • Optimierte Netznutzung: Reduzierung oder Verschiebung von Investitionen in den Netzausbau durch effizientere Auslastung bestehender Infrastrukturen.
  • Wirtschaftliche Optimierung: Senkung von Kosten durch Minimierung von Ausgleichsenergie innerhalb der Bilanzgruppe.
  • Öffentliche Beleuchtung: Ersatz veralteter Technologie durch zukunftssichere Lösungen.
Landis+Gyr, 2025

Die Zukunft der Energie

Die Integration intelligenter Zähler und Flexibilitätsmanagementsysteme bietet Schweizer EVU eine kosteneffiziente, nachhaltige und gesetzeskonforme Lösung, um den steigenden Anforderungen der Energiewende gerecht zu werden. Durch präzisere Überwachung und Steuerung des Energieflusses können Netzspitzen reduziert, erneuerbare Energien effizient integriert und kostspielige Netzausbauten verzögert oder vermieden werden. Gleichzeitig werden die Netzstabilität verbessert und die Versorgungssicherheit erhöht.

Das Flexibilitätsmanagement ermöglicht die dynamische Gruppierung und Steuerung von Lasten, was zu einer signifikanten Steigerung der Effizienz und Zuverlässigkeit des Netzes führt. Moderne Energiemanagementansätze mit intelligenten Kontrollmechanismen schaffen nicht nur wirtschaftliche Vorteile, sondern leisten auch einen wichtigen Beitrag zur Umsetzung der Energiestrategie 2050 und zur Integration erneuerbarer Energien. Ein dezentral aufgebautes, anpassungsfähiges Netz stärkt sowohl die Versorgungssicherheit als auch die Nachhaltigkeit – zum Nutzen von EVU und Endverbrauchern.

Viele der Smart-Meter-Projekte sind im stabilen Rollout-Modus unterwegs – für die Netzbetreiber kommt damit ein optimaler Zeitpunkt, die nächsten strategischen Technologieinitiativen voranzutreiben. Besonders die synergetische Nutzung einer bestehenden Smart-Metering-Plattform für Flexibilitätsmanagement, Netzüberwachung und Optimierung sollte dabei eine hohe Priorität haben.

Über Landis+Gyr

Landis+Gyr ist ein weltweit tätiger Anbieter von Energiemanagementlösungen. Das Unternehmen bietet auch in der Schweiz gemeinsam mit lokalen Partnern integrierte Lösungen an und baut das Angebot stetig aus. Das dynamische Flexibilitätsmanagement zur Ablösung der ausgedienten Rundsteuerung heisst bei Landis+Gyr «GridFlex Control».

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