Die derzeit laufenden Verhandlungen mit der Europäischen Union (EU) über ein Paket von neuen Abkommen sind aus Sicht der Stromwirtschaft von erheblichem Interesse, weil auch über das langersehnte Stromabkommen verhandelt wird. Mit dem Abkommen werden grosse Hoffnungen verbunden. Es soll u.a. die Rahmenbedingungen zur Gewährleistung der Netzstabilität und Versorgungssicherheit verbessern, die Beteiligung an den zuständigen europäischen Agenturen und Gremien sichern, sowie einen gleichberechtigten Zugang zu den europäischen Energiehandelsmärkten ermöglichen.
Bekanntlich wird ein solches Abkommen seit langem erwogen. Bereits am 29. September 2005 hatten alt Bundesrat Moritz Leuenberger und Andris Piebalgs, damals Mitglied der Europäischen Kommission, den offiziellen Startschuss zu den ersten Verhandlungsrunden gegeben. Doch ergaben sich danach fortwährend Verzögerungen. Seit dem 18. März 2024 wird nun ernsthaft über das Stromabkommen und die anderen, im Paket enthaltenen Abkommen verhandelt.
Je weiter die Verhandlungen fortschreiten und sich ein nahender Abschluss abzeichnet, richtet sich die Aufmerksamkeit zunehmend auf die Umsetzung des Stromabkommens in das nationale Recht. Anlässlich einer ersten Standortbestimmung vom 26. Juni 2024 gab der Bundesrat bekannt, er habe die Arbeiten zur Überführung der einzelnen Elemente des Verhandlungspakets in das Schweizer Recht eingeleitet. Die zuständigen Departemente seien daran, den Anpassungsbedarf in den betroffenen nationalen Gesetzen und Verordnungen zu überprüfen. Es müssten die Bereiche identifiziert werden, in denen Begleitmassnahmen zur Abfederung von unerwünschten Auswirkungen erforderlich seien. Am 6. November 2024 folgte eine weitere Standortbestimmung, die jedoch hinsichtlich der Umsetzung keine wesentlich neuen Erkenntnisse lieferte.
Derzeit wird mit Spannung erwartet, welche Vorschläge zur Umsetzung der Bundesrat präsentieren wird. Besondere Beachtung verdienen die institutionellen und verfahrensrechtlichen Aspekte, die bei einer Übernahme des EU-Rechtsbestands («Acquis») im Stromsektor zu regeln sind.
Zwei-Pfeiler-Modell
Das Stromabkommen sieht ein Zwei-Pfeiler-Modell vor, wonach die Schweiz und die EU in ihren jeweiligen Zuständigkeitsbereichen eine einheitliche Auslegung und Anwendung der sich aus dem Abkommen ergebenden Pflichten sicherstellen werden. Das bedeutet für die Schweiz, dass sie die in der EU geltenden Zuständigkeiten und Verfahren spiegelbildlich in der eigenen Rechtsordnung abbilden muss. Es ist erforderlich, neue Überwachungs- und Aufsichtsfunktionen zu definieren, damit die Schweiz ihrer Verpflichtung zu einer effektiven Anwendung des Stromabkommens nachkommen kann. Zugleich muss das Andocken der Schweizer Behörden an das europäische Regulierungs- und Überwachungssystem geregelt werden. Schliesslich müssen neue Strukturen zur Überwachung der staatlichen Beihilfen in der Schweiz geschaffen werden.
Regulatorische Zusammenarbeit
Der Bundesrat will in den Verhandlungen über das Stromabkommen u.a. erreichen, dass die Schweiz in die technischen Prozesse beim Betrieb des europäischen Stromsystems integriert wird. Weiter sollen Schweizer Akteure in europäischen Gremien und Verbänden mitwirken können und die Schweiz soll in die Kooperation zur Stromkrisenvorsorge und -bewältigung eingebunden werden. Weil jedoch die Schweiz kein EU-Mitgliedstaat ist und zudem die Verhandlungsdelegationen für ein Zwei-Pfeiler-Modell optiert haben, wird eine Schweizer Beteiligung voraussichtlich nur mit gewissen Abstrichen möglich sein. Im Common Understanding vom 27. Oktober 2023, in dem die Verhandlungsdelegationen beider Parteien die Grundlage für die jetzt laufenden Verhandlungen legten, heisst es, die Schweiz werde sich beteiligen können, «soweit dies im vereinbarten Gouvernanz-Rahmen möglich» sei. Dies könnte bedeuten, dass der Schweiz ein Beobachterstatus eingeräumt wird.
Gleichzeitig muss die Zusammenarbeit der Eidgenössischen Elektrizitätskommission (ElCom) mit der europäischen Agentur für die Zusammenarbeit der Energieregulierungsbehörden (Agency for the Cooperation of Energy Regulators, ACER) geregelt werden. Ein Vergleich mit der im Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) geltenden Regelung ist in diesem Zusammenhang aufschlussreich. Dort ist vorgesehen, dass die Überwachungsbehörde der Europäischen Freihandelsassoziation (EFTA) in regulatorischen Fragen eng mit der ACER und der Europäischen Kommission zusammenarbeiten soll [1]. Die EFTA-Überwachungsbehörde und die ACER müssen sich beim Erlass von Beschlüssen, Gutachten und Empfehlungen gegenseitig abstimmen. Des Weiteren bereitet die ACER Beschlüsse der EFTA-Überwachungsbehörde vor und kann dabei ihre Vorstellungen einbringen. Sofern es zwischen der ACER und der EFTA-Überwachungsbehörde zu Meinungsdifferenzen kommt, werden diese vorzugsweise einvernehmlich – in einem Konsens zwischen dem Kollegium der EFTA-Überwachungsbehörde und der Direktion der ACER – bereinigt, ansonsten durch einen Beschluss des im EWR-Abkommen vorgesehenen Gemischten Ausschusses.
