Kein Selbstläufer

Wenn wir jetzt alles richtig machen, sind Klimaziele und Versorgungssicherheit erreichbar – dies ergeben die Resultate der «Energiezukunft 2050». Doch wenn wir weiter machen, wie bis anhin, sind wir weit davon entfernt. Es braucht grosse zusätzliche Anstrengungen – von uns allen. Ein Kommentar von Michael Frank.

Die Resultate der Energiezukunft 2050 zeigen, dass es entscheidend ist, welche Weichen die Schweiz jetzt stellt und wie wichtig eine hohe Akzeptanz, die einen massiv beschleunigten Zubau der inländischen Produktion erlaubt, erhöhte Effizienzanforderungen sowie ein gutes energiepolitisches Verhältnis zur EU sind. Ein solches offensiv-integriertes Szenario würde der Schweiz die robusteste, resilienteste und günstigste Energieversorgung für die Zukunft bringen. Doch eine solche fällt nicht vom Himmel. Selbst wenn Klimaneutralität und Versorgungssicherheit machbar sind, ist das Erreichen der Ziele alles andere als ein Selbstläufer.

Der Umbau des Energiesystems ist ein Generationenprojekt, das uns alle fordert und von uns verlangt, Hürden zu überwinden und auch mal über unseren Schatten zu springen. Es braucht grosse zusätzliche Anstrengungen – von der Politik, der Branche, der Gesellschaft, von uns allen. Und es braucht die Einsicht, dass Versorgungssicherheit nationales Interesse ist. Diese Erkenntnis muss die Richtung vorgeben – die aktuelle Energiekrise macht das noch deutlicher als je zuvor. Zielkonflikte müssen bereinigt werden, um einen massiv beschleunigten Ausbau der inländischen Produktion zu ermöglichen. Massiv heisst: ab sofort durchschnittlich mindestens 1.3 TWh pro Jahr und dies durchgehend bis 2050. Gelingt dies nicht, wird die Stromimportabhängigkeit weiter steigen. Die Schweiz sollte darüber nachdenken, dies mit einer «Stromimportbremse» zu verhindern: Ist die Versorgungssicherheit wegen zunehmendem Stromimport in Frage gestellt, würde automatisch ein forcierter inländischer Zubau ausgelöst.

Selbst wenn wir’s im richtigen Tempo hinkriegen, bleibt die Schweiz im Winter Stromimportland – im besten Fall steigt der Stromimport im Winter von 3 TWh auf 7, im schlechteren auf 9 TWh. Dabei sind die Aussichten auf zukünftige Importmöglichkeiten aus der EU, wie wir wissen, alles andere als rosig – bereits ab 2025 dürfte es nochmals deutlich anspruchsvoller werden, das hat 2021 bereits die Frontierstudie gezeigt. Deshalb muss ein Stromabkommen - oder noch besser ein Energieabkommen - mit der EU unser Ziel bleiben.

Für ein robustes und resilientes Energiesystem braucht es Diversifizierung, Tempo, insbesondere keine neuen Hürden und vor allem grösste Anstrengungen von uns allen.

Das Projekt des VSE zeigt auf wissenschaftlicher Basis, dass dem Austausch mit unseren Nachbarländern nicht nur im Strom, sondern auch beim Wasserstoff in Zukunft eine viel grössere Bedeutung zukommen wird: Langfristig ist nur ein Gesamtsystem und eine Gesamtenergiebetrachtung zielführend. Dieser Tatsache kann sich auch die Regulierung nicht verschliessen. Es braucht deshalb auch in der Schweiz einen Paradigmenwechsel von einer Stromversorgungs- in eine Energieversorgungsgesetzgebung, welche die Sektorkopplung adäquat berücksichtigt. Zu einer Gesamtenergiesicht gehört auch, dass der manchmal allzu starke Fokus ausschliesslich auf der Produktion einer breiteren Betrachtung weichen muss: Mit zunehmendem Bedarf an Speichern (insbesondere dezentralen) wird das Schaffen von Flexibilitätsmärkten auf Konsumseite immer wichtiger. Dasselbe gilt für Effizienzmärkte.

Für ein robustes und resilientes Energiesystem braucht es Diversifizierung, Tempo, insbesondere keine neuen Hürden und vor allem grösste Anstrengungen von uns allen. Die «Energiezukunft 2050» zeigt einen Lösungsraum auf, wie die Klima- und Energieziele der Schweiz erreicht werden können. Doch das soll uns keine Illusionen machen: Wenn wir weiter machen wie bisher erreichen wir bis 2050 nicht mal das für die Schweiz ungünstigste der vier Szenarien.