Früher liess man Stromzähler rückwärtslaufen, um den eingespeisten Solarstrom unbürokratisch vom bezogenen Strom abzuziehen. Man sagte dem Net-Metering. Ist der Solarstromanteil in einem System ausreichend klein, ist das ein effizienter Fördermechanismus für Eigenverbrauchsanlagen. Er wirkt wie die ehemalige kostendeckende Einspeisevergütung (KEV): Jede bezogene Kilowattstunde wird für alle Endverbraucher geringfügig teurer. Mit dem Geld wird die eingespeiste Solarenergie vergütet.
Net-Metering und KEV waren sich also recht ähnlich. Und beide sind aus ähnlichen Gründen nicht zukunftsfähig: Eingespeister Solarstrom wird jederzeit gleich vergütet – unabhängig davon, ob er dringend gebraucht wird, überflüssig ist oder gar destabilisierend auf das System wirkt. Auch die Minimalvergütung, wie sie im Stromgesetz von 2024 vorgesehen war, war so angedacht.
Lokale Netzverstärkungen unterliegen heute oft demselben Denk- und Designfehler wie das Net-Metering und die KEV: Sie basieren auf der Annahme, dass Solarstrom keinen relevanten Beitrag zur Energieversorgung liefert und jederzeit vom System aufgenommen werden kann, wenn nur die Leitung dick genug ist. Der Leistungsüberschuss resp. das überlastete Netz werden als lokales Phänomen betrachtet, das lokal gelöst werden kann. Bis heute hat das recht gut funktioniert. Denn in diesem Jahr erreichen wir erst rund 14% Solarstrom im Netz. Doch mit Netzverstärkungen allein lässt sich die Energiewende nicht realisieren. Die wahren Herausforderungen zur Integration von mehr Solarstrom lauern anderswo und sind mit Kupfer nicht zu meistern.
Engpass: Netz, System oder Markt?
Engpässe können an verschiedenen Orten auftreten und an verschiedenen Orten gelöst werden. Zu unterscheiden sind insbesondere folgende drei Bereiche:
- Netz: Netzengpässe sind überlastete Kabel oder Transformatoren. Auch wenn die Spannung auf einem Kabel zu stark ansteigt, spricht man von einem Netzengpass. Netzengpässe sind lokale Phänomene und können mit mehr Kupfer wirkungsvoll bekämpft werden.
- System: Systemengpässe beziehen sich hier auf Themen wie Frequenzstabilität, Kompensation von Produktions- oder Verbrauchsrampen, Regelleistung oder Trägheit im Netz. Systemintegrationsfragen treten systemweit auf und sind entsprechend systemweit zu lösen, insbesondere auch länderübergreifend.
- Markt: Der Strommarkt bildet Angebot und Nachfrage ab. Marktengpässe bedeuten, dass Angebot und Nachfrage sich nicht mehr finden, z. B. wenn es trotz negativer Preise mehr Angebot als Nachfrage gibt.
Erste Engpässe treten typischerweise mit dem Anschluss von wenigen, aber dafür leistungsstarken Photovoltaikanlagen (PV-Anlagen) im Verteilnetz auf. Während Übertragungsnetz und Strommarkt keine Notiz dieser Anlagen nehmen, können lokale Leitungen und Transformatoren bereits überlastet sein.
Werden hingegen schweizweit viele PV-Anlagen gebaut, wie dies in der Energiestrategie 2050 vorgesehen ist, so ist es der Strommarkt, der den Solarstrom nicht mehr aufnehmen kann. Negative Strompreise im Sommer am Mittag zeugen davon, dass der Markt zwar gut funktioniert, Marktteilnehmer jedoch fürs Stromverbrauchen bezahlt werden müssen, da sich für den Solarstrom ansonsten keine Abnehmer finden. Werden diese schweizweiten Solarstromüberschüsse an deren Quelle – das heisst am Netzanschluss – begrenzt, so lösen sich gleichzeitig viele Überlastungsprobleme im Verteilnetz.
Einfluss des Strommarktes auf den Wert des Netzanschlusses
In einer Untersuchung hat die Berner Fachhochschule (BFH) gemeinsam mit Swissgrid Szenarien für eine Schweiz mit 30 GW Photovoltaikleistung geprüft [1]. Dies entspricht dem ehemaligen «Szenariorahmen für die Stromnetzplanung» des Bundesamts für Energie (BFE) und ist mit dem neuen Stromgesetz schon wieder überholt – die Photovoltaikleistung dürfte wohl deutlich grösser werden als 30 GW. Trotzdem lassen die Resultate erahnen, was bei einer Vervierfachung der Solarstromleistung auf die Schweiz zukommt.
