Die Energiewende verändert die Logik des Stromsystems grundlegend. In vielen Ländern – darunter auch in der Schweiz – führen der Ausbau variabler erneuerbarer Energien wie Photovoltaik (PV) und Wind sowie die Elektrifizierung von Wärme, Mobilität und Industrie zu deutlich volatilerem Stromangebot und komplexeren Verbrauchsmustern. Die früher dominanten, zentral gesteuerten Kraftwerke reichen zunehmend nicht mehr aus, um Angebot und Nachfrage jederzeit im Gleichgewicht zu halten. Ohne Flexibilität drohen Netzinstabilitäten oder gar Blackouts. Flexibilität ist somit ein zentraler Mechanismus, um die Energiewende technisch möglich und wirtschaftlich tragfähig zu machen.
Flexibilitätsbedarf auf unterschiedlichen Ebenen und Zeitskalen
Flexibilität im Energiesystem bezieht sich auf die Fähigkeit von Energieanlagen, ihre Stromerzeugung oder ihren Stromverbrauch im Laufe der Zeit an sich ändernde Systemanforderungen anzupassen. Dieser Bedarf zeigt sich auf mehreren Ebenen, jede mit eigenen Anforderungen, Herausforderungen und Potenzialen:
- Auf Systemebene geht es um die gesamte Balance von Erzeugung und Verbrauch über grössere Gebiete, zum Beispiel über die gesamte Schweiz. Mit wachsenden Anteilen erneuerbarer Energiequellen steigt der Bedarf an Systemdienstleistungen wie Frequenzhaltung, aber auch an saisonalen Ausgleichsmechanismen, um beispielsweise Kurzzeitspitzen und längere Perioden mit geringer Erzeugung zuverlässig auszugleichen [1].
- Auf Verteilnetzebene entstehen lokale Engpässe oder Spannungsschwankungen durch starke Einspeisungen (etwa PV in Wohngebieten) oder Lastspitzen (etwa bei E-Mobilität). Flexibilitätsoptionen wie gezielte Lastverschiebung und intelligente Steuerung der Einspeisung können helfen, Netzengpässe zu reduzieren und den Netzausbau effizienter zu gestalten [2].
- Auf Anlagen- oder Verbraucherebene verfügen Haushalte, Gewerbe oder Industrie über steuerbare Geräte wie Wärmepumpen, Batteriespeicher oder Ladeinfrastrukturen für Elektrofahrzeuge. Diese lassen sich gezielt steuern und beispielsweise zur Eigenverbrauchsoptimierung, Lastverschiebung (Peak Shaving) oder sogar Teilnahme an Flexibilitätsmärkten nutzen.
Quelle: BKW
Der Bedarf an Flexibilität unterscheidet sich nicht nur auf geographischen Ebenen, sondern auch zu unterschiedlichen Zeitpunkten. So kann Flexibilität in verschiedene Zeitskalen eingeteilt werden:
- Sehr kurzfristige Flexibilität (Sekunden bis Minuten) ist erforderlich für Frequenzregelung und Primär-/Sekundärregelleistung. Sie sorgt dafür, dass Stromproduktion und -verbrauch in Echtzeit im Gleichgewicht bleiben.
- Mittelfristige Flexibilität (Stunden bis Tage) ermöglicht es, Lastspitzen zu glätten oder Erzeugungsspitzen – beispielsweise mittags erzeugter PV-Strom – gezielt zu nutzen, indem Ladevorgänge für E-Autos oder Wärmepumpen verschoben werden.
- Langfristige Flexibilität (Wochen bis Saisonalität) befasst sich mit saisonalen Ungleichgewichten, speziell mit Winterdefiziten oder mit Sommerüberschüssen. Lösungen reichen von thermischen Speichern über Power-to-Heat bis zu saisonalen Energieimporten und -exporten [3].
Die Änderung des Energiesystems geht mit einem wachsenden Bedarf an Flexibilität auf sämtlichen Ebenen einher. Während früher vor allem die Systemebene im Mittelpunkt stand, rücken heute auch Verteilnetzbetreiber sowie einzelne Verbraucherinnen und Verbraucher verstärkt in den Fokus. Diese prüfen zunehmend, wie sie selbst Flexibilität bereitstellen oder nutzen können. Die Vielfalt der beteiligten Akteure und die unterschiedlichen zeitlichen Anforderungen verdeutlichen: Flexibilität ist kein Einzelinstrument, sondern ein System aus vielfältigen Bausteinen.
Möglichkeiten und Grenzen der Flexibilität
Flexibilität bedeutet also, gezielt Schwankungen im Energiesystem ausgleichen zu können. Steuerbare Anlagen passen ihren Betrieb flexibel an und reagieren bei Über- oder Unterdeckung des Stromsystems, um das Gleichgewicht zu sichern. So ermöglicht Flexibilität die Integration erneuerbarer Energien sowie die Elektrifizierung von Transport- und Wärmesektor.
