Koordiniertes Energiesparen in Haushalten

31.01.2023
Eine Informationsplattform, welche über den aktuellen und prognostizierten Zustand des Schweizer Energiesystems orientiert, könnte koordiniertes Energiesparen in Haushalten ermöglichen. Und sie wäre ein zusätzlicher Ansatz für den Umgang mit Stromengpässen in der Schweiz.
Gastautor
Sven Eggimann
Wissenschafter, Urban Energy Systems Laboratory, Empa
Gastautor
Elliot Romano
Elliot Romano
Wissenschafter, Universität Genf
Disclaimer
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Erdgas ist knapp, und auch die Verfügbarkeit der Kernkraftwerke in Europa ist deutlich geringer als in der Vergangenheit. Entsprechend gross sind die Befürchtungen, dass es in diesem und den folgenden Wintern zu Stromausfällen mit möglicherweise weitreichenden sozialen und wirtschaftlichen Folgen kommen könnte. Andere Länder haben Blackouts im Winter mit schwerwiegenden Konsequenzen bereits erlebt, zum Beispiel der US-Bundesstaat Texas, wo mehr als 4,5 Millionen Menschen von der Stromversorgung abgeschnitten wurden, was allein in Texas zu einem wirtschaftlichen Verlust von 130 Milliarden Dollar führte [1, 2].

Um den drohenden Engpässen in der Schweiz zu begegnen, hat der Bundesrat beschlossen, Gaskraftwerke zu kaufen und eine Wasserkraftreserve zu bilden mit einer kombinierten Gesamtleistung von bis zu 1 GW. Die dafür anfallenden Kosten werden auf 700 bis 900 Millionen Franken geschätzt [3], wobei allein die Kosten für die Wasserkraftreserve von 400 GWh rund 300 Millionen Schweizer Franken betragen [4].

Ein solcher Ausbau der Stromerzeugungskapazitäten ist eine Möglichkeit, die derzeitigen Engpässe zu beheben. Ein alternativer Ansatz besteht darin, die Nachfrage durch Energieeinsparungen in Industrie und Haushalten zu senken. Zu diesem Ziel hat der Bundesrat unter anderem eine Initiative gestartet, welche zu spezifischen Energiesparmassnahmen in Haushalten aufruft [5]. Eine zusätzliche, gezielte Verlagerung der Energienachfrage könnte eine Überlastung des Energiesystems in angespannten Situationen, zum Beispiel zu Spitzenbedarfszeiten, verhindern (Bild unten).

Die Verlagerung von Lasten aus Zeiten mit hoher Nachfrage zu Zeiten mit geringer Nachfrage (Schwachlast) trägt zum Gleichgewicht des Energiesystems bei.

In der Schweiz können industrielle Grossverbraucher bereits zu einer Verlagerung ihres Energieverbrauchs aufgefordert werden, wobei der tatsächliche Anteil von flexibler Last voraussichtlich nicht reicht und daher kein Allheilmittel gegen die Stromdefizite im Winter darstellt [6]. Eine Alternative wurde in der Schweiz noch nicht systematisch erfasst: das Potenzial freiwilliger Einsparungen einer grossen Anzahl von Haushalten während Zeiten mit Spitzenlasten.

Vom Ausland lernen: Koordination des Stromverbrauchs der Haushalte in Zeiten der Systemüberlastung

Versorgungssicherheit besteht schon länger als Herausforderung. Vorfälle wie in Texas zeigen, wie wichtig es ist, sowohl die Lasten von industriellen und gewerblichen Verbrauchern als auch jene von Haushalten zu berücksichtigen. Dadurch erhöhte sich die Notfallbereitschaft. Dies erfordert aber eine klare und frühzeitige Kommunikation im Vorfeld möglicher Engpässe [7]. Haushalte würden die Wahrscheinlichkeit einer systemweiten Beeinträchtigung verringern, wenn sie ihre Nachfrage während kritischer Momente gezielt anpassen könnten. Eine Analyse legt nahe, dass eine Stromreduktion auf der Grundlage eines Echtzeitsignals von 44 % der texanischen Haushalte die Ausfälle weitgehend hätte verhindern können [8].