Die Untersuchung nimmt zunächst mal an, dass die Schweiz eine Kupferplatte ist: Es gibt keine Netzengpässe, und jede PV-Anlage kann demnach physikalisch so viel einspeisen, wie sie will. Nun wird eine klassische Marktsimulation ausgeführt: Das Kraftwerk mit den höchsten Grenzkosten setzt den Preis. Solarstrom hat Grenzkosten Null. Energie, die keinen Abnehmer findet, kann nicht eingespeist werden. Diese Simulation zeigt eindrückliche Konsequenzen für den Solarstrom: Rund ein Viertel der Solarstromproduktion findet am Strommarkt keine Abnehmer. Selbst dann nicht, wenn er verschenkt wird. Abbildung 1 zeigt das kumulierte Produktionsprofil für die Schweiz.
SC2040 = Szenario 3 «Sektorkopplung» gem. «Szenariorahmen für die Stromnetzplanung» des BFE
Diese Marktsimulation von Swissgrid ergänzt die BFH mit energetischen Simulationen von unterschiedlich geneigten und ausgerichteten PV-Anlagen im Mittelland und in den Alpen. Es wird folgende Annahme getroffen: Der Prozentsatz der vom Markt nicht aufgenommenen Solarenergie entspricht zu jeder Zeit dem Prozentsatz der Produktion, die eine PV-Anlage nicht ins Stromnetz einspeisen darf. Diese Berechnung wird mit und ohne Eigenverbrauch durchgeführt.
Für jede der simulierten Anlagen ergeben sich zwei Produktionsprofile: Einmal das, was die Anlage eigentlich produzieren könnte, und einmal das, was der Strommarkt aufnehmen kann. In beiden Fällen wird anschliessend simuliert, welcher Netzanschluss notwendig ist, um die nicht vor Ort benötigte Energie im Netz aufzunehmen.
Weil die Resultate für alle simulierten PV-Anlagen recht ähnlich ausfallen, wird im Folgenden nur noch eine PV-Anlage in Zollikofen betrachtet, deren Module nach Süden ausgerichtet und 20° geneigt sind. Zunächst wird geprüft, wie gross der Ertragsverlust aufgrund der reduzierten Netzanschlusskapazität ist (Abbildung 2). Dabei zeigt sich: Könnte der Markt alle Energie aufnehmen (schwarze Linien mit/ohne Eigenverbrauch), so würden die Ertragsverluste ab ca. 50-60% Netzanschlusskapazität stark zunehmen. Wird jedoch berücksichtigt, dass der Markt einen Teil der Energie sowieso nicht aufnehmen kann, treten die relevanten Ertragsverluste unterhalb von ca. 40% Netzanschlusskapazität auf (blaue Linien).
GC = «Grid Curtailment» = Einspeisebegrenzung
ISC = «including self-consumption» = unter Berücksichtigung von Eigenverbrauch
SC2040 = Szenario 3 «Sektorkopplung» gem. «Szenariorahmen für die Stromnetzplanung» des BFE
Noch deutlicher ist dieser Effekt, wenn nicht der entgangene Energieertrag, sondern der entgangene Marktwert des Solarstroms betrachtet wird. Die vom Markt nicht aufgenommene Energie hat nur einen geringen Marktwert. Selbst bei einer unlimitiert voll ins Netz einspeisenden PV-Anlage wird mit den Kilowattstunden, die mit einer Leistung über 40% eingespeist werden, praktisch kein Geld verdient.
Trotzdem sollte aus ökologischen Gründen möglichst viel der erzeugten elektrischen Energie verbraucht und nicht verworfen werden. Das gelingt mittels netzdienlicher Eigenverbrauchsoptimierung. Verbraucher sollen möglichst dann eingeschaltet werden, wenn lokaler Stromüberschuss vorhanden ist. Dafür können Wärmepumpen, Warmwasserboiler oder auch Elektrofahrzeuge verwendet werden. Ist das entsprechende Potenzial zu gering, bieten sich stationäre elektrische Speichersysteme an.
Abbildung 3 zeigt, mit wie vielen Stunden Speicherkapazität die Ertragsverluste bei geringer Netzanschlusskapazität reduziert werden können. Lesebeispiel: Ist eine 10 kWp-PV-Anlage mit 4 kW ans Netz angeschlossen (also 40% Anschlusskapazität), können mit einem 20 kWh-Batteriespeicher (also 2 h Speicherkapazität) die Verluste von rund 30% ohne Speicher auf unter 3% gesenkt werden.
Diese Grafik zeigt damit auch, wie stark die Überlastsituationen im Netz mit dem Solastromüberschuss am Strommarkt korrelieren. Werden mit einem Batteriespeicher die vom Markt nicht aufgenommenen Energieüberschüsse abgefangen, reduziert sich gleichzeitig der Bedarf eines stärkeren Netzanschlusses.