Kritisch stellt sich die Frage, wie diese Flexibilität am nachhaltigsten erschlossen werden sollte. Während neue Speicherlösungen wie Batteriesysteme oder Wasserstofftechnologien grosse Aufmerksamkeit erfahren, liegt ein erhebliches, bislang wenig genutztes Potenzial in der bereits vorhandenen Infrastruktur. Bestehende Geräte und Anlagen – von Wärmepumpen über industrielle Prozesse bis hin zu Ladeinfrastrukturen – können flexibel eingesetzt werden, ohne zusätzliche Ressourcen oder teure Neubauten im grossen Umfang bereitzustellen. Studien zeigen, dass diese sogenannte Demand-Side-Flexibility (DSF) die Gesamtkosten des Energiesystems reduzieren und dabei die Integration erneuerbarer Energien erleichtern sowie die Netze entlasten kann [4, 5, 6].
Jedoch ist der Weg zu einer breiten Nutzung von DSF mit Herausforderungen verbunden: Viele Anlagen sind technisch noch nicht auf flexible Steuerung vorbereitet oder verfügen über inkompatible Schnittstellen. Einheitliche Standards und Interoperabilität sind rar, was die Nutzbarmachung dezentraler Flexibilität erschwert. Zudem erschweren regulatorische Rahmenbedingungen häufig den Marktzugang für kleinere Verbraucher. Schliesslich spielen auch verhaltensbezogene Faktoren eine Rolle: Verbraucherinnen und Verbraucher müssen bereit sein, Flexibilität bereitzustellen, was Fragen des Komforts, Datenschutzes und der Akzeptanz berührt.
Quelle: BKW
Auch die zunehmende Digitalisierung des Energiesystems verändert die Anforderungen an Flexibilität grundlegend. Intelligente Messsysteme, IoT-Geräte und automatisierte Energiemanagementsysteme machen es technisch möglich, Flexibilität auch dezentral und in kleinteiligen Einheiten effizient nutzbar zu machen. Gleichzeitig entstehen neue Herausforderungen durch den steigenden Stromverbrauch digitaler Technologien, insbesondere im Bereich von Rechenzentren und KI-Anwendungen. Prognosen gehen davon aus, dass sich der globale Strombedarf von Rechenzentren bis 2030 mehr als verdoppeln könnte [7]. Dies bedeutet eine zusätzliche Nachfrage, die volatil sein kann und damit das Flexibilitätsbedürfnis weiter verstärkt. Zugleich bietet gerade künstliche Intelligenz auch Lösungen: Durch präzisere Prognosen von Erzeugung und Nachfrage oder durch algorithmische Optimierung und Steuerung von Lasten und Speichern kann KI helfen, Flexibilität effizienter zu erschliessen und zu nutzen.
Fazit und Ausblick
Flexibilität ist ein zentraler Baustein der Energiewende. Ohne sie lässt sich das Stromsystem nicht effizient betreiben, wenn erneuerbare Energien in grossem Umfang integriert und Sektoren wie Transport und Wärme elektrifiziert werden. Entscheidend ist dabei, das gesamte Spektrum verfügbarer Optionen zu nutzen: von grossen Kraftwerken über Speicherlösungen bis hin zu einer breiten Nutzung von Demand-Side-Flexibility. Letztere bietet die Chance, bestehende Infrastruktur nachhaltig zu nutzen, erfordert jedoch technische Anpassungen, regulatorische Innovationen und gesellschaftliche Akzeptanz. Digitalisierung und künstliche Intelligenz können hierbei als Enabler wirken, indem sie komplexe Systeme beherrschbar machen und neue Geschäftsmodelle ermöglichen. Zentral wird sein, dass alle Akteure – von Netzbetreibern über Unternehmen bis hin zu privaten Haushalten – in dieses neue, flexible Energiesystem eingebunden werden.
Referenzen
[1] Swissgrid (2024): Annual Report 2024.
[2] BKW (2023): Auswirkungen der Energiewende auf die Schweizer Verteilnetze.
[3] ETH Energy Blog (2021): The role of seasonal storage in decarbonizing the energy system.
[4] ENTSO-E (2021): Demand Side Flexibility in Europe.
[5] Eurelectric (2022): Flexibility and the role of DSF.
[6] Fraunhofer ISE (2023): Demand Side Management in der Praxis.
[7] International Energy Agency (2023): Data Centres and Data Transmission Networks.
BKW Powerflex
Mit Powerflex bietet die BKW eine Lösung, um dezentrale und kleinteilige Anlagen zu aktiven Teilnehmern im Energiesystem zu machen. Über eine sichere und skalierbare Anbindung werden steuerbare Anlagen, wie Photovoltaikanlagen, industrielle Lasten oder Wärmepumpen, in einem virtuellen Kraftwerk gebündelt. So können viele kleine Anlagen gemeinsam agieren wie ein grosses Kraftwerk und ihre Flexibilität gezielt im Energiesystem einsetzen. Die intelligente Steuerung ermöglicht es, die Flexibilität dieser Anlagen beispielsweise zur Sicherstellung der Systembalance zu nutzen: Bei kurzfristigem Strommangel im Netz können einzelne Wärmepumpen automatisiert für eine kurze Zeit heruntergefahren werden und tragen so zur Stabilität des Gesamtsystems bei. Lösungen wie Powerflex zeigen, wie technische Innovation und Zusammenarbeit aller Akteure die Energiewende möglich machen.