Auch kleinteilige Versorgung ist bezahlbar

Wie soll Europa sein Versorgungsnetz für erneuerbare Energie organisieren – kontinental, national oder regional? Die Frage ist umstritten. Nun hat ein schweizerisch-​deutsches Forscherteam Kosten und technische Machbarkeit von Versorgungsnetzen verschiedener Grössen analysiert.
14.08.2020

Bis 2050 will Europa ein klimaneutraler Kontinent werden. Dafür muss der Strom weitgehend aus erneuerbaren Energien stammen. Wie man die Energiewende am besten realisiert, wird kontrovers diskutiert: Als preisgünstigste Lösung gilt, die Energieproduktion an den geeignetsten Standorten des Kontinents zu konzentrieren. Viele Bürgerinnen und Bürger favorisieren allerdings kleinere Versorgungseinheiten, in denen der Strom nah an den Verbraucherinnen und Verbrauchern erzeugt wird.

Forscher der Professur für Klimapolitik der ETH Zürich untersuchten nun zusammen mit Kollegen am Institute for Advanced Sustainability Studies (IASS) in Potsdam, inwiefern die Versorgung mit grünem Strom auf kontinentaler, nationaler und regionaler Ebene technisch und finanziell machbar ist. Insbesondere wollten sie herausfinden, ob kleinere Versorgungseinheiten tatsächlich deutlich teurer sind als ein kontinentales Versorgungssystem. Ihre Studie ist soeben im Fachmagazin Joule erschienen.

«Befürworter eines kontinentalen Systems argumentieren mit niedrigen Kosten, guten Ausgleichsmöglichkeiten für Fluktuationen und effizienter Nutzung der Ressourcen unabhängig von ihrem Ort», erläutert Leitautor Tim Tröndle, der an der ETH Zürich und am IASS Potsdam zu dieser Frage doktorierte. Das sei zwar nicht von der Hand zu weisen, allerdings sei die Energiewende auch sehr stark von politischen Interessen und Bürgerbeteiligung geprägt. «Deshalb sollten wir auch die Möglichkeiten kleinerer Systeme gründlich prüfen», sagt Tröndle.

Kostennachteil unter 20 Prozent

Die Modellrechnungen bestätigten die Annahme, dass es am kostengünstigsten ist, wenn sich alle Länder in einem europäischen Verbundnetz mit Strom von den Standorten mit den besten Wind-​ und Sonnenbedingungen versorgen. Jedoch sind die Mehrkosten eines kleinteiligen Systems gering, solange Ländern und Regionen das Übertragungsnetz nutzen, um Fluktuationen auszugleichen. Dann können die Netzbetreiber mit nationalen oder regionalen Partnern handeln, um ihre lokale Versorgung zu gewährleisten: Statt Wind-​ und Solaranlagen zu drosseln oder überschüssigen Strom teuer zu speichern, können sie diesen an ihre Nachbarn weiterleiten, bei denen es gerade bedeckt und windstill ist.

Europäische Kooperation in einem leistungsstarken Strommarkt kann so den Kostennachteil eines kleinteiligen Systems gegenüber der kontinentalen Versorgung auf unter 20 Prozent senken. Laut Stefan Pfenninger, Oberassistent an der Professur für Klimapolitik und Letztautor der Studie, stützt das Ergebnis die aktuellen Bemühungen für einen integrierten europäischen Strommarkt und für den Ausbau der Grenzkuppelstellen, die es zum Ausgleich der Fluktuationen zwischen den Ländern braucht.

Unterschiedliche Anforderungen an Infrastruktur

Wo der Strom erzeugt wird, hat laut der Studie nur wenig Einfluss auf die Kosten einer vollständig erneuerbaren Stromversorgung. Der Standort definiert aber massgeblich die Infrastruktur – besonders, ob mehr Erzeugungs-​ oder mehr Netzinfrastruktur nötig ist. Für eine schnelle Energiewende sollte daher die Frage der gewünschten Grösse des Stromerzeugungssystems rasch geklärt werden, empfehlen die Potsdamer und Zürcher Autoren. Grundsätzlich machbar seien mehrere Lösungen – von einem kontinentalen bis hin zu einem kleinteiligen System.

Dieser Artikel beruht auf einer Pressemitteilung des IASS Potsdam. (ethz)