Es bleibt abzuwarten, ob das künftige Stromabkommen der ACER einen ähnlichen Status einräumen wird. Aus schweizerischer Sicht stellt sich u.a. die Frage, ob intern neue Zuständigkeiten für die ElCom geschaffen werden müssen und diese mit zusätzlichen Ressourcen ausgestattet werden muss, ob sich eine Koordination auf einen Dialog zwischen ACER und ElCom beschränken wird oder ob auch das Eidgenössische Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (UVEK) sowie das Bundesamt für Energie (BFE) eine Rolle spielen werden, wie verbindlich etwaige Interventionen der ACER ausfallen könnten, wie transparent eine Koordination gestaltet werden kann, und ob diese nebst technischen auch politische, finanzielle oder wirtschaftliche Aspekte von grösserer Tragweite betreffen könnte.

Überwachung staatlicher Beihilfen
Das Stromabkommen wird weiter eine Verpflichtung der Schweiz zur Einführung einer verbindlichen Überwachung von staatlichen Beihilfen vorsehen, wie dies auch bei den geänderten Landverkehrs- und Luftverkehrsabkommen der Fall sein wird. Was die institutionelle und verfahrensrechtliche Ausgestaltung des beihilferechtlichen Überwachungsmechanismus anbelangt, haben die Verhandlungsdelegationen der Schweiz und der EU im Common Understanding vom Oktober 2023 bereits einige Pflöcke eingeschlagen. Sie skizzierten dort ein ausgeklügeltes, zweistufiges Verfahren.
Zunächst soll eine unabhängige Überwachungsbehörde staatliche Beihilfen vor deren Gewährung («ex ante») überprüfen. Wenn sich eine staatliche Beihilfe als bedenklich erweist, soll die Behörde ein Gericht befassen, das die Zulässigkeit der staatlichen Beihilfen verbindlich beurteilen kann. Das Prüfverfahren vor dem Gericht soll eine aufschiebende Wirkung entfalten. Dies bedeutet, dass die betroffenen Finanzhilfen und Abgeltungen erst nach Abschluss der Verfahren ausbezahlt werden dürfen.
Es sollen ferner die Voraussetzungen geschaffen werden, damit unrechtmässig ausgerichtete Beihilfen mit Zinsen zurückgefordert werden können. Für staatliche Beihilfen, die in Rechtsakten verkörpert sind, die nicht gerichtlich angefochten werden können – wie dies bei Bundesgesetzen der Fall ist – gelten Sonderregelungen. Es kann dann lediglich die Anwendung des Rechtsakts überprüft werden.
Die Planung für eine Umsetzung dieser Grundsätze in das nationale Recht ist bereits fortgeschritten. Der Bundesrat kündigte anlässlich der oben erwähnten ersten Standortbestimmung vom Juni an, er habe das Eidgenössische Departement für Wirtschaft, Bildung und Forschung (WBF) mit der Ausarbeitung einer Vernehmlassungsvorlage für ein Beihilfeüberwachungsgesetz beauftragt. In dieser Vorlage wird das WBF mehrere heikle Vorentscheidungen fällen müssen. Es wird insbesondere die für die Überwachung zuständige Behörde benennen müssen.
Auf den ersten Blick spricht einiges für eine Betrauung der Wettbewerbskommission (WEKO) mit der Überwachungsfunktion. Diese ist bereits nach geltendem Recht für die unverbindliche Begutachtung von staatlichen Beihilfen im Anwendungsbereich des Luftverkehrsabkommens mit der EU zuständig. Gegen die WEKO könnte sprechen, dass die Beurteilung der Vereinbarkeit einer staatlichen Beihilfe mit einem grossen Ermessensspielraum verbunden ist. Die Ausübung dieses Ermessensspielraums erfordert erhebliches politisches Fingerspitzengefühl. Zu beachten ist ausserdem, dass sich die Beihilfekontrolle gegen die öffentliche Hand als Beihilfegeberin richtet. In der EU wurde aus diesen Überlegungen die Beihilfeüberwachung nicht auf eine Agentur oder unabhängige Behörde übertragen. Stattdessen ist die Europäische Kommission dafür zuständig, die nach einem politischen Auswahlprozess zusammengesetzt ist und gegenüber dem Europaparlament und dem Rat der EU politisch Rechenschaft ablegen muss.
Umsetzung ist ein Balanceakt
Bei der Umsetzung der sich aus dem Abkommen ergebenden Verpflichtungen in nationales Recht sind schwierige Rechtsfragen zu klären, insbesondere bei der regulatorischen Zusammenarbeit und der Überwachung von staatlichen Beihilfen. Der Erfolg des Abkommens hängt letztlich von einer sorgfältigen und innovativen Ausgestaltung der Umsetzungsmassnahmen ab.
Referenzen
[1] vgl. Annex IV „Energy“ zum EWR-Abkommen, insbesondere Rn. 20 betreffend «Regulation (EC) No 714/2009 of the European Parliament and of the Council of 13 July 2009 on conditions for access to the network for cross-border exchanges» sowie Rn. 47 betreffend «Regulation (EC) No 713/2009 of the European Parliament and of the Council of 13 July 2009 establishing an Agency for the Cooperation of Energy Regulators».