Informationsplattformen, um die Lastverschiebung einer grossen Anzahl von Haushalten zu koordinieren, wurden in anderen Staaten bereits eingeführt (Beispiele siehe Bild unten). In Südafrika oder Kalifornien kann dadurch eine grosse Anzahl von Haushalten über mögliche Energiesparmassnahmen zur Verringerung der Spitzenlast informiert werden. So beispielsweise im Sommer, wenn der Strombedarf aufgrund des Einsatzes von Klimaanlagen stark ansteigt. Während diese beiden Systeme den Fokus darauf richten, die Nachfrage in Zeiten extremer Hitze und damit hohen Strombedarfs zur Kühlung zu verringern, ist die Einrichtung eines ähnlichen Systems zur Verringerung des Spitzenbedarfs im Winter ebenfalls möglich. Ein Beispiel dafür ist écowatt in Frankreich, welches stündlich über den Zustand des Stromnetzes informiert. Auch wenn die Umsetzung eines ähnlichen Systems für die Schweiz mit eigenen Herausforderungen verbunden ist, könnte das ein kostengünstiger Lösungsbeitrag zum Entgegenwirken von Strommangellagen sein, der weiter untersucht werden sollte.

Beispiele aus Frankreich (écowatt), Kalifornien (FlexAlert) und Südafrika (Power Alert). Die Informationssysteme zeigen gezielte Warnungen des Netzbetreibers an die Haushalte in Abhängigkeit vom Zustand des Stromnetzes.

Klare und wissenschaftlich fundierte Signale sind notwendig

Damit die Öffentlichkeit ihren Energieverbrauch anpassen kann, werden Echtzeitinformationen und -prognosen über das Energiesystem benötigt, ähnlich wie während der Covid-19-Pandemie. Wissenschaftliche Informationen über den Zustand des Stromnetzes sind für die Öffentlichkeit von entscheidender Bedeutung, damit sie reagieren und Lastabwürfe durch den Netzbetreiber verhindern kann.

Ein klares und vertrauenswürdiges Signal ist der Schlüssel, um kleine Stromverbraucher zu freiwilligen koordinierten Energiespar- und Lastverschiebungsaktionen zu motivieren. Die Definition und Berechnung eines solchen Signals ist jedoch methodisch anspruchsvoll und erfordert die Modellierung und Verarbeitung verschiedener Daten unter Berücksichtigung der Unsicherheiten bezüglich Stromnachfrage und -angebot. Eine besondere Herausforderung für die Modellierung des Schweizer Energiesystems ist die starke Integration in den europäischen Energiemarkt. Daher hängt das Gleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage nicht nur von der inländischen Erzeugung, sondern auch von der Verfügbarkeit ausländischer Erzeugung und grenzüberschreitender Kapazitäten ab. Darüber hinaus ist das Stromangebot wetterabhängig, da beispielsweise die Solar- und Windenergieerzeugung von Bewölkung respektive der Verfügbarkeit von Wind abhängen.

Auf der Grundlage der Verfügbarkeit von Kraftwerken, Übertragungskapazitäten sowie der Verfügbarkeit von erneuerbarer Energie kann die sogenannte Reservemarge berechnet werden. Die Reservemarge entspricht somit der Differenz zwischen der verfügbaren Erzeugung und der Nachfrage. Das Risiko potenzieller Engpässe sollte als die Wahrscheinlichkeit, dass diese Reservemarge nicht ausreicht, berechnet werden. Die grosse Herausforderung besteht hierbei darin, dass die für eine solche Berechnung erforderlichen Daten nicht ohne Weiteres direkt verfügbar sind, insbesondere nicht für Prognosen.

In der Schweiz gibt es verschiedene Plattformen zur Visualisierung von Energiedaten, die zunehmend Daten in Echtzeit sowie Prognosedaten abbilden (zum Beispiel dashboardenergie.admin.ch oder energyalert.ch). Was fehlt und weiterentwickelt werden muss, ist ein Signal, das auf den Faktoren basiert, die zu einer Strommangellage führen, und welches das Konzept der Reservemarge mit den verknüpften Risiken korrekt abbildet.

Wie hoch sind das Potenzial und der wirtschaftliche Nutzen?

