Wettlauf um das grüne Gas

06.08.2024 PerspectivE
Shell, Siemens Axpo, Alpiq – Grosse Namen aus dem Energie- und Industriesektor positionieren sich seit Längerem im Bereich Wasserstoff. Das Ziel ist klar: Wasserstoff soll eine echte Alternative im Bereich der klimaneutralen Treibstoffe und Ersatz für fossile Gase sein. Grenzen in Sachen Einsatzgebiete und Visionen scheinen aktuell nicht gesetzt. Doch wie steht es um die Wirtschaftlichkeit des gehypten grünen Energieträgers?
Gastautor
Stephan Weber
Leiter Newsroom und Mediensprecher mit Fokus Wasserstoff und Grossbatteriespeicher bei Axpo
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Ein grosser Parkplatz, ein paar weisse Zelte, ein Screen und wenige Werbe-Roll-Ups: Die Informationsveranstaltung im Valle d’Arve zwischen Genf und dem französischen Chamonix vor ein paar Wochen gewann keinen Schönheitspreis in Sachen «Messe-Design». Doch die Veranstaltung war und ist für die Region von zentraler Bedeutung. Sie war der Startschuss für ein Wasserstoff-Mobilitätsprojekt, welches die Region nachhaltig verändern soll. Die Region im Arve-Tal gilt als besonders betroffen von der Umweltverschmutzung. Verschiedene Player aus dem H2-Sektor – darunter die Tankstellen-Expertin Atawey, der Autohändler Jean Lain Mobilité, wie auch die grösste Produzentin erneuerbarer Energien der Schweiz, die Axpo – haben sich am Projekt beteiligt. Die Ziele sind ehrgeizig: Die ersten elektrisch betriebenen Fahrzeuge mit einem Wasserstoff-Brennstoffzellenmotor sollen bereits Mitte 2025 an einer neu errichteten H2-Tankstelle in Vougy, in der Haute-Savoie, tanken können. Schliesslich soll bis 2030 ein Elektrolyseur mit einer Kapazität von bis zu 5 MW direkt vor Ort in der Region installiert werden, der den Eigenbedarf der Tankstelle decken und andere Tankstellen in der Nähe mit Wasserstoff versorgen kann.

EU-Turbo und die Schweiz

Das Beispiel aus Frankreich ist kein Einzelfall. Der Blick über die Landesgrenze der Schweiz zeigt: Die EU macht vorwärts in Sachen Wasserstoff. Erdgas soll zunehmend durch grünen Wasserstoff und Biogas ersetzt werden. Das sogenannte Gasdekarbonisierungs- und Wasserstoffpaket [1] wurde durch das Europäische Parlament formal angenommen. Das Ziel: Die Verringerung der Treibhausgasemissionen der EU um 55% bis 2030. Langfristig ist eine Umwidmung der heutigen Gasinfrastruktur zu einer Wasserstoffinfrastruktur angedacht. Erst kürzlich erklärte das zuständige Deutsche Wirtschaftsministerium in Berlin, dass Bund und Länder zusammen 4.6 Milliarden Euro in verschiedenste H2-Projekte investieren wollen. Deutschland will dabei explizit Projekte zur Erzeugung von grünem Wasserstoff sowie zur Speicherung und zum Transport fördern.

«Wir müssen Gas geben, für sämtliche Akteure ideale Rahmenbedingungen zu schaffen, um am Ende nicht abgehängt zu werden.»

Mitte-Nationalrat Martin Candinas

Etwas weniger schnell ist dabei die Schweiz unterwegs. Auch hierzulande ist eine Wasserstoff-Strategie in den finalen Zügen, lässt jedoch seit Längerem auf sich warten und ist vom Bundesamt für Energie für den Herbst dieses Jahres angekündigt. Sie dürfte Aufschluss darüber geben, welchen Bedarf und welche Ziele die Schweiz – wohl auch mit dem Blick über die Landesgrenzen hinaus – im Bereich des grünen Wasserstoffs verfolgt. Und sie dürfte auch für die Politik wegweisend sein. Für Mitte-Nationalrat Martin Candinas, welcher hinter dem Vorstoss [2] zum Wasserstoff-Bericht des Bundesrates von letztem Herbst steht, ist klar: «Im Ausland werden Wasserstoff-Initiativen teilweise mit hohen staatlichen Förderprogrammen unterstützt. Wir müssen Gas geben, für sämtliche Akteure ideale Rahmenbedingungen zu schaffen, um am Ende nicht abgehängt zu werden.» Er hoffe auf eine klare und konkrete H2-Strategie, die Schweizer Politik sei nämlich gefordert, zeitnah die Weichen richtig zu stellen, um Wasserstoffanwendungen in diversen Bereichen zu ermöglichen und zu unterstützen.

Zusammensetzung H2-Preis [3]: LCOH – absolute Kosten und Anteil unterschiedlicher Kostenfaktoren in Abhängigkeit des Strompreises

Achillesferse Rückverstromung?