GC = «Grid Curtailment» = Einspeisebegrenzung
SC2040 = Szenario 3 «Sektorkopplung» gem. «Szenariorahmen für die Stromnetzplanung» des BFE
Fazit
Dieser Artikel zeigt auf, dass Solarstromüberschüsse mit Netzverstärkungen nicht aufgefangen werden können. Die Lösung liegt darin, die Überschüsse gar nicht erst ins Netz einzuspeisen. Ob dies mittels Lastverschiebung oder mit Batteriespeichern gelöst wird, ist aus Netz- und Marktsicht nicht relevant. Es wird jedoch die Annahme getroffen, dass neue, flexible Lasten und Speicher am Ort der Produktion installiert werden und dort die Überschüsse auffangen. Dieser Artikel macht zudem keine Aussage zu einem allfälligen, durch die Verbraucher bestimmten Netzausbau.
Referenzen
[1] BFH, Swissgrid: Market Implications on Grid Connection Sizing for Photovoltaic Systems
Glossar
Eigenverbrauchsanlage
Eine Anlage, die erzeugte Energie (meist aus erneuerbaren Quellen wie Photovoltaik oder Wind) direkt für den eigenen Bedarf nutzt, anstatt sie ins öffentliche Netz einzuspeisen.
Frequenzstabilität
Fähigkeit eines Stromnetzes, eine konstante Netzfrequenz (meist 50 Hz in Europa) aufrechtzuerhalten. Diese Frequenz muss stabil bleiben, um eine zuverlässige Energieversorgung zu gewährleisten. Wenn die Erzeugung und der Verbrauch von Strom im Netz nicht im Gleichgewicht sind, kommt es zu Frequenzabweichungen.
Kostendeckende Einspeisevergütung (KEV)
Die kostendeckende Einspeisevergütung (KEV) war ein Förderinstrument in der Schweiz, das von 2009 bis 2022 Produzenten von Strom aus erneuerbaren Energien eine Vergütung garantierte, die ihre Produktionskosten deckte. Finanziert wurde sie durch einen Netzzuschlag, den alle Stromverbraucher zahlten. Seit 2018 wurde die KEV schrittweise durch neue Fördermodelle wie Einmalvergütungen und gleitende Marktprämien ersetzt.
Minimalvergütung
Die Minimalvergütung nach Stromgesetz ist ein vom Bundesrat festgelegter Mindestpreis, den Betreiber von Photovoltaikanlagen bis 150 kW für eingespeisten Strom erhalten müssen – unabhängig der Marktpreise. Sie orientiert sich an den Amortisationskosten von Referenzanlagen und soll sicherstellen, dass Investitionen in Solarstrom wirtschaftlich tragbar sind. Die Höhe der Vergütung variiert je nach Anlagengrösse und Eigenverbrauchsanteil.
Produktions-/Verbrauchsrampen
Geschwindigkeit, mit der sich die Stromerzeugung bzw. der Stromverbrauch innerhalb eines bestimmten Zeitraums verändert. Eine Produktionsrampe beschreibt z. B. den schnellen Anstieg oder Abfall der Stromerzeugung durch wetterabhängige Quellen wie Photovoltaik oder Windkraft. Eine Verbrauchsrampe beschreibt plötzliche Änderungen im Strombedarf, etwa durch das gleichzeitige Einschalten vieler Geräte oder industrieller Prozesse. Diese Rampen stellen Herausforderungen für die Netzstabilität dar und erfordern flexible Ausgleichsmechanismen wie Speicher, steuerbare Lasten oder schnell regelbare Kraftwerke.
Regelleistung
Kurzfristig verfügbare elektrische Leistung, die Übertragungsnetzbetreiber wie Swissgrid einsetzen, um das Gleichgewicht zwischen Stromerzeugung und -verbrauch im Netz zu sichern.
Trägheit
Fähigkeit des Stromnetzes, kurzfristige Schwankungen in Erzeugung oder Verbrauch durch die kinetische Energie rotierender Massen (z. B. in Synchrongeneratoren) abzufedern. Diese sogenannte Momentanreserve wirkt sofort und stabilisiert die Netzfrequenz, noch bevor automatische Regelsysteme eingreifen können. Mit dem zunehmenden Einsatz von erneuerbaren Energien ohne rotierende Massen nimmt die natürliche Trägheit im Netz ab, was neue Herausforderungen für die Netzstabilität mit sich bringt.
Übertragungsnetz
Transportiert elektrische Energie mit hoher Spannung (in der Schweiz 220 und 380 Kilovolt) über weite Strecken von Kraftwerken zu regionalen Verteilnetzen. In der Schweiz betreibt Swissgrid das Übertragungsnetz.
Verteilnetz
Transportiert elektrische Energie mit mittlerer bis niedriger Spannung (in der Schweiz von 150 Kilovolt bis hinunter zu 230 Volt) von Kraftwerken und aus dem Übertragungsnetz zu den Endverbrauchern wie Haushalten, Unternehmen und öffentlichen Einrichtungen.