Zum Flexibilitätspotenzial der Schweizer Haushalte auf nationaler Ebene wurden bereits mehrere Studien publiziert. So hat das BFE im Jahr 2019 eine Studie [9] in Auftrag gegeben, die das Flexibilitätspotenzial für verschiedene Verbraucherkategorien untersucht. Für die Haushalte wurde ein Potenzial von 440 MW geschätzt, für den Verkehr ein zusätzliches Potenzial von 140 MW. Von verschiedenen Haushaltsgeräten (beispielsweise Waschmaschinen, Geschirrspüler, Wäschetrockner, elektrische Warmwasserspeicher) weisen Heiz- und Nassgeräte (Waschmaschinen, Geschirrspüler, Wäschetrockner) das höchste Potenzial auf. Nicht alle elektrischen Haushaltsgeräte verbrauchen gleich viel Strom, und einigen Geräten ist es schwieriger, den Verbrauch zeitlich zu verschieben. Während sich der Betrieb einer Waschmaschine leicht um mehrere Stunden verschieben lässt, kann es schwieriger sein, die Zeit zu verschieben, in der man kochen muss. Mit der fortschreitenden Elektrifizierung des Wärme- und Verkehrssektors nimmt die individuelle Strommenge jedoch ständig zu – und damit auch das Potenzial zur Verlagerung.

Eine genaue Bezifferung des wirtschaftlichen Nutzens der Nachfrageverschiebung für die Schweiz ist schwierig, aber er dürfte sich in Millionenhöhe bewegen. Der wirtschaftliche Nutzen ergibt sich aus der Tatsache, dass der Strom aus den Spitzenzeiten in die Schwachlastzeiten mit tieferen Strompreisen verlagert wird. Neben diesen direkten wirtschaftlichen Vorteilen wäre der grösste Vorteil jedoch, dass ein solches Instrument rollende Stromausfälle mit ihren weitreichenden Folgen verhindern könnte.

Schlussfolgerungen und Ausblick

Es wurden bereits beträchtliche Anstrengungen unternommen, um Anreize zu schaffen, um den Stromverbrauch auf Tageszeiten mit tieferer Last zu verschieben. In der Regel stützen sich diese Bemühungen auf intelligente Messsysteme, und die Anreize werden durch den Strompreis oder ökologische Erwägungen wie CO2-Emissionen gesteuert. Die Covid-19-Pandemie hat jedoch gezeigt, dass die Bevölkerung nicht nur auf wirtschaftliche Vorteile reagiert, sondern auch bereit ist, ihre Anstrengungen freiwillig zu koordinieren, um eine Krise zu überwinden. Dieser Winter zeigt auf, dass koordinierte Stromeinsparungen ein wertvolles Instrument sein könnten. Selbstverständlich löst ein Informationssystem nicht die grundsätzlichen Probleme einer notwendigen Transformation und Anpassung des Energiesystems an sich ändernde Randbedingungen. Ein Informationssystem zum aktuellen Zustand des Energiesystems kann jedoch als Unterstützung, Zwischen- oder Notlösung betrachtet werden und könnte einen interessanten, bisher vernachlässigten Ansatz für Krisenzeiten bieten.

Referenzen

[1] Busby, J.W., Baker, K., Bazilian, M.D., Gilbert, A.Q., Grubert, E., Rai, V., Rhodes, J.D., Shidore, S., Smith, C.A., Webber, M.E., 2021, Cascading risks: Understanding the 2021 winter blackout in Texas, Energy Res. Soc. Sci. 77, 102106.
2] Levin, T., Botterud, A., Mann, W.N., Kwon, J., Zhou, Z., 2022, Extreme weather and electricity markets: Key lessons from the February 2021 Texas crisis, Joule 6, 1–7.
[3] UVEK, 2022. Erläuternder Bericht zur Verordnung über eine Stromreserve für den Winter (Winterreserveverordnung, WResV).
[4] Eidgenössische Elektrizitätskommission, 2022, Ergebnisse der Ausschreibung Wasserkraftreserve.
[5] www.nicht-verschwenden.ch
[6] Federer, L, Schwarz, M., 2022, Security of electricity supply: Can the industry sector fix the Swiss winter deficit?
[7] King, C.W., Rhodes, J.D., Zarnikau, J., and Lin, N., 2021, The Timeline and Events of the February 2021 Texas Electric Grid Blackouts, Energy Institute, The University of Texas at Austin.
[8] Bobbio, E., Brandkamp, S., Chan, S., Cramton, P., Malec, D., and Yu, L., 2021, Resilient electricity requires consumer engagement, University of Cologne.
[9] Vossebein, A., Muster, S., Betschart, U., Koelliker, B., 2019,
Potential Demand Side Management in der Schweiz

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