Ein Faktor wird dabei zentral sein: Die Wirtschaftlichkeit. Sie ist das Hauptargument vieler Kritikerinnen und Kritiker und zweifelsohne ein zentrales Kriterium, warum grüner Wasserstoff bislang noch keinen umfassenden Durchbruch hatte. Aktuell liegt der Kilopreis für grünen Wasserstoff gemäss verschiedenen Tankstellen-Anbietern bei rund 20 Schweizer Franken. Entscheidend ist die Erkenntnis, welchen Einfluss die Strompreise auf den Preis bzw. auf den Levelised Cost of Hydrogen (LCOH) haben (vgl. Abbildung «Zusammensetzung H2-Preis»). Eine Möglichkeit, den Preis etwas zu beeinflussen, bietet eine optimale Auslastung des Elektrolyseurs bei der Produktion von grünem Wasserstoff. Je stärker die Auslastung, desto stärker dominieren die Stromkosten. Bei einer hohen Auslastung können die Stromkosten über die Hälfte des gesamten Kilopreises ausmachen. Gleichzeitig kämpft man bei geringerer Auslastung aber mit hohen Fixkosten.

Die Wirtschaftlichkeit ist auch eine Hürde für eine allfällige Rückverstromung. «Für die Rückverstromung muss zuerst Wasserstoff mit grünem Strom hergestellt, gespeichert und zu einem späteren Zeitpunkt wieder in Strom umgewandelt werden. Der Wirkungsgrad dieser Kette erhöht die Stromkosten gegenüber der direkten Stromnutzung deutlich und aktuell fehlen auch die Möglichkeiten, grössere Wasserstoffmengen über längere Zeithorizonte zu speichern», so Luka Cuderman, Business Strategy Lead im Wasserstoff-Team von Axpo. Daher ist davon auszugehen, dass die Anwendung der Rückverstromung in der Schweiz vorerst begrenzt bleibt, so das Fazit des H2-Teams von Axpo.

Wasserstoff-Passagierschiff

Von LKWs, Autos und Schiffen

Wirtschaftlichkeit hin oder her: Der Einsatz von Wasserstoff dürfte sich wohl in Zukunft auf bestimmte Felder konzentrieren. Die in der Branche und Fachpresse viel zitierte «Hydrogen Ladder» von Analyst und Wasserstoff-Experte Michael Liebreich macht auch klar: Wirklich wettbewerbsfähig ist Wasserstoff in erster Linie in Sektoren, die schwer elektrifizierbar sind. So zum Beispiel in Industrien mit Hochtemperaturprozessen oder im Schwerlastverkehr. Gerade in der Mobilität dürften auch die Derivate von Wasserstoff – also bspw. Ammoniak oder Methanol – eine wichtige Rolle spielen.

Diese Sicht teilt auch der Bund: Wasserstoff mache nur dort Sinn, wo die Dekarbonisierung nicht mit anderen Energieträgern erreicht werden kann. Das geht aus dem Bericht des Bundesrates hervor, welcher sich mit Antworten auf das bereits oben erwähnte Postulat von Mitte-Nationalrat Martin Candinas beschäftigte. Im gleichen Bericht wird auch deutlich, dass es die Mobilität mit H2-Antrieb noch immer schwer hat. Auf einen Gesamtbestand von 54‘400 zugelassenen LKWs im Jahr 2022 kamen 47 Brennstoffzellen-LKW. Auf 4.7 Millionen PKWs kamen 200 Stück mit einer Brennstoffzelle. Die LKWs und PKWs zusammen verbrauchten in 2022 rund 300 Tonnen Wasserstoff [4]. Das ist etwas weniger als die Jahresproduktion der Wasserstoffproduktionsanlage von Axpo in Domat/Ems GR. Der Bundesrat machte in seinem Bericht aber auch klar, dass Tankstellen im Wasserstoffbereich geprüft werden müssen, um den Mobilitätsbereich zu stärken.

Es ist die berühmte «Huhn oder Ei» Frage: Soll zuerst die Infrastruktur stehen oder braucht es zuerst eine grössere Nachfrage? Fakt ist: Die grossen Energieversorger der Schweiz machen vorwärts – im In- und Ausland. Axpo will ab 2026 zusammen mit der Schifffahrtsgesellschaft des Vierwaldstättersees (SGV) ein Passagierschiff komplett mit grünem Wasserstoff betreiben. Ausserdem plant das Unternehmen in Frankreich und Italien verschiedene H2-Projekte, auch im Bereich Mobilität. Alpiq hat am Standort Gerlafingen sogar die grösste H2-Produktionsanlage der Schweiz angekündigt – ein Titel, den aktuell noch die Axpo für sich verbucht. Der Wettkampf läuft. Am Ende dürften dennoch die Kundinnen und Kunden auf der Nachfrage-Seite entscheidend sein, ob sich das grüne Gas der Zukunft flächendeckend durchsetzt.

Referenzen

[1] Europäisches Parlament und Rat der Europäischen Union (2024). Verordnung über die Binnenmärkte für erneuerbares Gas, Erdgas sowie Wasserstoff und Richtlinie über gemeinsame Vorschriften für die Binnenmärkte für erneuerbares Gas, Erdgas und Wasserstoff.

[2] Martin Candinas (2020). Wasserstoff. Auslegeordnung und Handlungsoptionen für die Schweiz. Postulat 20.4709.

[3] Axpo (2023). Rolle und Potenzial von Wasserstoff in der Schweiz. White Paper.

[4] Bundesrat (15. November 2023). Wasserstoff. Auslegeordnung und Handlungsoptionen für die Schweiz (S. 9ff).

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